Nahost Unmut über Gefangenenaustausch

Von Sabine Brandes
Im Nahen Osten werden seit langem wieder Gefangene ausgetauscht. Zwei israelische Soldaten gegen den Terroristen Samir Kuntar. Allerdings weiß niemand, ob die Israelis noch leben. Und Gilad Shalit, dessen Entführung den Libanon-Krieg ausgelöst hatte, ist nicht einmal Teil des umstrittenen Handels.

Die Aufkleber an Kofferraum und Heckscheibe der Subarus, Toyotas oder Mazdas auf Israels Straßen sind eindeutig: "Lasst nicht Gleichgültigkeit sie töten", heißt es da in blauen Buchstaben auf weißem Grund. Daneben sind die drei Gesichter der im zweiten Libanonkrieg des Sommers 2006 entführten israelischen Soldaten zu sehen: Ehud Goldwasser, Eldad Regev und Gilad Shalit. Immer wieder gab es Verhandlungen - immer wieder Enttäuschungen. Jetzt scheint es, als stünde der Austausch tatsächlich kurz bevor.

Ob die von der libanesischen Hisbollah-Miliz festgehaltenen Goldwasser und Regev noch leben, weiß hier niemand genau. Keine Nachricht über ihren Gesundheitszustand, kein Lebenszeichen, lediglich eisiges Schweigen jenseits der Grenze. Für die meisten Israelis ist das Indiz genug, dass die beiden schon lange tot sind. Geraunt jedoch wird es in der Bevölkerung lediglich hinter vorgehaltener Hand, obwohl sogar Premierminister Ehud Olmert jetzt einräumte, sie seien wohl nicht mehr am Leben.

Jüngst bestätigte die Knesset den Handel zwischen Israel und der Hisbollah. Innerhalb der kommenden zwei Wochen soll der Austausch mit Hilfe des Roten Kreuzes an der Grenze der beiden Länder stattfinden. Der Deal lautet: Goldwasser und Regev sowie sterbliche Überreste gefallener Soldaten gegen den libanesischen Terroristen Samir Kuntar, der 1979 eine israelische Familie getötet hatte. Dazu werden einige palästinensische Gefangene, vor allem Minderjährige und Frauen, die Gefängnisse verlassen. Bis zuletzt hatte sich Olmert kategorisch geweigert, Palästinenser mit "Blut an den Händen" gehen zu lassen.

Kuntar galt zwei Jahrzehnte lang als Faustpfand für den seit 1986 im Libanon vermissten Piloten Ron Arad. Bereits im Vorfeld hatte Hisbollah durch den deutschen Vermittler Gerhard Conrad Aufzeichnungen übergeben, die besagen, dass die Miliz sich zumindest bemüht habe, Informationen über Arads Verbleib zu beschaffen. Das Fazit des Papiers: Ron Arad ist tot.

Es ist ein grausames Spiel, das die Terrororganisation da immer wieder spielt. In diesem Fall warten und hoffen die Angehörigen der Geiseln seit zwei Jahren auf das kleinste Zeichen, das andeutet, ihre Lieben könnten eines Tages unversehrt in ihre Arme zurückkehren. Allen voran die junge Ehefrau Karnit Goldwasser. Nie gab sie auf oder wollte sich damit abfinden, dass "Udi" ihr entrissen wurde. Unermüdlich reiste sie mit ihren Schwiegereltern durch die ganze Welt, um das Schicksal ihres Mannes und das Eldad Regevs in das Bewusstsein der Menschen zu bringen. "Wir dürfen nicht gleichgültig werden", sagt sie stets. Jetzt, so kurz vor dem Austausch, sagt sie leise: "Ich will nur eins, dass die unerträgliche Ungewissheit ein Ende hat und Udi nach Hause kommt."

Immerhin hat sie kürzlich ein Lebenszeichen erhalten

Familie Shalit kann so bald nicht auf eine Freilassung ihres Sohnes hoffen. Immerhin hat sie kürzlich ein Lebenszeichen erhalten. Einen einseitigen Brief, den er offensichtlich im Juni verfasst hat. Gilad beschreibt darin, wie sehr er seine Familie vermisst, wie schwer es für ihn sei: "Ich habe körperliche wie psychologische Schwierigkeiten und Depressionen, die Teil dieser Art von Leben sind."

Die palästinensische Terrororganisation Hamas hat Gilad zu Beginn des Libanonkrieges an der Grenze zu Gaza entführt. Er war Soldat und gerade 18 Jahre alt. Um die fragilen Verhandlungen nicht zu gefährden, hielten sich seine Eltern stets aus der Öffentlichkeit heraus. Bis jetzt. Nach dem Abkommen zwischen der Regierung und Hamas über einen Waffenstillstand - das Gilad nicht beinhaltete - riss Aviva und Noam Shalit der Geduldsfaden.

"Es gibt kein Licht am Ende des Tunnels", beschreibt Mutter Aviva ihr Gefühl. Der Vater fügt hinzu, dass er nicht verstehe, warum die hoch entwickelte Armee seines Landes es nicht schafft, seinen Jungen zu befreien, der offenbar in einem Keller in Gaza, "hier um die Ecke, nicht irgendwo in Bora Bora", gefangen gehalten wird. Die Shalits klagten vor dem Obersten Gerichtshof gegen die Verhandlungen mit Hamas, die die Freilassung ihres Sohnes nicht einbeziehen. Sie scheiterten.

Währenddessen ist die Waffenruhe schon nach weniger als einer Woche brüchig geworden. Es war wieder die dauerattackierte südisraelische Stadt Sderot, in der die Alarmsysteme schrillten, während vier Kassams aus Richtung Gazastreifen einschlugen. Doch die Armee hielt sich zurück. Zumindest in Gaza. Im Westjordanland jedoch führte sie eine Militäroperation durch, deckte verschiedene Waffenlager auf und tötete zwei militante Palästinenser. Die Region ist nicht Bestandteil des Waffenstillstandsabkommens, das die Ägypter vermittelt hatten.

Nach einem weiteren Raketeneinschlag ließ Verteidigungsminister Ehud Barak den Gazastreifen wieder abriegeln. Lediglich der Erez-Übergang blieb aus humanitären Gründen geöffnet. Für die Menschen in Gaza bedeutet das erneut keine Medikamentenversorgung, kein neuer Treibstoff, keine medizinische Ausrüstung oder dringend benötigte Lebensmittel. Für die entführten Soldaten - allen voran Gilad Shalit - heißt das, wieder ein Stückchen weiter entfernt von der Freiheit zu sein.

Gilad ist mittlerweile 20 Jahre alt geworden und seit mehr als 740 Tagen Gefangener. Er schreibt: "Ich träume von dem Tag, an dem ich befreit werde, an dem ich euch wieder sehen werde."