Regierungskrise in London Liz Truss steht mit dem Rücken zur Wand – die britische Presse glaubt, "ihre Zeit ist um"

Premierministerin Liz Truss
Sie selbst denkt nicht daran aufzugeben: Premierministerin Liz Truss
© Daniel Leal / Getty Images
Gerade erst in die Downing Street eingezogen, kämpft Liz Truss schon wieder um ihr politisches Überleben. Während die britische Presse bereits die Tage der Premierministerin zählt, bringt sich die Labour-Partei in Position.

Es läuft nicht gut für Liz Truss. Kaum fünf Wochen im Amt, muss die britische Premierministerin um ihren Platz an der Spitze fürchten. Die konservative Tory-Politikerin hatte das Steuer in einer denkbar schwierigen Lage übernommen. Nachdem Boris Johnson Anfang Juli offiziell seinen Rücktritt verkündet hatte, war das politische London über den Sommer wie eingefroren. Ausgerechnet in einer Zeit, in der das Land angesichts einer zweistelligen Inflation, der Energiekrise und explodierender Lebenshaltungskosten dringend Führung benötigt hätte.

Siegesgewiss zog Truss Anfang September in die Downing Street ein und versprach "Wachstum, Wachstum, Wachstum". Doch mit der Ankündigung von massiven Steuererleichterungen – ohne jegliche Pläne zur Gegenfinanzierung – löste ihre Regierung prompt eine Krise an den Finanzmärkten aus. Das britische Pfund rauschte in den Keller, Anleger zogen sich verschreckt zurück, sodass die Zentralbank einschreiten musste.

Fünf Wochen und zwei steuerpolitische Kehrtwenden später, befindet sich Großbritannien nicht mehr in stürmischem Fahrwasser. Das Schiff läuft viel mehr Gefahr zu kentern.

Liz Truss zieht die Notbremse – und opfert ihren Finanzminister 

Am Freitag zog die Premierministerin dann die Notbremse. Zunächst feuerte sie ihren Finanzminister Kwasi Kwarteng und holte sich mit dem frühere Außen- und Gesundheitsminister Jeremy Hunt einen regierungserfahrenen Schatzkanzler an Bord. Anschließend ruderte Truss bei der Senkung der Unternehmenssteuer zurück und kassierte damit das Herzstück ihrer massiv kritisierten Steuerpläne ein. Doch von Einsicht war auf der nur acht Minuten andauernden Pressekonferenz nicht viel zu spüren. Stattdessen beharrte die Regierungschefin darauf, auf dem richtigen Weg zu sein. Teile ihres sogenannten Mini-Budgets seien schlicht "weitergehender" gewesen und "rascher" gekommen, als die Märkte erwartet hatten, behauptete sie.

Mehrere politische Beobachter werten speziell den plötzlichen Rauswurf ihres Finanzministers als Versuch, sich Zeit zu verschaffen – und ihr eigenes politisches Überleben zu retten. Ob es ihr am Ende helfen wird, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, bleibt abzuwarten. Fest steht, die Frage, wie lange sich die Premierministerin noch im Amt halten kann, bestimmt längst die Schlagzeilen der britischen Presse.

"Hält sich Liz Truss länger als dieser Salat?", fragte die Boulevardzeitung "Daily Star" am Freitag gehässig – und startete einen Youtube-Livestream, auf dem ein Foto der Regierungschefin neben einem Salatkopf mit blonder Perücke und aufgeklebten Augen zu sehen ist. Zuvor hatte der "Economist" Truss bescheinigt, die Haltbarkeitsdauer eines Salats zu haben.

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"Truss kämpft ums Überleben": Regierungskrise auf den Titelseiten

Von einem "Tag des Chaos" spricht der "Guardian" und hält fest, dass die Pressekonferenz von Truss aus "acht Minuten, vier Fragen und keiner Entschuldigung" bestand. Dass die Premierministerin ihren Finanzminister nach nur 38 Tagen im Amt entlässt und in ihrer Steuerpolitik erneut zurückrudern muss, wird als "demütigende" Kehrtwende bezeichnet.

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Der "Telegraph" titelt: "Truss klammert sich an die Macht, nachdem sie Kwarteng abgesägt hat". Die Zeitung berichtet über "einen außergewöhnlichen Tag der Kehrtwenden in Westminster, der die Tory-Abgeordneten verzweifeln lässt und die Verschwörung unter einigen Rebellen beschleunigt, die versuchten, Truss zu entfernen". 

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"Truss kämpft ums Überleben", bringt es die "Times" auf der Titelseite auf den Punkt. In dem Artikel heißt es, Kwarteng glaube, die Schritte der Premierministerin ihr "nur ein paar Wochen" gekauft hätten.

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Auch die "Financial Times" konzentriert sich auf den geopferten Finanzminister: "Truss feuert Kwarteng, um das Amt des Premiers zu retten", heißt es da. Der renommierte politische Kommentator Robert Shrimsley wirft die Frage auf, "was Liz Truss überhaupt noch für einen Sinn hat" angesichts ihrer vielen politischen Kehrtwenden.

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"Wie viel mehr kann sie (und der Rest von uns) noch ertragen?", fragt die "Daily Mail" anklagend. Das Blatt schreibt, die jüngsten Schritte von Truss hätten "das Herz aus ihren Plänen zur Ankurbelung des Wachstums gerissen". Nun würden einige Minister die Möglichkeit erörtern, einen neue Führungsspitze einzusetzen.

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Für den "Daily Mirror" ist die Sache offenbar schon entschieden. Das Blatt sieht in Liz Truss keine Zukunft mehr und titelt in weißen Großbuchstaben "Ihre Zeit ist um". Die Zeitung berichtet über lauter werdende Rufe nach Parlamentswahlen und den Wunsch von Labour-Chef Keir Starmer nach einem Regierungswechsel.

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Labour führt in Umfragen mit 30 Punkten vor Tories

Sollte Liz Truss wirklich die Vertrauensfrage gestellt werden, dürfte Großbritannien bald den fünften Regierungschef in sechs Jahren bekommen. Da Truss selbst kein Mandat hat, wäre eine vorgezogene Neuwahl quasi unausweichlich. Für die Konservativen könnte eine Neuwahl jedoch bitter enden: In Umfragen führt die oppositionelle Labour-Partei teils mit mehr als 30 Prozentpunkten Vorsprung.

Deren Parteichef Keir Starmer bezeichnete die Entlassung von Kwarteng am Samstag als "groteskes Chaos". Die derzeitige Situation sei aus historischer Sicht beispiellos, sagte er auf einem regionalen Parteitag in Barnsley. "Diese Regierung hat unserer Wirtschaft zwölf Jahre lang Schaden zugefügt, und weil das Kamikaze-Budget noch mehr Schaden angerichtet hat, sind wir natürlich besorgt." Was es brauche, sei nicht ein Wechsel an der Spitze der Tories, sondern ein Regierungswechsel.