Rede von Sarah Palin Die Macht des ersten Eindrucks

Sie hielt den Erwartungen stand: John McCains Vizewahl Sarah Palin gab sich auf dem Parteitag der Republikaner als Kämpferin, als Bannerträgerin konservativer Werte. Zum Abschluss ihrer Rede gab es Familie satt, und selbst ein Überraschungsgast aus Alaska wurde präsentiert.
Von Katja Gloger, St. Paul

Gerade mal eine Woche ist die Dame nun Kandidatin für das zweitmächtigste Amt in der Welt - und schon herrscht ein Kultur-Krieg um Sarah Palin, 44. Ein Krieg mit merkwürdigen Frontverläufen. Da wurde in den Talkshows ausführlich darüber diskutiert, ob eine fünffache Mutter den anspruchsvollen Aufgaben im Weißen Haus wirklich gewachsen sei. Da erklärten erzkonservative Frauen eine überzeugte Abtreibungsgegnerin zur neuen Vorkämpferin des Feminismus.

Und dann schwang sich auch noch der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani zum obersten Frauenverteidiger auf - der Mann, der seiner Frau einst per Zeitung mitteilen ließ, dass er sie verlassen werde. "Sie hat mehr Erfahrung als die beiden demokratischen Kandidaten zusammen", gab er in einem Interview nach dem anderen zu Protokoll. Und war sogar überzeugt, dass diese Sarah Palin selbst eine Krise wie den 11. September mühelos meistern würde.

Tagelang hatte die Gouverneurin des immerhin 670.000 Einwohner zählenden Staates Alaska die nachrichtenhungrige Nation mit Schlagzeilen versorgt - allerdings mit ganz anderen, als John McCains Wahlkampfstrategen geplant hatten. Etwa der angeblich rigorose Auswahlprozess für das Amt des Vizepräsidenten - McCain hatte die Frau offenbar erst in letzter Minute ausgewählt. Ihre Qualifikation für einen Job, von dem möglicherweise die Sicherheit der Welt abhängt - bis vor kurzem war sie Bürgermeisterin eines freundlichen 7000-Einwohner-Städtchens in Alaska. Und dann auch noch die Schwangerschaft ihrer gerade mal 17-jährigen Tochter Bristol, einer Schülerin. Der Vater: ein 17-jähriger Schüler. Welch eine Story für die Medienmaschine!

Konservative verteidigen Palin

Gestern schalteten die Wahlkampf-Manipulatoren auf Gegenangriff, schlugen aggressiv zurück: Die Gouverneurin habe mehr exekutive Erfahrung als Obama, tönte McCains oberster Wahlkampfmanager Steve Schmidt. Das konservative "Wall Street Journal" argumentierte mit alten Vorurteilen: "Die politische Klasse in Washington rebelliert mit aller Kraft gegen eine nicht-domestizierte Konservative, die eine Bedrohung für die Krönung ihres Kandidaten Obama darstellen könnte. Denn Palin ist sehr populär bei Konservativen in der weißen Mittelklasse." Und die ehemalige Gouverneurin von Massachusetts wusste sowieso, wer schuld ist: die linken Medien, die eine "Schmierenkampagne" inszeniert hätten - und suggerierte, Sarah Palin sei Objekt sexistischer Angriffe wie einst Hillary Clinton. Und über die angeblich einseitige Kritik der Medien an seiner Wahl regte sich John McCain so auf, dass er ein Interview in der populären Talkshow Larry King absagte.

Der republikanische Kongressabgeordnete Steve Hoekstra wiederum gab die "talking points" der Wahlkämpfer wieder, als er Sarah Palin kühn als "erfahrene Reformerin" beschrieb, die "die Bürokraten in Washington angreift."

Mit einer riskanten Strategie des Doppelschlages will John McCain in den kommenden Wochen weiter gegen Obama punkten : Zum einen will er sich und seine Vize-Kandidatin als erfahrene Reformer darstellen, auf die man sich verlassen kann - und nicht ein luftiger "Hoffnungsverkäufer" wie Barack Obama. Mit dem Image als "Maverick", als Washingtoner Außenseiter, will er den Kampf gegen das Establishment propagieren - damit sollen konservative Demokraten und Wechselwähler gewonnen werden. Und dazu an seiner Seite: eine handfeste, zupackende Frau mit echten erzkonservativen Werten, die die Parteibasis mitreißt. Wie erklärte George Pataki, der ehemalige Gouverneur des Bundesstaates New York gestern unermüdlich: "Wir sind alle so unglaublich begeistert."

Für McCain steht viel auf dem Spiel

So sollte der Boden bereitet werden für Sarah Palins großen Auftritt in St. Paul. Mehr als 30 Minuten zur besten Sendezeit, keine kritischen Fragen, ein jubelndes Publikum - so würde sich Sarah Palin dem amerikanischen Volk vorstellen. Natürlich war es die wichtigste Rede in ihrem politischen Leben - vor allem aber waren es entscheidende 30 Minuten für John McCain: Denn auch für ihn hieß es gestern "Schwimm oder gehe unter." Friss oder stirb.

Denn diese Rede würde zeigen, ob er mit seiner überraschenden Wahl richtig lag oder nicht. Sie würde zeigen, ob er über weises Urteilsvermögen verfügt oder doch noch seinem Temperament folgt, das selbst Freunde als "unberechenbar" bezeichnen. Viele der republikanischen Granden sind entsetzt über McCains Entscheidung. Palin schrecke die wichtigen Wechselwähler ab, mahnen sie, die unerfahrene Politikerin lasse Zweifel an der Kompetenz und Verlässlichkeit des Kandidaten John McCain aufkommen.

Karl Rove, vor vier Jahren "Architekt" des Wahlsieges von George W. Bush, kritisierte höflich: "Die Entscheidung für Sarah Palin ist eine Wahlkampfentscheidung, keine Entscheidung für ein Regierungsamt." "Es ist vorbei", jammerte eine konservative Kommentatorin, die einst für Reagan gearbeitet hatte. "Es kann nicht funktionieren" stöhnte der PR-Fachmann und ehemalige McCain-Mitarbeiter Mike Murphy. "McCains Größe besteht darin, dass er nicht zynisch ist. Aber das ist eine zynische Entscheidung."

Akribisch geplanter Auftritt

Seit vergangenen Sonntag wurde Sarah Palin regelrecht unter Verschluss genommen. Man hatte ihr einen Stab PR-erprobter Mitarbeiter zugeteilt. Wie Matt Scully, einen ehemaligen Redenschreiber von Präsident Bush. Und vor allem Tucker Eskew, ein Mann, der vor acht Jahren einst eine erfolgreiche politische Schmutzkampagne inszeniert hatte - als Mitarbeiter von George W. Bush im Vorwahlkampf gegen John McCain. Man hatte an ihrer Rede gearbeitet, Übungen am Teleprompter absolviert. Gestern Morgen um sechs Uhr wurde Palin zu einer Besichtigung in die Delegiertenhalle geführt, vorsorglich so früh, dass es kaum jemand mitbekam. Und wohlweislich hatte man auch einen schüchtern dreinblickenden jungen Mann nach St. Paul geschafft und mit McCain fotografieren lassen: Levi Johnston, 17, den Verlobten der schwangeren Tochter Bristol,17. Er saß gestern Abend in der Ehrenloge und wusste wohl selbst nicht, wie ihm geschah.

Die Erwartungen himmelhoch, eine Nation am Fernsehen, in den Fernsehstudios saßen Dutzende Experten bereit, um jeden Satz, jede Geste auseinanderzunehmen. Noch nie haben so viele Menschen die Rede eines Vizepräsidentenkandidaten gesehen. Und schon heißt es, Sarah Palin habe möglicherweise mehr Zuschauer bekommen als Barack Obama - und der hatte mit 40 Millionen Zuschauern vergangene Woche schon alle Rekorde geschlagen.

Rudolph Giuliani bereitete den Boden mit einem Angriff auf Barack Obama. Keine Erfahrung, einer, der sich nicht festlegen könne, viel zu "kosmopolitisch", ätzte er. "Wie können die es wagen, zu kritisieren, dass Sarah Palin Zeit mit ihren Kindern verbringt und Vizepräsidentin werden möchte. Haben die etwa jemals einem Mann eine solche Frage gestellt?"

