Die Parade zum "Tag des Sieges" über Nazideutschland am Dienstag in Moskau hat nach Ansicht britischer Geheimdienstexperten die Schwächen des russischen Militärs offenbart. Der seit 15 Monaten andauernde Angriffskrieg Russlands in der Ukraine stelle die Russen vor Herausforderungen hinsichtlich Material und strategischer Kommunikation, hieß es im täglichen Geheimdienstbericht des Verteidigungsministeriums in London am Mittwoch. Von den 8000 an der Parade teilnehmenden Militärangehörigen seien die meisten Angehörige von Hilfstruppen und paramilitärischen Verbänden sowie Kadetten gewesen. Die einzigen einsatzbereiten regulären Truppen seien Kontingente der Eisenbahntruppen und der Militärpolizei gewesen.
Dass Russland auf die Zurschaustellung von Panzern weitgehend verzichtete, hatte nach Ansicht der Briten aber einen anderen Grund. An der Parade nahm nur ein einziger historischer T-34-Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg teil. "Trotz heftiger Verluste in der Ukraine hätte Russland mehr gepanzerte Fahrzeuge aufbringen können", so die Briten. Es sei daher wahrscheinlich, dass die russischen Behörden Vorwürfe von der eigenen Seite vermeiden wollte, sie priorisierten Paraden gegenüber militärischen Einsätzen.
Presseschau zu Russlands Parade
Auch Kommentatoren internationaler Medien sehen in der Sparversion der Parade ein Indiz für die militärische Schwächung Russlands. Die internationalen Pressestimmen:
"The Times" (London, Vereinigtes Königreich): "In besseren Zeiten war die jährliche Parade zum Tag des Sieges in Moskau der Höhepunkt im PR-Kalender von Wladimir Putin. Eine Gelegenheit für den Präsidenten der Russischen Föderation, in den Erinnerungen an den Großen Vaterländischen Krieg gegen Hitler zu schwelgen und die militärische Macht seines Landes zu präsentieren. Doch der Veranstaltung zum 78. Jahrestag des Ende des Krieges, der mehr als 20 Millionen Sowjetbürgern das Leben gekostet hat, mangelte es an Triumphgefühl. Der Krieg, der 600 Meilen weiter südlich tobt, hat kein Stalingrad oder Kursk hervorgebracht, sondern nur blutige Sackgassen und Demütigungen. Anstelle des Sieges über die Ukraine präsentierte Präsident Putin seinem Volk also den Trostpreis der Opferrolle. Russland, so sagte er in einer zehnminütigen Rede, sei das Opfer einer globalistischen Elite, die die Sowjetunion zerstört habe, sowie von Terrorismus und einem 'neuen Kult' des Nazismus. Die Tragödie ist, dass diese absurde Analyse immer noch von allzu vielen seiner Landsleute geteilt wird."
Keine Panzer, keine Jets, aber tausende Kadetten – die Bilder der Putin-Parade aus Moskau

"The Telegraph" (London, Vereinigtes Königreich): "Die Russen haben behauptet, die Parade sei nach dem jüngsten Drohnenangriff auf den Kreml, den sie der Ukraine anlasteten, aus Sicherheitsgründen reduziert worden. Analysten glauben jedoch, dass die Entscheidung getroffen wurde, um die erheblichen Verluste an Menschen und Material in der Ukraine zu kaschieren. (...) Die Eroberung der Ukraine ist nicht nur gescheitert, sondern die russische Armee hat sich in einem Zermürbungskrieg im Osten festgefahren und erwartet nun eine Gegenoffensive. Putin hat die Widerstandskraft und den Mut des ukrainischen Volkes und die Geschlossenheit des Westens angesichts der Aggression in katastrophaler Weise unterschätzt, während er die Kompetenz des russischen Militärs maßlos überschätzt hat. Allerdings war auch die Nato in Wahrheit davon ausgegangen, dass die Ukraine nicht lange standhalten würde, und alle Annahmen über die russischen Fähigkeiten mussten revidiert werden."
"La Repubblica" (Rom, Italien): "Der Tag des Sieges, der jedes Jahr am 9. Mai an den Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland im Jahr 1945 erinnert, der wichtigste offizielle Feiertag in Wladimir Putins Russland und ein Pfeiler seiner Ideologie, wird zum Beweis seiner Niederlage. Es ist der Auftritt eines Führers in der Defensive. (...) Dem Westen die Schuld zu geben, ist seine Art, die Rückschläge der geplanten Offensive zu rechtfertigen. Da er keine aktuellen Erfolge vorweisen kann, muss Putin die Argumente seiner müden antiwestlichen Rhetorik wiederverwenden und sich auf vergangene Triumphe berufen. Auch hat er keine leeren Drohungen mehr zu bieten. Putin will Normalität demonstrieren, aber er fliegt keine Kampfjets, weil er Angriffe aus der Luft fürchtet, und er hat keine modernen Panzer, die er vorführen könnte, weil sie alle an der Front auf die gefürchtete 'ukrainische Gegenoffensive' warten. Es gibt nur einen einzigen Panzer, einen T-34, sowjetisches Modell, der die Kolonne von Fahrzeugen, Raketen und gepanzerten Fahrzeugen eröffnet. (...) Es gibt wenig zu feiern."
"Ekstra Bladet" (Kopenhagen, Dänemark): "Putin ist ein Lügner. Das wissen wir. Aber man wird immer wieder überrascht davon, wie schamlos er ist. In seiner Rede auf dem Roten Platz bezeichnete er den Krieg in der Ukraine wieder als 'militärische Spezialoperation' – das ist vielleicht die schamloseste von Putins Lügen. Es ist eine Verhöhnung der bis zu 354.000 jungen russischen und ukrainischen Männer, die geleakten US-Dokumenten zufolge bei den Kriegshandlungen gestorben und verwundet worden sein sollen. Das Mindeste, was man für die Toten und ihre Hinterbliebenen tun kann, ist, es beim Namen zu nennen: Es ist Krieg. Und Putin hat ihn angefangen."
"Pravo" (Prag, Tschechien): "Die Machtambitionen des russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen krankhafte Sehnsucht nach Anerkennung haben die russische Nation in einen sinnlosen Eroberungskrieg getrieben, in dem die Nachfahren der einstigen Befreier zu Tausenden sterben. Der Moskauer Militärparade gingen massive Angriffe auf ukrainische Ziele mit Drohnen und Artilleriegeschützen voraus. Genau wie vor einem Jahr hat dies Putin nichts eingebracht, womit er sich brüsten könnte, sondern nur weitere zivile Opfer verursacht. (...) Russland ist wie ein trotziges Kind, das mit dem Kopf gegen die Wand rennt und umso wütender wird, je mehr es wehtut."