Piraten vor Somalia Mundraub an den eigenen Leuten

Die somalischen Piraten machen auch vor Hilfslieferungen nicht halt. Gleich zwei Frachter mit Nahrungsmitteln für die hungernde Bevölkerung Ostafrikas sind ins Visier der Seeräuber geraten. Nun fürchten Vertreter des Welternährungsprogramms, dass die Versorgung von Millionen Bedürftiger gefährdet sein könnte.

Eine kurze Zeit schien die erhöhte Militärpräsenz vor der piratenverseuchten Küste Ost-Somalias Wirkung zu zeigen. Relativ ruhig war es Anfang des Jahres, doch seit einigen Wochen schlagen die Seeräuber wieder zu: Allein im März und April wurden 25 Schiffe angegriffen, sieben davon gekapert. 74 Matrosen sind zurzeit in der Gewalt der Entführer, darunter fünf Deutsche. Und es trifft nicht nur Handelsschiffe mit Konsumgütern, sondern immer öfter auch Nahrungslieferungen für die hungernde Bevölkerung des schwarzen Kontinents.

Gleich zwei Schiffe des UN-Welternährungsprogramms WFP sind in den vergangenen Tagen ins Visier der Piraten geraten: Die "Sea Horse" wurde außerhalb des Schutzgebiets, rund 700 Kilometer von der somalischen Küste entführt, sowie die "Liberty Sun", die mit Hilfe der "USS Bainbridge" entkommen konnte. Der unter US-Flagge fahrende Frachter hatte etwa zur Hälfte Lebensmittel beladen: 27.000 Tonnen Maismehl, Weizenmehl, Erbsen und Linsen, bestimmt für Kenia, Somalia und den Süden Sudans. WFP-Leiter Ralf Südhoff spricht von einer "dramatischen Entwicklung, die die Versorgungslage von Millionen von Hungernden gefährdet". Freilich haben es die Kriminellen zur See hauptsächlich auf die Schiffe und weniger auf die Ladung abgesehen, doch sie schädigen mit ihren Raubzügen ihre eigenen Schicksalsgenossen in den Armenhäusern Afrikas.

Die Ärmsten der Armen leben in Somalia. Das Land, in dem seit Jahren Anarchie herrscht, gilt als Hochburg der Piraten. Meist sind es ehemalige Fischer, die aus der Not heraus Schiffe kapern.

Die Hauptstadt Mogadischu ist deswegen eines der Zielhäfen für die Hilfskonvois der WFP, die in den vergangenen Monaten entsprechend gut geschützt wurden. "Dank der Eskorten sind unsere Schiffe in letzter Zeit immer sicher angekommen", sagt Südhoff stern.de. Weil die Piraten wenig Lust auf eine Konfrontation mit den hochgerüsteten Kreuzern haben, verlagern sie ihre Beutezüge aber nun in den Süden, Richtung kenianische Küste. "Eine erschreckend neue Entwicklung", so der deutsche WFP-Leiter. Denn nun würde nicht nur das Problem verlagert, sondern gleichzeitig das bisherige Einsatzgebiet der internationalen Kriegsflotte noch größer und unüberschaubarer als ohnehin schon. Nicht einmal 20 Kriegsschiffe sind für ein Gebiet von der achtfachen Größe Deutschland zuständig.

Ausweichen auf die Weiten des Indischen Ozeans

Schon jetzt weichen die Seeräuber auf die Weiten des Indischen Ozeans aus, fernab von den Patrouillenrouten der verschiedenen Anti-Piraterie-Missionen der EU, der Nato, der USA sowie Japans, Chinas und Russlands. Anfang April wurde sogar eine Yacht bei den Seychellen gekapert - mehr als 1000 Seemeilen entfernt von Somalia. Angesichts der enormen Entfernungen, die die modernen Freibeuter mittlerweile zurücklegen können, werden wohl immer mehr Hilfslieferungen in Gefahr geraten. Das Welternährungsprogramm hat zwar gute Erfahrungen mit den militärischen Begleitschiffen Richtung Somalia gemacht - doch bis eine entsprechende Bitte des WFP nach zusätzlichen Eskorten für die südlicheren Routen nachkommen wird, könne erfahrungsgemäß sehr viel Zeit vergehen, so Südhoff.

Im schlimmsten Fall müssten die Nahrungslieferungen in die von Hunger betroffenen Gebiete vollständig eingestellt werden. Im Süden Somalias wurden in diesem Jahr zwei WFP-Mitarbeiter erschossen. Schlimm genug, darüberhinaus "könnten wir nicht akzeptieren, dass irgendwann einmal zwei von drei Schiffen mit Nahrungsmitteln nicht mehr ankommen", sagt Ralf Südhoff. Schon jetzt verlangen die Versicherungen Sonderzuschläge für die gefährliche Passage, die die Transporte immer teuerer macht. "Bereits vor den Entführungen mussten wir mangels Ressourcen bereits Essensrationen für Hunderttausende Flüchtlinge in Kenia zu kürzen“, so Südhoff. Zudem würden sich viele Reeder immer häufiger weigern, ihre Schiffe an die Küste Ostafrikas zu schicken.

Es wäre nicht das erste Mal, dass das UN-Welternährungsprogramm Hilfslieferungen aus Sicherheitsgründen stoppt. So kapitulierte das WFP bereits vor den Kämpfen in der sudanesischen Unruheprovinz Dafur und stellte die Unterstützung der dortigen Bevölkerung zwischenzeitlich ein. Allein in Kenia, Somalia und Uganda sind fast acht Millionen Menschen von den Nahrungslieferungen des WFP abhängig - der überwiegende Teil davon erreicht die Region über den Seeweg.

Angesichts des sich dramatisch zuspitzenden Problems überbietet sich die Politik mit möglichen Lösungen - wohl wissend, dass stärkere Militärpräsenz das Piraterie-Problem natürlich nicht grundsätzlich lösen wird. Der FDP-Verteidigungspolitiker Rainer Stinner fordert, dass Soldaten gefährdete Frachter nicht nur begleiten und beschützen, sondern auch die Mutterschiffe der Seeräuber, von denen sie aus ihre Überfälle begehen, zerstören dürfen. "Wir wissen doch, wo die sich aufhalten", so Stinner zu stern.de. Nun sei es an der Politik, das bestehende Mandat so zu erweitern, dass die internationale Gemeinschaft gegen diese Basisboote vorgehen kann.

"Natürlich kann jeder seinen Lieblingsvorschlag einbringen"

Andere Experten aus Politik und Militär fordern zudem eine bessere Luftaufklärung über dem Einsatzgebiet. Der Grünen-Abgeordnete Omid Nouripour beklagt etwa die mangelnde Koordinierung der verschiedenen Einsätze der EU, der Nato und anderen Ländern. Der außen- und sicherheitspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Thomas Silberhorn, dagegen setzt auf die Abschreckungswirkung eines "Piratengerichtshofs", angesiedelt am Internationalen Seegerichtshof in Hamburg. Christian Dienst, Sprecher des Verteidigungsministeriums, kommentiert sämtliche Vorschläge mit den lakonischen Worten: "Natürlich kann jeder seinen Lieblingsvorschlag einbringen. Die Frage der Durchsetzung ist dadurch noch lange nicht beantwortet."