Anzeige
Anzeige

Nach 2024 Warum der verkündete Ausstieg Russlands für die ISS nicht zum Problem wird

Die Internationale Raumstation über der Erde
Die ISS in der Erdumlaufbahn in einer Höhe von rund 400 Kilometern. In der Mitte (vorne): dass russische Wohn- und Navigatiosnmodul "Swesda".
© Nasa / DPA
Kann die Internationale Raumstation (ISS) auch ohne Russland betrieben werden? Viel spricht dafür, dass sich die Frage in der Praxis letztlich kaum stellen wird. Russlands Ankündigung war alles andere als eine Überraschung.

Die Meldung verfehlte ihre Wirkung nicht. Als der neue Chef der russischen Raumfahrtagentur, Juri Borissow, vergangene Woche als erste Amtshandlung den Ausstieg Russlands aus der ISS verkündete, herrschte rund um den Globus Aufregung. Nach 2024 werde Schluss sein, so Borissow, man werde eine eigene Raumstation bauen. Angesichts des Ukraine-Krieges wirkte das wie eine weitere Eskalation, Erinnerungen an die Drohungen zu Beginn des Krieges, Russland werde sein Hauptmodul abkoppeln und die ISS abstürzen lassen, wurden wieder wach. Esa-Chef Josef Aschbacher beklagte gegenüber dem ORF, der "Weltraum ist politischer geworden". Besorgt oder gar alarmiert zeigte er sich allerdings nicht; ebenso gelassen geben sich die US-Kolleg:innen von der Nasa.

Es gibt gute Gründe, warum die russische Ankündigung die Raumfahrer nicht in Panik versetzt:

Ausstieg 2024: Russland verkündet den Status quo

Tatsächlich steht der Ausstieg Russlands zum genannten Datum schon seit sieben Jahren fest. Ende Februar 2015 meldete die Deutsche Presse-Agentur (DPA): "Russland will 2024 als Partner bei der Internationalen Raumstation ISS aussteigen und einen eigenen Außenposten im Weltall aufbauen. Das beschloss ein Beirat der Raumfahrtbehörde Roskosmos in Moskau." Die Entscheidung wurde seinerzeit von der Esa ausdrücklich begrüßt, bedeutete sie doch damals eine Verlängerung des russischen Engagements an der ISS um weitere vier Jahre. Borissow verkündete also im Grunde nur, dass es beim Ausstieg nach 2024 bleibt.

Sofortiger Ausstieg würde russische Raumfahrt zurückwerfen

Markige Ankündigungen sind schneller gemacht als Aktionen im All. Das wissen auch die russischen Raumfahrer. Der Flugdirektor des russischen ISS-Segments und Chefkonstrukteur des Raumfahrtkonzerns RKK Energia, Wladimir Solowjow, betont in einem kürzlich von Roskosmos veröffentlichten Interview, dass ein überstürzter Rückzug einen empfindlichen Rückschlag für die russische Raumfahrt bedeuten würde. "Wir müssen die ISS natürlich weiter betreiben bis wir einen brauchbaren Zustand bei ROSS [der Name der künftigen russischen Raumstation, Anm. d. Red.] erreicht haben", so der ehemalige Kosmonaut. "Wir müssen berücksichtigen, dass es sehr schwierig sein wird, das Erreichte wieder herzustellen, wenn wir bemannte Flüge für mehrere Jahre einstellen."

Tatsächlicher Ausstieg nicht vor 2028

Roskosmos-Offizielle haben die Nasa dementsprechend informiert, dass sie bemannte Flüge zur ISS so lange durchführen möchten bis die eigene Station zur Verfügung steht. Raumfahrtexperten zufolge kann dieser Zustand nicht vor 2028 erreicht werden. Das bestätigt auch Wladimir Solowjow, der für dieses Jahr sogar erst mit dem Baubeginn der neuen ROSS-Station rechnet. Wie schnell die Station dann in Betrieb genommen werden kann, ist derzeit offen. Bis auf Weiteres, und über 2024 hinaus, wird sich an dem russischen Engagement auf der ISS also nichts ändern – es sei denn, die Politik mischt sich direkt ein. "Wir haben keinerlei Hinweise darauf, auf welcher Arbeitsebene auch immer, dass sich etwas verändert hat", so die Nasa-Direktorin für bemannte Raumfahrt, Kathy Lueders, nach einem Gespräch mit Roskosmos-Offiziellen. Das Verhältnis zwischen den beiden Organisationen sei mit "business as usual" treffend beschrieben. Zudem wurde erst kürzlich ein Übereinkommen erzielt, das laut Esa-Chef Aschbacher auch in Kraft treten wird. Danach können Kosmonauten mit einer SpaceX-Kapsel fliegen und Astronauten mit einer Sojus.

