59 Jahre alt, in der Politik seit einem Vierteljahrhundert, Uni-Abschluss, steht in Großbritannien sehr bald der Regierung vor, durchsetzungsstark, keine Kinder. Fünf Schlagworte, mit denen sich viele Politprofis umschreiben ließen - eine Vita unoriginell wie austauschbar. Doch Theresa May, um die es hier geht, ist, der Name verrät es schon, eine Frau und insoweit immer noch eine Ausnahme.
Theresa May ist entweder eisern oder Angela Merkel
Nach Margaret Thatcher wird sie die zweite Premierministerin des Vereinigten Königreichs werden. Thatcher galt als derartig durchsetzungsstark, dass sie den Beinamen "Eiserne Lady" bekam. Wenn also eine Frau Regierungschefin wird und den für solche Posten üblichen starken Willen besitzt, dann muss sie folglich ebenfalls eine "Eiserne Lady" sein. Oder eine Angela Merkel, was ungefähr aufs Gleiche hinausläuft.
Kaum war May als Nachfolgerin des summend aus dem Amt scheidenden David Cameron nominiert, kam kaum ein Kommentar über die wichtigste Nach-Brexit-Personalie ohne die Worte "eisern" oder "Merkel" aus:
"… die neue 'Eiserne Lady' hat es nicht eilig, die Scheidung von Brüssel zu vollziehen."
("La Charente Libre", Frankreich)
"Die Frau, die britische Premierministerin wird, erinnert an eine andere außergewöhnliche weibliche Führungskraft in Europa: Angela Merkel.
("La Repubblica", Italien)
"Elf Männer und eine 'Eiserne Lady' - Premierminister unter der Queen"
(Nachrichtenagentur DPA)
"Die uncharismatische Ministerin gilt als bodenständig, hartnäckig, zuverlässig und effizient. May könnte als Politikerin mit Angela Merkel verglichen werden …"
("Schwäbische Zeitung", Ravensburg)
"Eine zweite 'Eiserne Lady' für Großbritannien"
(Nachrichtenagentur AFP)
Derzeit gibt es weltweit 14 weibliche Staatsoberhäupter und/oder Regierungschefs, darunter in Polen und Südkorea. Mit Theresa May werden es 15 sein und sollten die Amerikaner im November dem Brachial-Populismus eines Donald Trump widerstehen, dann wird mit Hillary Clinton auch das mächtigste Land der Welt von einer Frau regiert werden. Apropos Hillary Clinton. Auch so eine Top-Politikerin, an der die Etiketten "durchsetzungsstark" und "hart" kleben wie Fusseln am Klettverschluss. Sie trägt sie jedoch mittlerweile mit Stolz als Markenzeichen vor sich her: So nannte sie ihre Memoiren aus dem Jahr 2014 "Hard Choices" also etwa "Schwere Entscheidungen", ein Titel, der das Attribut "hart" unausgesprochen ausspricht.
... und ernsthaft ist sie auch noch
Zurück zu Theresa May: Sie ist nicht nur eine durchsetzungsfähige, eiserne Lady - im Zusammenhang mit ihr fällt auch gerne der Ausdruck "no nonsense", also schlapp ins Gegenteil übersetzt: "ernst". Nun benötigt Großbritannien derzeit ganz sicher jemanden in Downing Street, der die Dinge ernsthaft angeht, nachdem Zockerjungs wie David Cameron oder Boris Johnson es mit ihren Spielereien übertrieben haben. Dass aber eine Eigenschaft wie "Seriösität" überhaupt hervorgehoben werden muss, ist für sich genommen schon ein deprimierendes Zeichen für die politische Landschaft.
Merke: Frauen in politischen Führungspositionen sind "ernsthaft", "hart" und "durchsetzungsfähig" oder zusammengefasst: eiserne Ladys. Von Eisernen Lords dagegen hört man so gut wie nie. Männer werden, wenn schon ein Vergleich von Nöten ist, ohnehin lieber nach oben gehoben: So wie Karl-Theodor zu Guttenberg stets der neue John F. Kennedy war, aber nie der neue Horst Seehofer. Oder Heino Ferch: der deutsche Bruce Willis, aber fast nie der deutsche Jean-Claude van Damme. Bei Frauen enden Vergleiche meist in zweifelhaften Stigmata. Katie Price ist bis heute nur "das Boxenluder", Wild-West-Legende Martha Jane Cannary Burke war immer nur Calamity Jane also "Unglücks-Jane".
Theresa May will sicher keine zweite Thatcher sein
Von Theresa May ist nicht anzunehmen, dass sie wie Amtsvorgängerin Margaret Thatcher sein wird oder will. Die hat zwar mit ihrer Durchsetzungsfähigkeit und Härte die britische Wirtschaft in Schwung gebracht, aber dafür den öffentlichen Sektor ruiniert. May dagegen gilt als sozialpolitisch links. Sie will die Boni für Bosse begrenzen und ein Großbritannien "für alle" schaffen und nicht nur für ein paar Privilegierte. Auf der anderen Seite gibt es durchaus die eisenharte Theresa May - etwa beim Thema illegale Immigration, bei dem so wenig Spaß versteht, dass manche sie "Darth Vader" nennen. Immerhin mal was Neues.