Brexit Theresa May kommt, Großbritannien geht

Innenministerin Theresa May warb im Brexit-Wahlkampf für den Verbleib in der EU. Jetzt wird sie Premierministerin und muss den Austritt Großbritanniens aus der Union managen.

Man kann davon ausgehen, dass sich Theresa May in diesen Tagen selbst wundert, wie schnell sich ihr Leben verändert. Und noch rasanter verändern wird. Vor nicht einmal drei Wochen waren es noch die britischen Medien, die sich wunderten. Sie wunderten darüber, warum May im Wahlkampf um Europa so seltsam ruhig und verhalten wirkte - was gar nicht ihrer Art entspricht.

Nun wird sie am Mittwoch Premierministerin und Nachfolger von David Cameron, der zeitiger Platz machte als gedacht. Tumultöse Zeiten liegen hinter ihm. Und vor May. Beide waren gerade noch offiziell vereint im "Remain"-Lager, aber das liegt, gefühlt, schon Ewigkeiten zurück. Es entspann sich dann ja ein Drama von Shakespearehafter Anmutung und Größe: Erst der Brexit, daraufhin Camerons Rücktritt in den Morgenstunden, danach blutiges Buhlen um seine Nachfolge. In den Hauptrollen damals, gerade zwei Wochen her: Boris Johnson und Justizminister Michael Gove, die sich auf offener Bühne kannibalisierten.

Theresa May stock-konservativ, pragmatisch und clever

Übrig blieben am Ende zwei Frauen. Theresa May, die Innenministerin, und ihre Kabinettskollegin Andrea Leadsom, Ministerin für Energie und Klimawandel. Beide stock-konservativ, beide vom Stamm der Pragmatiker. Aber eine erkennbar cleverer als die andere. Leadsoms dämliche Einlassungen über ihre Mutterrolle, die sie als politischen Vorteil gegen die kinderlose May ins Feld führte, war des Schlechten zu viel. Sie zog ihre Kandidatur zurück. Und nun heißt es: die May wird kommen.

Theresa May also. 59 Jahre alt, scharfzüngig, gedankenschnell. Abgeordnete seit 19 Jahren und Vertreterin von Maidenhead in Berkshire, einem verlässlich konservativen Bezirk im Speckgürtel von London. Die Menschen da verehren sie. Wenn es die Zeit zulässt, ist May an den Wochenende immer noch daheim, besucht Wohltätigkeitsveranstaltungen und vermittelt den Wählern nicht nur die Illusion von Nähe, wie viele ihrer Kollegen in Westminister. Die Leute nennen sie "glaubhaft". Das ist die Währung, die gerade mehr Konjunktur hat als das Pfund.

Diese Art von Verlässlichkeit ließ sie recht zügig aufsteigen bei den Konservativen: May ist inzwischen die am längsten amtierende Innenministerin überhaupt, sie gilt als resolut und meinungsstark und durchaus konfliktfreudig. Sie ist eine Bewunderin von Angela Merkel, mit der sie bemerkenswert viele biografische Parallelen teilt. Kinderlos verheiratet, Pastorentochter auch sie und wie die Kanzlerin ausgestattet mit einem protestantischen Arbeitsethos. Selbst an Weihnachten sitzt sie zuweilen noch im Büro, erledigt Post und schreibt Mails.

"Ich kandidiere, weil ich die Beste für dieses Amt bin"

Allerdings keine fröhlichen Grüße zum Fest, sondern Arbeitsanweisungen. So ist die May. Sie steht für einen pragmatischen Politikansatz des "No Nonsense", ihre Bewerbungsrede fiel entsprechend kurz und bündig aus: "Ich kandidiere, weil ich die Beste für dieses Amt bin." An Selbstbewusstsein fehlte es der Dame nie. 2002 prägte sie den Begriff der "nasty party", der bösen Partei. Es sei Zeit, dieses Image loszuwerden. Nie war "nasty party" wohl treffender in den vergangenen Wochen.

