Der kleine Inselstaat Zypern hat es mit einem großen Kontrahenten zu tun: der Türkei. Die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarstaaten sind schon seit Langem stark angespannt. Jetzt kocht der erbitterte Streit aufgrund von Seerechten hoch. Die Türkei hat ein zweites Embargo gegen zypriotische Schiffe verhängt, wie Zyperns stellvertretende Staatsministerin für maritime Angelegenheiten, Marina Chatzimanoli, neulich erklärte.
Bereits seit 1987 verbietet die Regierung in Ankara, Schiffen unter zypriotischer Flagge an türkischen Häfen anzulegen. Doch zuletzt weitete die Türkei ihr Embargo gegen die kleine EU-Inselrepublik noch einmal aus. Es gilt nun auch für Schiffe, die unter zyprischem Management geführt sind.
Im Rahmen des Getreideabkommens zwischen der Ukraine und Russland, welche eine Freigabe ukrainischer Häfen vorsieht, dürfen Schiffe für den Getreideexport das Schwarze Meer und die Meerenge Bosporus durchfahren. Laut Chatzimanoli seien zypriotische Schiffe jedoch davon ausgenommen. "Die Türkei […] verhindert, dass jedes Schiff, das unter zypriotischer Flagge fährt, oder jedes Schiff, das in Zypern verwaltet wird, an diesem Prozess [gemeint: die Durchfahrt von Schiffen durch den Bosporus] teilhaben kann", zitieren griechische Medien Zyperns stellvertretende Staatsministerin für maritime Angelegenheiten.

Zypern unterstützt Türkei bei IMO-Kandidatur nicht
Die zypriotische Schiffsindustrie hat inzwischen deutliche Einbußen unter dem seit über drei Jahrzehnten anhaltenden türkischen Embargo erlitten. Waren im Juli 2021 insgesamt 1.752 Schiffe mit einer Kapazität von 25 Millionen Tonnen im zypriotischen Register eingetragen, so sank die Flotte im Jahr 2022 auf 1.663 Schiffe mit einer Kapazität von 22 Millionen Tonnen.
Der Ärger auf Zypern über die beiden Embargos in der Schifffahrt ist groß. Der Inselstaat reagiert deshalb mit einem Widerstand gegen die türkische Kandidatur für den Posten des Generalsekretärs der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (International Maritime Organization, IMO). Die Sonderorganisation der Vereinten Nationen ist vor allem für die Sicherheit des internationalen Seeverkehrs und die Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen für die Schifffahrtsindustrie zuständig. Und unter den sieben bis zum Stichtag vor einer Woche (31. März) Nominierten für das zum Jahresbeginn 2024 neu zu vergebende Amt des Generalsekretärs ist auch ein türkischer Kandidat. Zypern selbst beabsichtigt den Angaben von Chatzimanoli zufolge, sich um eine Wiederwahl in den IMO-Rat für den Zeitraum 2024 bis 2025 zu bewerben.
Engster Verbündeter Griechenland verbessert Beziehungen zur Türkei
Hingegen will Zyperns engster Verbündeter Griechenland nicht nur Zypern bei der Kandidatur für die Wiederwahl in die Kategorie C des IMO-Rates unterstützen, wie unter anderem die griechische Zeitung "Protothema" berichtet. Sondern es will demnach auch die Türkei unterstützen – allerdings eben für den Posten des IMO-Generalsekretärs. Im Gegensatz zu Nikosia befinden sich Athen und Ankara derzeit auf einem unerwarteten Versöhnungskurs. In den vergangenen Monaten waren die türkischen Drohgebärden immer ernster geworden, es kam zu riskanten Konfrontationen mit Schiffen in der Ägäis sowie zu Scheinluftgefechten mit griechischen und türkischen Kampfjets. Streit herrschte auch über die Seerechte. Es entstand die ernsthafte Sorge vor einer Eskalation und in der Folge vor einer militärischen Auseinandersetzung.
Doch das verheerende Erdbeben in der Türkei am 6. Februar brachte eine schlagartige Wendung in den Beziehungen der beiden Nachbarstaaten: Als Griechenland als eines der ersten Länder Rettungskräfte und dutzende Tonnen Hilfsmittel in die Krisenregion schickte – Zyperns Hilfsangebot lehnte die Türkei dagegen ab –, lenkten auch die türkischen Medien um: Griechenland war plötzlich kein Feind mehr, sondern ein "Freund". Seitdem empfangen türkische Minister ihre griechischen Amtskollegen herzlich und sprechen auf einmal über "sehr gute Beziehungen". Die Zeichen stehen also gut, doch bleibt es abzuwarten, ob die momentan positiven Beziehungen auch nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in der Türkei und den Parlamentswahlen in Griechenland anhalten werden. In beiden Ländern steht im Mai der Urnengang bevor.
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Konflikte belasten türkisch-zypriotisches Verhältnis stark
Obgleich Zypern sich Sprache wie Kultur mit Griechenland teilt, ist der Versuch für ein verbessertes Verhältnis zwischen Ankara und Nikosia offenbar noch schwieriger zu erreichen. Der griechische Teil akzeptiert die Tatsache inzwischen soweit, dass der Norden der Insel nach der türkischen Invasion im Jahr 1974 von Türken bewohnt wird. Trotzdem ist der sogenannte Zypernkonflikt noch immer ungeklärt. Während die Türkei auf eine Zwei-Staaten-Lösung pocht, setzen die UN auf die Bildung einer Föderation zweier politisch gleichgestellter Bundesstaaten. Nikosia ist dazu bereit, verlangt aber, dass es eine starke Zentralregierung gibt und die türkischen Truppen abziehen. Der im Februar gewählte zypriotische Präsident Nikos Christodoulidis sagte Ende März in einem Interview mit "Euronews", das Zypern-Problem habe oberste Priorität. Christodoulidis äußerte große Bedenken, dass wenn das Problem nicht gelöst werde, eine Lösung mit jedem Tag, der vergeht, "weiter in die Ferne rückt". Denn: "Der Status quo wird von Tag zu Tag schlechter."
Ankara stört sich offenbar jedoch an einem Machtausbau Zyperns; man reagierte verärgert, als die USA vergangenen September das jahrzehntelange Waffenembargo gegen Zypern aufhoben. Zudem dürfte den Türken Zyperns gemeinsames Projekt EastMed mit Griechenland und Israel, das in Zukunft einmal Gas über eine 1900 Kilometer lange Pipeline im Mittelmeer in die Europäische Union liefern soll, ein Dorn im Auge sein. Die Türkei nimmt schließlich eine dominierende Rolle im Mittelmeer ein. Es sieht danach aus, dass auch im Seestreit so schnell keine Lösung gefunden wird.
Quellen: Naftemporiki, Kathimerini, Euronews, Protothema, IMO