2030 ist ohnehin Schluss

"Jetzt muss man abwarten, wann genau Russland aussteigen will. Es kann 2025 oder 2030 sein. Für die Raumstation wäre es natürlich besser, wenn der Ausstieg eher später wäre als früher kommt", schätzt Aschbacher die Lage ein. Dass die Station in die Jahre gekommen ist, ist unstrittig. Laut Wladimir Solowjew ist bei einigen Modulen die erwartete Betriebszeit schon um das Eineinhalbfache überschritten. "In letzter Zeit gibt es eine Tendenz, immer mehr Zeit der Kosmonauten für Wartungen und Reparaturen von Bordsystemen aufzuwenden, die ihre Ressourcen erschöpft haben", sagt der Flugdirektor auf der Roskosmos-Webseite. Dies gehe zunehmend auf Kosten der wissenschaftlichen Arbeit. 

Sonnenuntergang auf der ISS – diesen atemberaubenden Anblick sieht die Crew 16 Mal am Tag

Das Ende des einst als "Menschheitsprojekt" gefeierten Weltraumlabors ist daher schon länger beschlossene Sache. Laut aktuellen Planungen soll 2027 damit begonnen werden, die Station langsam aus ihrer Umlaufbahn in derzeit 400 Kilometern Höhe abzusenken. Wenn die letzte Crew im Frühjahr 2030 zu dem 109 Meter langen und 450 Tonnen schweren Koloss fliegt, soll sich die ISS nur noch auf 320 Kilometern Höhe befinden. Ob in der zweiten Jahreshälfte 2030 tatsächlich drei russische Progressraketen die Station abbremsen werden, hängt nun davon ab, ob Russland bis dahin wirklich ausgestiegen sein wird und wohl auch von der weltpolitischen Lage. Letztlich soll die ISS kontrolliert über unbewohnbarem Gebiet in der Erdatmosphäre weitgehend verglühen.

ISS-Betrieb ohne Russland möglich

Ob einige ISS-Module, wie immer mal wieder im Gespräch, in der künftigen ROSS-Station überleben werden, ist offen. Der deutsche Astronaut Thomas Reiter (2006 und 2007 an Bord der ISS), hält das für unwahrscheinlich. Das Abkoppeln einzelner Module sei eine große logistische Herausforderung, außerdem seien die meisten Module, wie beschrieben, abgenutzt. Swesda und Sarja, die beiden großen Stationsteile, kommen nach Einschätzung von Ex-Astronaut Reinhold Ewald (1997 auf der früheren russischen Mir-Station) nicht mehr in Frage; das erst im vergangenen Jahr angedockte Forschungsmodul Nauka dagegen schon. Grundsätzlich halten die beiden Ex-Astronauten einen Betrieb der ISS ohne die russischen Teile durchaus für möglich. Die meisten Systeme seien redundant, fungierten also als gegenseitige Backups. Diese Absicherung würde ohne russische Module wegfallen. Für die Navigation der Station, die bisher in russischen Händen lag, hat die Nasa mit der Cygnus-Fähre schon eine Alternative erprobt. Ein Weiterbetrieb würde "theoretisch funktionieren, ist aber dann immer einen Schritt vom Totalausfall entfernt und das ist in der Raumfahrt natürlich immer auch ein Risiko", zieht Ewald im Bayerischen Rundfunk Bilanz. Allerdings ist die Lebensdauer der ISS, wie schon gesagt, ja ohnehin begrenzt. Nach jetzigem Stand würde ein solcher Risikobetrieb maximal zwei Jahre dauern, und das zudem schon in der Abrüstphase (ab 2027).

Ende des "Menschheitsprojekts"

Ob 2025, 2028 oder erst 2031: Mit der ISS stirbt (vorerst) der Gedanke, den Aufbruch ins All als Menschheitsprojekt zu sehen. Ein neuer Wettlauf im All hat längst begonnen. Es wird um Einfluss, Macht, Bodenschätze gehen. Die neuen Raumstationen verweisen auch auf eine sich abzeichnende Weltordnung: China mit Tiangong ("Himmelspalast"), Russland mit ROSS, beide im Erdorbit, und Nasa/Esa/Japan und Kanada mit dem Lunar Gateway, der Station im Mondorbit. Nächster Halt: Mond, den Mars im Sinn.

Quellen: ORF; Nachrichtenagentur Reuters; Roskosmos; Nasa; Zehn-Jahres-Plan ISS (Nasa); Bayerischer Rundfunk; "The Eurasian Times"; Space.com; Deutsche Presse-Agentur

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel