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80. Jahrestag Wie in Russland das Gedenken an die Schlacht von Stalingrad für Propaganda missbraucht wird

Schlacht von Stalingrad
Die Schlacht von Stalingrad im Zweiten Weltkrieg dauerte vom August 1942 bis zum Februar 1943. Am Ende waren mehr als eine Million Menschen tot.
© Tass / AFP
Vor 80 Jahren endete die Schlacht um Stalingrad. Für manchen russischen Propagandisten ist das ein willkommener Anlass, um den Krieg gegen die Ukraine zu legitimieren. Doch zum Gedenken gibt es auch Widerspruch.

80 Jahre nach der Schlacht um Stalingrad – einem der blutigsten Kapitel des Zweiten Weltkriegs – bergen Freiwillige wie Andrej Oreschkin noch heute sterbliche Überreste von damals gefallenen sowjetischen Soldaten. Mehr als eine Million Soldaten der Roten Armee sind bei der monatelangen Verteidigung der Stadt gegen die Deutschen 1942/1943 gestorben. Die unvorstellbare Größe dieses Opfers hat Stalingrad zu einem Symbol des Sieges der Sowjetunion über Nazi-Deutschland gemacht – und zu einem wichtigen Bezugspunkt des heutigen Patriotismus im Konflikt mit der Ukraine.

Kreml zieht Parallelen zwischen Krieg gegen Nazis und Ukraine

Durch die Offensive in der Ukraine hat der Jahrestag am 2. Februar zum Gedenken an die Schlacht von Stalingrad in diesem Jahr noch an Bedeutung gewonnen. Der Kreml bemüht sich seit Monaten, den Einsatz in der Ukraine als einen weiteren Kampf gegen Nazis darzustellen – wie der Kampf gegen die Deutschen, der zwei Generationen zuvor in der südrussischen Stadt ausgetragen wurde, die heute Wolgograd heißt.

Viele Russen sind empfänglich für diese Botschaft, auch Andrej Oreschkin, der eine Initiative zur Suche sterblicher Überreste aus dem Zweiten Weltkrieg leitet. "Natürlich bekämpfen wir den Faschismus" in der Ukraine, sagt er der Nachrichtenagentur AFP an der Kriegsgräberstätte Rossoschka in der Nähe von Wolgograd, wo russische, deutsche und rumänische Soldaten begraben sind. Wie Moskaus Führung sieht auch er die Ursache des Konflikts mit der Ukraine darin, dass der Westen Russlands Entschlossenheit und Fähigkeiten falsch einschätzt. "Damals haben Nazi-Deutschland und seine Verbündeten die Sowjetunion, ihre Macht und den Patriotismus des Volkes unterschätzt. Heute hofft der Westen, dass Russland schwach ist."

Gedenkstätte zur Schlacht von Stalingrad in der Nähe des heutigen Wolgograds
Gedenkstätte zur Schlacht von Stalingrad in der Nähe des heutigen Wolgograds
© Kirill Kudryvtsev / AFP

Solche Vergleiche mit der Vergangenheit finden sich in Wolgograd überall. In der Stadt mit ihren eine Million Einwohnern hält jede Straße die Erinnerung an die Zerstörungen vor 80 Jahren wach. Symbole von Russlands Truppen in der Ukraine – die lateinischen Buchstaben Z und V – werden direkt neben Abzeichen platziert, die die sowjetischen Truppen ehren. Schon als er den Befehl zum Angriff auf die Ukraine gab, kündigte Präsident Wladimir Putin an, er werde die Ukraine "entnazifizieren".

Im Museum für die Schlacht von Stalingrad sagt Mitarbeiterin Tatjana Prikastschikowa, nach Jahrhunderten der Konfrontation sei die westliche Kritik an Russland "nichts Neues". Das Museum hat Feierlichkeiten für die Familien russischer Soldaten organisiert, die in der Ukraine gefallen sind. "Die Botschaft ist, dass ihre Vorfahren den Faschismus bekämpft haben", erklärt Prikastschikowa und zeigt dabei auf ein Panoramabild der Schlacht von Stalingrad. Die russsichen Soldaten heute "folgen dieser Tradition".

Feierlichkeiten zum Jahrestag der Schlacht von Stalingrad

Im Museum fand auch eine Zeremonie der vom Verteidigungsministerium finanzierten patriotischen Jugendarmee statt, bei der Kinder als "Nachfahren der Sieger von Stalingrad" gerühmt wurden. Die bekannten Kriegsdenkmäler von Wolgograd wurden auch als Treffpunkte für Soldaten auf dem Weg in die Ukraine genutzt.

Zum 80. Jahrestag der Schlacht von Stalingrad laufen im heutigen Wolograd die Vorbereitungen
Zum 80. Jahrestag der Schlacht von Stalingrad laufen im heutigen Wolograd die Vorbereitungen
© Kirill Kudryavtsev / AFP

Die meisten Bewohner der Stadt, mit denen AFP gesprochen hat, unterstützen groß angelegte Feierlichkeiten zum Jahrestag der Schlacht von Stalingrad, aber viele wollen nicht unbedingt den Vergleich mit der Ukraine.

Die 21-jährige Chemie-Studentin Jekaterina Sedowa, deren Großvater in Stalingrad gekämpft hat, sagt: "Wir sollten uns (an Stalingrad) erinnern, damit wir nicht wieder dieselben Fehler machen und Schlussfolgerungen daraus ziehen." Sie habe an Gedenkveranstaltungen teilgenommen, aber wolle das Gedenken nicht mit dem Konflikt in der Ukraine vermischen.

"Tragödie für unser Land"

Anderen Befragten sind die Feierlichkeiten, an denen am Donnerstag angeblich auch Präsident Putin teilnehmen will, zu pompös. "Die Schlacht (um Stalingrad) war eine Tragödie für Wolgograd und für unser Land", sagt die 31-jährige Maria Anschakowa. Sie plädiert für ein stilles Gedenken.

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Der Historiker und Aktivist Wjatscheslaw Jaschtschenko erklärt, dass die Feierlichkeiten in den vergangenen Jahren viel aufwändiger begangen wurden als zu Zeiten der Sowjetunion. Die Siege des Zweiten Weltkriegs seien zwar enorm wichtig für sein Land, aber die politische Führung nutze historische Ereignisse, "um das Image des Landes aufzubessern und das Bewusstsein der Leute zu manipulieren".

Historiker und Aktivist Wjatscheslaw Jaschtschenko
Historiker und Aktivist Wjatscheslaw Jaschtschenko
© Kirill Kudryavtsev / AFP

An der Kriegsgräberstätte Rossoschka zeigt Andrej Oreschkin unterdessen Abzeichen von Soldaten, die er in der lehmigen Erde außerhalb von Wolgograd gefunden hat. Seine Organisation hat allein im vergangenen Jahr die sterblichen Überreste von mehr als 1.200 Soldaten der Roten Armee auf den Feldern rund um die Stadt geborgen. "Künftige Generationen müssen vielleicht auch tun, was wir hier machen", seufzt er. "Ich hoffe nur, dass die Toten nicht einfach auf Feldern liegen gelassen werden. Und dass die Verantwortlichen aus unserer Erfahrung lernen."

Ola Cichowlas / AFP / wue

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