Der Skandal um eine mutmaßliche Beteiligung einiger Mitarbeiter des UN-Palästinenserhilfswerks am Massaker der islamistischen Hamas in Israel zieht immer größere Kreise. Rund zehn Prozent aller rund 12.000 im Gazastreifen beschäftigten Mitarbeiter des Hilfswerks UNRWA hätten Verbindungen zur Hamas oder dem Islamistischen Dschihad, berichtete das "Wall Street Journal" am Montag unter Berufung auf ein israelisches Geheimdienstdossier.
Derweil sollen die Gespräche über eine mögliche neue Feuerpause im Gaza-Krieg und die Freilassung weiterer Geiseln in dieser Woche weitergehen. Während Washington bisher vorsichtig optimistisch ist, soll die Hamas laut israelischen Medienberichten am Montagabend erklärt haben, kein Abkommen zu akzeptieren, das nicht ein Ende des Kriegs und den Abzug aller israelischen Truppen aus Gaza beinhalte.
Über 1000 Hilfskräfte mit Hamas-Verbindungen
Die Informationen in den Geheimdienstberichten basierten unter anderem auf Mobilfunkdaten, Verhören von gefangenen Hamas-Kämpfern und auf Dokumenten, die bei getöteten Kämpfern sichergestellt worden seien, berichtete das "Wall Street Journal". Die US-Regierung sei über das Geheimdienstdossiers unterrichtet worden, hieß es. Von den zwölf UNRWA-Mitarbeitern, die an dem Überfall der Hamas am 7. Oktober beteiligt gewesen sein sollen, seien sieben Grund- oder Sekundarschullehrer, darunter zwei Mathematiklehrer, zwei Arabischlehrer und ein Grundschullehrer, berichtete die Zeitung.
Die Vorwürfe gegen die Beschäftigten wegen mutmaßlicher Beteiligung am Hamas-Massaker hatten weltweit für Empörung gesorgt. Als Reaktion stellten zahlreiche Staaten ihre Zahlungen an das Hilfswerk vorübergehend ein, darunter Deutschland, die USA, Großbritannien und Frankreich. "Das Problem der UNRWA sind nicht nur 'ein paar faule Äpfel', die in das Massaker vom 7. Oktober verwickelt waren", wurde ein hoher israelischer Regierungsbeamter zitiert. "Die Institution als Ganzes ist ein Hort für die radikale Ideologie der Hamas."
Keine Finanzhilfen mehr für UN-Palästinenserhilfswerk
Israel fordert eine umfassende Reform des Palästinenserhilfswerks. "UNRWA steckt schon lange mit den Terroristen unter einer Decke", sagte Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, dem "Tagesspiegel" (Dienstag). Schon die Attentäter des Münchner Olympia-Massakers von 1972 seien Absolventen von UNRWA-Schulen gewesen. "Und so wundert es nicht, dass UNRWA-Mitarbeiter auch an den Entführungen des 7. Oktober beteiligt waren."
Als Reaktion auf die Vorwürfe gegen zwölf UN-Mitarbeiter hatten zahlreiche Staaten ihre Zahlungen an das Hilfswerk vorübergehend eingestellt, darunter Deutschland, die USA, Großbritannien und Frankreich. Israel begrüßte, dass nun "im großen Stil" Finanzmittel für UNRWA zurückgehalten werden. Das könne aber nur der Anfang sein. "Wer Frieden will, muss sich jetzt für eine lückenlose Aufklärung einsetzen. So wie UNRWA jetzt ist, kann es keinen Beitrag zu Frieden leisten."
US-Außenminister Antony Blinken forderte erneut eine schnelle Aufklärung. Das Hilfswerk spiele "eine absolut unverzichtbare Rolle dabei, sicherzustellen, dass Männer, Frauen und Kinder, die in Gaza so dringend Hilfe benötigen, diese auch tatsächlich erhalten", sagte Blinken am Montag in Washington.
Bericht: Israelische Armee will Wiederbesiedelung von Gaza verhindern
Der israelische Verteidigungsminister Yoav Galant hat einem Medienbericht zufolge den USA versichert, dass er und das Militär eine Wiederbesiedlung des Gazastreifens durch Israelis verhindern würden. Wie das Nachrichtenportal "Axios" am Montag unter Berufung auf vier US-amerikanische und israelische Beamte berichtete, habe Galant in der vergangenen Woche im Gespräch mit US-Beamten gesagt, eine geplante Pufferzone im Gazastreifen werde vorübergehender Natur sein und nur Sicherheitszwecken dienen. Den Wiederaufbau von Außenposten oder Siedlungen durch israelische Siedler werde man nicht zulassen.