Auf sie kommt nun die Aufgabe zu, Partei und Land zu einen. Und Großbritannien eben aus der EU zu führen. Während der EU-Debatte schlug sich May zwar formal auf die Seite ihres Chefs David Cameron, aber wirklich nur formal - und wohl eher aus politischer Räson denn Überzeugung. Sie hielt sich zurück, sagte so gut wie nichts, und falls doch eher Nichtssagendes. Sie sagte aber eben auch nichts Falsches. Und stieg, da sich die Konkurrenz gegenseitig meuchelte, als Gewinnerin aus dem Ringstaub.

Für alle, die irgendwie noch hoffen, es gebe so etwas wie eine Hintertür für den Exit vom Brexit, stellte sie klar: "Brexit heißt Brexit." Auf dem Höhepunkt der internen Scharmützel adelte sie sogar das Tory-Urgestein Ken Clarke mit brummigem Charme: May, sagte er, sei eine "bloody difficult woman", "eine verdammt schwierige Frau". Aber das war speziell aus einem Mund ein Kompliment, denn Clarke hatte sich viele Jahre lang an einer anderen "bloody difficult woman" gerieben, mit dem größten Vergnügen sogar: Maggie Thatcher, mit der May selbstverständlich jetzt verglichen wird. Zweite Premierministerin.

Auf Theresa May wartet eine gigantische Aufgabe

Sie wird nicht geliebt, aber respektiert. Und ist durchaus facettenreich. Solidarisierte sich sehr emotional in einer Unterhaus-Rede mit den Opfern der Hillsborough-Stadionkatastrophe von 1989, denen erst im vergangenen April mit 27 Jahren Verspätung Gerechtigkeit widerfuhr. Sie legte sich mit der Polizei an und geißelte Rassismus bei Straßenkontrollen. Das ist die eine Seite.
Sie kann aber auch anders. Ganz anders. Unvergessen ist die Kampagne ihres Ministeriums vor drei Jahren, mit der sie illegale Einwanderer zum freiwilligen Abschied aus dem Königreich bewegen wollte. Auf Plakaten und Bussen stand "Go home or face arrest", geht nach Hause oder werdet eingesperrt, darunter eine Telefonnummer.

Im vergangenen Jahr hielt sie eine Parteitagsrede gegen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und Immigration, der Beobachter schaudern und gefrieren ließ. Man verstand da, warum sie auch "Ice Maiden" gerufen wird, die eisige Jungfrau oder auch "Darth Vader". Das war im Oktober 2015. Es hieß, May habe sich damit keinen Gefallen getan und den Weg eher geebnet für den glatten Schatzkanzler und designierten Kronprinzen George Osborne. Neun Monate ist das her. Eine Ewigkeit. An diesem Mittwoch wird May Premierministerin, und der Kronprinz Osborne mit etwas Glück ihr neuer Außenminister.

May übte unterdessen schon mal fürs neue Amt. Sie kündigte an, sie wolle die Gier der großen Unternehmen bekämpfen und Boni der Bosse kappen. Am Tag, als sich ihre Konkurrentin Andrea Leadsom zurückzog und den Weg freimachte, schrieb sie einen Gastbeitrag in ihrem Leib- und Magenblatt, der "Times", in dem sie zur Eintracht aufrief. Ihr Land müsse nach dem Abschied von der EU eine neue Rolle in der Welt finden.

Aber vor allem auch eine neue Rolle zu Hause: "Wir müssen aus Britannien ein Land machen, dass nicht nur für die wenigen Privilegierten funktioniert. Sondern für jeden für uns." Sie will das verbittert gespaltene Land einen. Das wiederholte sie an diesem Tag gleich mehrmals. Das war ihre Botschaft. An der wird sie gemessen. Die Konservative May klang wie Labour. Labour heißt auch Arbeit. Auf Theresa May wartet eine gigantische Aufgabe. Erst zu Hause. Dann in Europa. Und es geht auf der Stelle los.