Nach jahrelangem Tauziehen hat die britische Regierung vor gut zwei Wochen die Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA genehmigt. Jetzt legt Assange Berufung ein – und kämpft weiterhin auf einsamem Posten. Von demokratischen Staaten, in denen die Pressefreiheit zum höchsten Gut zählt, kann er keine Unterstützung erwarten. Auch nicht von Deutschland. Laut dem Pressesprecher von Kanzler Olaf Scholz fehlen die Voraussetzungen, um Assange in Deutschland Asyl zu gewähren. Die Bundesregierung hüllt sich in Schweigen, eine stern-Anfrage ließ das Kanzleramt unbeantwortet. Selbiges gilt für die Christdemokraten und die AfD. Auch die Grünen gingen nicht auf die Fragen des stern ein, verwiesen aber in einer schriftlichen Antwort auf das Auswärtige Amt.
Annalena Baerbock hatte sich zunächst für die Freilassung Assanges ausgesprochen. Damals, zu ihrer Zeit als Oppositionspolitikerin, hatte sie zudem von schwerwiegenden Verstößen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention gesprochen. Und jetzt? Jetzt ist Baerbock deutsche Außenministerin, ihre Aussagen zum Fall Assange verwässern zusehends. Von den einstigen Freilassungsforderungen sind lediglich komplizierte Phrasen zum Thema Rechtsstaatlichkeit übriggeblieben. Eine Eigenschaft, die nicht nur der Grünen-Politikerin zu eigen ist.
FDP und SPD für menschenwürdige Behandlung von Julian Assange
"Julian Assange ist auf Grundlage bestehender Gesetze in Großbritannien inhaftiert", teilte etwa die menschrechtspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Renata Alt, dem stern mit. Die britische Regierung müsse daher sicherstellen, dass die Haftbedingungen angemessen seien. Selbiges gelte für die Vereinigten Staaten. "Es bestehen keine Zweifel, dass den amerikanischen Behörden rechtsstaatliche Mindeststandards bekannt sind und sie deren Einhaltung hochhalten", so Alt. Über die Auslieferung Assanges an die USA könne Deutschland jedoch nicht mitentscheiden, "denn die Bundesrepublik ist weder Beteiligte noch Teil des Verfahrens gegen Assange". Die Ampel-Regierung sowie die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag würden sich aber gegen jegliche Einschränkung der Pressefreiheit einsetzen. Wie, ließ Alt dabei offen.
Ähnlich engagiert sieht sich die SPD-Fraktion. Sie setze sich dafür ein, "dass Julian Assange nicht an die USA ausgeliefert und in Großbritannien so behandelt wird, dass er keine gesundheitlichen Schäden erleidet", teilte ein Sprecher auf stern-Anfrage schriftlich mit. Und selbstverständlich setze sich auch die SPD für den Schutz von Whistleblowern ein. "Ein rechtsstaatliches Verfahren ohne Schädigung der Gesundheit ist das Mindeste, was wir fordern." Anders als bei den Liberalen sagen die Sozialdemokraten im Bundstag eindeutig: "Wenn der einzige Vorwurf im Whistleblowing besteht, muss Assange freigelassen werden. Ansonsten steht die Glaubwürdigkeit der Menschenrechtspolitik 'des Westens' auf dem Spiel." Auf die Frage, ob Deutschland Assange Asyl gewähren könnte und sollte, teilte der Fraktionssprecher mit, dass dies erst geprüft werden müsse.
Die Linke: "Die Ampel muss sich laut für den Schutz von Journalisten aussprechen"
Weitaus impulsiver äußerte sich die Linken-Fraktion. "Nicht wer Kriegsverbrechen aufdeckt, gehört vor Gericht, sondern wer sie begeht oder befiehlt", schrieb Fraktionsmitglied Sevim Dagdelen. Zusammen mit drei weiteren Bundestagsabgeordneten ihrer Partei hat sie sich in in einer Stellungnahme der fraktionsübergreifenden Abgebordneten-AG "Freiheit für Julian Assage", die dem stern vorliegt, gegen dessen Auslieferung in die USA stark gemacht. "Er kann dort kein faires Verfahren erwarten (...) es ist wichtig, dass sich die Ampelregierung laut und vernehmlich gegen die Auslieferung und für den Schutz des Journalisten ausspricht", heißt es in der schriftlichen Antwort. "Die Bundesregierung sollte endlich den Mumm aufbringen, Julian Assange als konkrete Geste der Solidarität und Verteidigung der Pressefreiheit politisches Asyl in Deutschland anzubieten und damit deutlich zu machen, dass Journalismus kein Verbrechen ist", forderte Dagdelen im Namen ihrer Fraktion. "Das feige Wegducken der Bundesregierung zeugt von mangelnder Souveränität."
Ob die Bundesregierung Asyl gewährt, "ist eine politische Frage"
Auch der Verband Deutscher Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ) fordert die Anerkennung Julian Assanges als politischen Flüchtling. Eine Inhaftierung bezeichnen die Mitglieder als "unverhältnismäßig". Andreas Engelmann, Rechtsanwalt und Bundessekretär des VDJ, sagte gegenüber dem stern: "Für die Bundesrepublik sollte feststehen, dass das Grundgesetz auf der Seite von Julian Assange steht. Es verteidigt eine freie und mutige Presse, die auch gegenüber den Machthabenden nicht verstummen soll." Für ihn ist offensichtlich, dass die US-Regierung mit dem Fall ein Exempel für jene statuiert, die es wagen, über US-amerikanische Kriegsverbrechen und Folter zu berichten. "Die sogenannten 'westlichen Werte' wenden wir leider häufiger auf Länder an, mit denen wir in geopolitischen Konflikten stehen, als dass wir uns oder unsere Partner ernsthaft daran messen. Die Bilanz wäre wohl auch weniger schön, als wir bereit sind, uns einzugestehen", erklärte der Rechtsexperte.
Setze sich die Bundesregierung nicht für Assange ein, würde das bedeuten, dass die Verfolgung von Journalisten nur dann ein Problem sei, wenn dies in Ländern wie beispielsweise Syrien oder Russland geschehe. "Das ist gefährlich, denn damit wäre die Stellung der Menschenrechte abgewertet und zum politischen Spielball gemacht. Das wäre genau die Doppelmoral, die Putin dem 'Westen' immer vorwirft." Deshalb müsse die Bundesregierung laut Engelmann jetzt viel stärker aktiv werden.
Dass Deutschland dem Wikileaks-Gründer noch kein Asyl gewährt hat, könnte nach Einschätzung des Juristen daran liegen, dass sich Assange in einem sogenannten "sicheren Drittstaat" befindet. Darunter fallen sämtliche Länder, die sich an die Genfer Flüchtlings- und die Europäische Menschenrechtskonvention halten. 1993 hatten CDU und SPD einen Asylkompromiss geschlossen. Dadurch sei das Asylrecht in Art. 16a Abs. 1GG zunehmend eingeschränkt worden und erstrecke sich demnach nicht mehr auf Personen in solchen "sicheren Drittstaaten", erklärte Engelmann. Das hindere die Bundesrepublik allerdings nicht daran, Assange den Status eines politischen Flüchtlings zu verleihen und ihm politisches Asyl zu gewähren. "Die rechtlichen Möglichkeiten sind da – ob sie genutzt werden, ist eine politische Frage."