Bei einer siedlerfreundlichen Konferenz in Jerusalem am Sonntagabend waren auch Minister von der rechtskonservativen Regierungspartei Likud des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vertreten. Netanjahu selbst hatte allerdings Pläne zur Wiederbesiedlung des Gazastreifens nach dem Krieg als unrealistisch bezeichnet. Der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir forderte neben einer Rückkehr israelischer Siedler in den Küstenstreifen auch, eine Abwanderung der Palästinenser zu bewirken. Nur dies könne ein weiteres Massaker wie am 7. Oktober verhindern, argumentierte er.
2005 hatte sich Israel aus Gaza zurückgezogen und mehr als 20 israelische Siedlungen geräumt. 2007 riss die islamistische Hamas nach einem blutigen Kampf mit der Fatah-Organisation von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas die alleinige Kontrolle über das Küstengebiet an sich. Dort leben rund 2,2 Millionen Palästinenser.
USA vorsichtig optimistisch im Gaza-Krieg
Die USA zeigten sich derweil vorsichtig optimistisch mit Blick auf eine mögliche neue Feuerpause im Gaza-Krieg und die Freilassung weiterer Geiseln. "Wir können noch nicht über ein bevorstehendes Abkommen sprechen, aber auf der Grundlage der Gespräche, die wir am Wochenende und in den letzten Tagen geführt haben, haben wir das Gefühl, dass es in eine gute Richtung geht", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Montag in Washington.
Am Wochenende hatten Vertreter der USA, Israels, Ägyptens und Katars in Paris über eine neue Feuerpause beraten. Es seien gute Fortschritte gemacht worden, um zumindest den Grundstein für einen Weg nach vorne zu legen, sagte der katarische Ministerpräsident und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani dem US-Sender MSNBC.
Vor den Beratungen habe es eine klare Forderung nach einem dauerhaften Waffenstillstand gegeben – diese Möglichkeit bestehe, sagte Al Thani. Der "Times of Israel" zufolge pochte die Hamas am Montagabend in einer gemeinsamen Erklärung mit der Terrorgruppe Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) darauf, dass Israel seine "Aggression" beenden und sich aus Gaza zurückziehen müsse, bevor ein Abkommen zustande kommen könne. Laut Schätzungen befinden sich noch etwas mehr als 130 Menschen in der Gewalt der Islamisten.
Israel: Mindestens ein Viertel der Hamas ausgeschaltet
Nach israelischer Darstellung wurde inzwischen mindestens die Hälfte der Hamas-Kämpfer getötet oder verwundet. "Wir haben bereits mindestens ein Viertel der Hamas-Terroristen ausgeschaltet, und es gibt eine ähnliche Zahl verwundeter Terroristen", sagte Verteidigungsminister Joav Galant am Montag. Unabhängig lassen sich seine Angaben gegenwärtig nicht überprüfen. Wie das Nachrichtenportal "Axios" am Montag unter Berufung auf vier US-amerikanische und israelische Beamte berichtete, hat Galant der US-Regierung versichert, dass er und das Militär eine Wiederbesiedlung Gazas durch Israelis verhindern würden. Eine geplante Pufferzone in dem Gebiet werde vorübergehender Natur sein und nur Sicherheitszwecken dienen.
Blinken: Lage in Nahost gefährlich wie lange nicht mehr
Die Lage in Nahost ist nach Einschätzung von US-Außenminister Blinken so gefährlich wie lange nicht mehr. "Ich behaupte, dass wir in der gesamten Region seit mindestens 1973 – vielleicht sogar davor – keine so gefährliche Situation mehr erlebt haben wie jetzt", sagte Blinken am Montag in Washington bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Mit der Jahreszahl bezog er sich wahrscheinlich auf den Jom-Kippur-Krieg, der am 6. Oktober 1973 begonnen hatte, als eine Allianz arabischer Staaten unter Führung Ägyptens und Syriens überraschend Israel überfiel. Damals wurden mehr als 2600 israelische Soldaten getötet und mehr als 7000 verletzt.