Palins kämpferische Rede

Und dann kam sie, die Debütantin, weiblich, enger schwarzer Rock, knappes silbergraues Jackett, hohe Absätze. Adrett, ein bisschen nervös, eine nette junge Frau von nebenan. "Palin Power" hatten Delegierte aus Maine auf ihre Plakate geschrieben. Sie hatte ihre Geschichte zu verkaufen, eine dieser typisch amerikanischen Geschichten aus der Provinz. "Ich bin eine Hockey-Mama", sagte sie, eine Mutter eben, die ihre Kinder zu den Eishockey Spielen fährt. "Und wissen Sie, welchen Unterschied es zwischen einem Pitbull und einer Hockey-Mama gibt? Lippenstift." Kein Wunder, dass man die Dame einst auch "Sarah Barrakuda" nannte.

Die ganze Familie war angetreten und bekam Ovationen. Die Eltern, beide Grundschullehrer. Gatte Todd , Schneemobilfahrer und Gewerkschafter, hielt das fünf Monate alte Baby im Arm, einen Jungen mit Down-Syndrom. Der älteste Sohn, ein Infanterist, der nächste Woche in den Irak abkommandiert wird. "Als Bürgermeisterin einer kleinen Stadt war ich auch so etwas wie ein Sozialarbeiter", rief Palin mit erhobenem Zeigefinger in Anspielung auf Obamas Biographie. "Allerdings hatte ich Verantwortung zu tragen." Und dann präsentierte sie sich als unkonventionelle Reformerin, die Alaska ordentlich durchschüttelte: "Dann habe ich die Köchin entlassen und das Dienstflugzeug des ehemaligen Gouverneurs auf Ebay verkauft."

Sarah Palin hielt sich haargenau an das Skript, und sie machte ihre Sache gut. Kämpferisch, zupackend, mit erhobenem Zeigefinger: "Obama hat zwei Autobiographien geschrieben, aber noch keine einzige Reform durchgeführt. Er kann stundenlang vom Krieg sprechen, aber kein einziges Mal erwähnt er das Wort Sieg. Da draußen sind Terroristen, die Nuklearwaffen entwickeln wollen - und er will sie ohne Vorbedingungen treffen."

Sie lieferte die bekannten Argumente aus der bekannten republikanischen Trickkiste, dankbar, begeistert jubelten die Delegierten dieses Parteitages, die sich gerade mit ihrem ungeliebten Kandidaten John McCain versöhnen. Inhalte? Die Gouverneurin des ölreichsten Bundesstaates versprach eine neue Energiepolitik: "Wir brauchen mehr amerikanisches Gas und Öl. Wir werden nach Öl bohren, wir werden Pipelines verlegen, wir werden Atomkraftwerke bauen und alternative Energien entwickeln."

Risiko wie Aktivposten zugleich

Und zum Schluss nahm sie ihr kleines Baby in den Arm und dann kam auch John McCain auf die Bühne und wie ein stolzer Großvater lachte er, ein wenig steif noch. Als ob er sich selbst ein bisschen über sich wundere.

Und vielleicht geht sein kühnes Kalkül sogar auf. Die Parteibasis inspiriert vom "Pitbull mit Lippenstift", konservative Demokraten und Wechselwähler können sich vom Versprechen auf vorsichtige Reform und Wandel angesprochen fühlen, Frauen von ihrem Verständnis für Alltagssorgen. Doch es ist ein weiter Weg: Nach Berechnungen aus dem McCain Lager muss er 55 Prozent der Wechselwähler und 15 Prozent der Demokraten auf seine Seite ziehen, um gewinnen zu können.

Auf diesem Weg ist Sarah Palin ebenso Risiko wie Aktivposten. Es wäre ein Fehler, sie zu unterschätzen. Und die Optimisten unter den Republikanern erinnern heute an einen anderen Kandidaten, den man zunächst nicht ernst nahm: ein gewisser Dan Quayle. Man lachte über ihn, machte böse Witze über seine mangelnde Erfahrung. Und dann landete dieser im Weißen Haus - als Vizepräsident unter George Bush.

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