Es war ein Moment, wie ihn der US-Kongress lange nicht erlebt hat. Ganze zwei Minuten und 19 Sekunden lang bejubeln Abgeordnete beider Parlamentskammern den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, bevor dieser auch nur ein Wort sagen kann. Dann beginnt der Präsident seine Rede, die später als "historisch" bezeichnet werden wird.
"Trotz aller Widrigkeiten und Untergangsszenarien ist die Ukraine nicht gefallen", ruft Selenskyj den Abgeordneten unter immer wieder aufbrandendem Applaus entgegen. "Die Ukraine lebt und kämpft." Während er sich für die Unterstützung der USA bedankt, hebt er zugleich die Bedeutung des russischen Angriffskrieges hervor – und macht klar, dass sein Land noch mehr Waffen braucht. "Der Kampf wird definieren, in welcher Welt, unsere Kinder und Enkelkinder leben werden, und dann ihre Kinder und Enkelkinder."
Selenskyj dankt den USA – Biden sichert dauerhafte Unterstützung zu
Nicht wenige waren überrascht von der Ankündigung, dass der ukrainische Präsident in die USA kommt. Schließlich ist der Besuch in Washington seine erste Auslandsreise seit Kriegsbeginn im Februar – und kommt damit zu einer entscheidenden Zeit. Mit der Aufrüstung beider Seiten könnte es im bald einjährigen Krieg für die ukrainischen Streitkräfte schwieriger werden, im Osten ihres Landes weiter gegen die russischen Soldaten vorzurücken.
Allerdings schaffte es die ukrainische Armee in den vergangenen zehn Monaten stets, die zuvor übermächtig erscheinenden Russen zunächst rund um Kiew und dann im Osten des Landes zurückzuschlagen. Ohne die USA – den wichtigsten Verbündeten der Ukraine – wäre dies unmöglich gewesen. Das betont auch Selenskyj, als er vor seiner Rede im Kapitol von US-Präsident Joe Biden empfangen wird. Dabei sichert Biden dem ukrainischen Staatschef abermals die dauerhafte Unterstützung der USA und des Westens zu. "Sie werden niemals allein sein", sagt Biden bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Weißen Haus. "Wir werden Ihnen beistehen, so lange es nötig ist."
"Das Licht unseres Glaubens an uns selbst wird nicht erlöschen"
Doch vor dem Kongress macht Selenskyj auch klar, dass es sich bei den knapp 22 Milliarden Dollar an US-Militärhilfe nicht um Almosen handle. Das Geld aus Washington sei "keine Wohltätigkeit – es ist eine Investition in die weltweite Sicherheit und in die Demokratie. Kiew sei das Bollwerk gegen Russland – es sei nur eine Frage der Zeit bis Russland auch Verbündete der USA angreife, warnt der Ukrainer.
Mit Blick auf die anstehenden Feiertage hebt Selenskyj zum Ende seiner Rede erneut das Durchhaltevermögen der Ukrainer hervor. "Wir werden Weihnachten feiern (...), auch wenn es keinen Strom gibt. Das Licht unseres Glaubens an uns selbst wird nicht erlöschen."
Quellen: "NY Times", "Washington Post", mit DPA- und AFP-Material