Menschen gehen in Scharen auf die Straßen, blockieren Fernstraßen, ja sogar die Landebahn von Perus größtem internationalen Flughafen. Die Lage ist nun aus Sicht der Regierung so dramatisch eskaliert, dass der Ausnahmezustand verhängt wurde. Was ist da genau los in Peru? Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Warum gehen die Menschen in Peru auf die Straßen?
Hintergrund der teils gewaltsamen Unruhen in Peru sind die massive soziale Ungerechtigkeit in dem Land und die politischen Machtkämpfe. Jeder Staatschef seit 1990 stand entweder unter Korruptionsverdacht oder wurde deshalb verurteilt. Peru ist schon seit Jahren Schauplatz politischer Unruhen, die Bürger fordern ein Ende der Korruption. Die Absetzung von Ex-Präsident Pedro Castillo hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Vielen galt er als Hoffnungsträger der armen Landbevölkerung, da er zu Beginn seiner Amtszeit versprochen hatte, gegen die gesellschaftliche Spaltung in Peru vorzugehen. Die versprochenen Reformen setzte er allerdings nie um.
Warum wurde Pedro Castillo abgesetzt?
Wenige Stunden bevor der Kongress das dritte Amtsenthebungsverfahren gegen Castillo abhalten konnte, löste der das Gremium auf. Castillo wollte damit einem Misstrauensvotum im Parlament zuvorkommen. Er wurde daraufhin wegen "Moralischer Unfähigkeit" des Amtes enthoben. Ihm werden "Rebellion und Verschwörung" sowie Staatsstreich vorgeworfen.
An Castillos Stelle regiert nun seine frühere Stellvertreterin Dina Boluarte, die als erste Frau an Perus Spitze vereidigt wurde. Castillo nennt sie eine Räuberin seines Amtes, in sozialen Medien warf er dem Kongress außerdem vor, von Beginn an gegen seine Regierung agiert zu haben und erklärte, er werde nicht auf sein Amt verzichten.
Wie reagiert die Bevölkerung auf die Absetzung des Präsidenten?
Tausende Menschen im ganzen Land forderten den Rücktritt von Castillos Nachfolgerin Dina Boluarte, die Schließung des Parlaments, baldige Neuwahlen und die Freilassung des Ex-Präsidenten, der in Untersuchungshaft sitzt. Proteste gab es sowohl in der Hauptstadt Lima, wo die Demonstranten Einrichtungen der Staatsanwaltschaft sowie Radio- und Fernsehsender angriffen. Auf dem Flughafen von Arequipa stürmten die Protestler die Landebahn, zerstörten die Sicherheitsinfrastruktur und zündeten ein Wachhäuschen an. Der Flughafen musste geschlossen werden. In mehreren Landesteilen blockierten die Demonstranten Fernstraßen, aus Sicherheitsgründen sperrte die peruanische Staatsbahn "PeruRail" die Zugstrecke zwischen Cusco und Machu Picchu.
Gab es Opfer bei den Protesten?
Bei dem Sturm auf den Flughafen sind laut Medienberichten vier Menschen verletzt worden. Die Ombudsfrau für Menschenrechte, Eliana Revollar, sprach am Montag von sieben Toten binnen zwei Tagen, darunter zwei Minderjährige. Alle Opfer seien durch Schüsse ums Leben gekommen. Es gebe 32 zivile Verletzte und 24 verletzte Polizisten, sagte Revollar. Nach aktuellen Regierungsangaben sind in verschiedenen Landesteilen Perus bisher acht Menschen ums Leben gekommen. Weitere 19 Personen wurden in der Hauptstadt Lima und den Regionen Apurímac, Huancavelica, Arequipa und La Libertad ins Krankenhaus gebracht, wie das peruanische Gesundheitsministerium mitteilte.
Wie reagiert die neue peruanische Regierung auf die Unruhen?
Angesichts der Unruhen hat die neue Regierung einen Ausnahmezustand über das ganze Land verhängt. Laut einer Mitteilung im Amtsblatt "El Peruano" soll die Regelung zunächst 30 Tage lang gelten. Damit ist die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit ausgesetzt. Die Polizei werde mit Unterstützung der Streitkräfte die innere Ordnung aufrechterhalten, sagte Außenminister Luis Alberto Otárola.
Um die Bürger zu beruhigen, deutete Präsidentin Dina Boluarte vor der Presse an, die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen auf Dezember 2023 vorzuziehen. Die nächsten Wahlen sollten ursprünglich 2026 stattfinden, Boluarte hatte zuletzt angekündigt, diese auf April 2024 vorzuziehen.
Wie reagiert Castillo?
Er sei "gedemütigt" und "entführt" worden, schrieb Castillo am Montag auf Twitter.
Der Ex-Präsident sitzt derzeit eine siebentägige Untersuchungshaft ab. Seinen Berufungsantrag wies ein Richter nach einer virtuellen Anhörung als "unbegründet" ab. Die peruanische Staatsanwaltschaft hat derweil einen Antrag auf eine 18-monatige U-Haft gestellt. Bei der Anhörung hatte Castillo bekräftigt, er werde "niemals" aufgeben". Er bezeichnete seine Festnahme ungerecht und willkürlich. Er forderte das Militär und die Polizei auf, "ihre Waffen niederzulegen und das Töten dieses nach Gerechtigkeit dürstenden Volkes einzustellen".
Warum wollen die Bürger Castillo zurück?
Obwohl die ärmere Bevölkerung bisher kaum von den Versprechen Castillos profitiert hat, hat der Politiker vor allem in der Andenregion viele Unterstützer. Viele Peruaner sind der Ansicht, Boluarte, Castillos Nachfolgerin, sei unrechtmäßig an die Macht gelangt. Eine Demonstrantin sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, Boluarte sei nicht gewählt worden und würde deshalb das Volk nicht repräsentieren. Der Politikwissenschaftler Alberto Vergara äußerte gegenüber der größten spanischen Zeitung "El País" allerdings Zweifel, ob die Absetzung Castillos etwas an der politischen Instabilität ändern werde.
Wer steht noch hinter dem Ex-Präsidenten?
Rückendeckung bekommt der entmachtete Castillo neben seinen bürgerlichen Anhängern in Peru auch von Mexiko, Argentinien, Kolumbien und Bolivien. In einer gemeinsamen Erklärung bezeichneten die Linksregierungen dieser Länder Castillo als Opfer einer "feindlichen und antidemokratischen" Bewegung.
Quellen: "Tagesschau", Twitter, "El País", "Deutsche Welle", mit Material von AFP und DPA