Kampf um den Euro Wie Sarkozy Merkel überrumpelte

Es war eine dramatische Verhandlung. Und am Schluss stimmte Bundeskanzlerin Angela Merkel der Schaffung eines rein europäischen Rettungsschirms für notleidende EU-Mitglieder zu, entgegen aller früheren Beteuerungen. Für ihren vermeintlichen Widersacher Nicolas Sarkozy ist das ein Coup.

Kaum ist das Kreditpaket für Griechenland mit großen Bauchschmerzen der Deutschen geschnürt, da kommt die Bundeskanzlerin schon wieder in Erklärungsnot. Ohne Kenntnis der Finanzminister beschlossen die Chefs der Euro-Länder am Freitagabend, gegen die "globale Attacke" auf die Währungsunion einen noch größeren Rettungsschirm aufzuspannen. Geradestehen dafür soll wiederum der Steuerzahler überall in Europa. Alle Euro-Länder könnten künftig auf von den EU-Staaten garantierte Kredite zugreifen, wenn ihnen die Kapitalmärkte das Vertrauen versagen. Angela Merkel unterschrieb damit den vom Koalitionspartner FDP verweigerten Blanko-Scheck.

Beim EU-Gipfel Ende März zwang Merkel noch als eiserne Stabilitätshüterin den Euro-Partnern ihren Willen auf und holte gegen großen Widerstand den Internationalen Währungsfonds zur Rettung Griechenlands an Bord. Wochenlang hatte sie die Konkretisierung der Hilfe gebremst. Jetzt setzten sich die Anhänger der rein europäischen Lösung durch - Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und EU-Kommissionschef Jose Manuel Barroso. Binnen zwei Tagen soll eine neue Krisenhilfe entstehen, die vor kurzem noch als unverstellbar galt und die mit den von Deutschland hochgehaltenen Stabilitätsprinzipien bricht.

Wie konnte das geschehen? Der Euro und die Stabilität des Weltfinanzsystems seien von Spekulanten bedroht, begründeten die Euro-Chefs den Überraschungscoup. Die griechische Schuldenkrise steckte trotz des Milliarden-Notprogramms andere schwächelnde Euro-Länder wie Portugal und Spanien an. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis auch sie die Finanzierung ihrer Schulden zu horrend hohen Zinsen nicht mehr stemmen könnten.

Ein weiterer Tabu-Bruch

Die Berliner Sicht der Ereignisse: Merkel hatte in der Debatte über die Stabilisierung Griechenlands zunächst die Schaffung eines von ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble geforderten Europäischen Währungsfonds abgelehnt. Angesichts der dramatischen Marktentwicklung hatte das Kanzleramt dann aber betont, dass man gegen die Krise zum einen Verfahren zur geordneten Insolvenz von Staaten brauche, zum anderen ein Instrument zur Stabilisierung der Euro-Zone. Die Idee eines Krisenabwehrmechanismus hatten Merkel und Sarkozy gemeinsam unterstützt. Neben der Einsicht in den Ernst der Lage ermöglichte eine Verpflichtung der Euro-Staaten zu strikterem Sparen und härteren Strafen für Schuldensünder Merkel, ein weiteres Tabu zu brechen.

Die Pariser und die Brüsseler Version gehen so: Aus Rücksicht auf die schwierige Rechtslage in Deutschland und die schicksalhafte Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ließ Sarkozy seiner engsten Verbündeten monatelang die Oberhand. Das Zögern der Deutschen trug dazu bei, dass die "Ultima Ratio" - also der Notfall - nicht nur in Griechenland, sondern demnächst auch woanders in der gesamten Euro-Zone eintreten könnte. Die internationalen Partner in Asien und den USA drängten die Euro-Manager zum Handeln, um eine erneute weltweite Finanzkrise zu verhindern. Die Reißleine musste sofort gezogen werden.

Sarkozy gibt den Euro-Retter

Nach acht Stunden intensiver Diskussionen vermeidet Sarkozy, die Kanzlerin wie eine Verliererin aussehen zu lassen. Gerüchte über einen Streit mit Merkel wischte er vom Tisch, denn ein offener Machtkampf der beiden größten Euro-Länder wäre jetzt fatal. Die Konfliktlinie verläuft nicht zwischen Deutschland und Frankreich, sondern schließlich zwischen Politik und Märkten.

Doch die Szenen in Brüssel vermitteln alles andere als Harmonie. Sarkozy bereitet schon drei Stunden vor dem Treffen in Brüssel in bilateralen Gesprächen die Revolution vor. Die Kanzlerin wird dann überrumpelt und im kleinen Kreis weich geknetet. Sichtlich erschöpft eilt sie am Ende nach wenigen dürren Sätzen in die Kameras davon. "Wir haben allerdings festgestellt, dass es doch ein hohes Maß an Spekulation gegen den Euro als Ganzes gibt", räumt sie ein. In Regierungskreisen heißt es, Sarkozy habe aus Sorge um die Milliardenengagements der französischen Banken in Südeuropa Druck gemacht.

Sarkozy entfacht derweil in seinem zum Bersten gefüllten Pressesaal ein rhetorisches Feuerwerk des leidenschaftlichen Europäers. Der Krisenmanager ist in seinem Element. "Heute schlägt die Stunde der Wahrheit für die Euro-Zone: Lassen wir die Märkte über die Zukunft des Euro an unserer Stelle entscheiden oder sind wir fähig, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um der Spekulation das Handwerk zu legen und aus dieser Krise stärker und geeinter hervorzugehen?!" Mit den lästigen Einzelheiten des Krisenmechanismus hält er sich nicht auf; dafür wurden kurzfristig die Finanzminister am Sonntag nach Brüssel beordert. Sarkozy malt lieber das ganz große Bild: "Der Euro, das ist Europa. Europa, das ist der Frieden auf diesem Kontinent. Wir dürfen nicht etwas zerbrechen lassen, was die vorherigen Generationen aufgebaut haben. Das ist die Frage."

Reuters
Ilona Wissenbach, Reuters