Verzicht auf Rettungskräfte Türkei lehnt Zyperns Hilfe für Erdbebenregion ab, sagt zu, dann doch wieder ab – was soll das?

Eine Frau und ein junger Mann gehen durch die Trümmer des verheerenden Erdbebens in der Türkei
Eine Frau und ein junger Mann gehen durch die Trümmer des verheerenden Erdbebens in der Türkei
© Murat Kocabas/SOPA Images via ZUMA Press Wire / DPA
Rettungsteams aus Dutzenden Staaten beteiligten sich nach der Erdbeben-Katastrophe in der Türkei an der Suche nach Überlebenden. Auch Zypern war bereit, Rettungskräfte zu entsenden. Doch die türkische Regierung verzichtete letztlich auf die Hilfe aus dem Nachbarstaat. Warum?

Schon kurz nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien mit inzwischen mehr als 40.000 Toten lief die internationale Hilfe an. Zahlreiche Staaten schickten Rettungsteams, Flugzeuge mit Ärzten, Nahrung und Notunterkünften. Dankbar nahm die Türkei die Angebote an. Allein von einem Land mochte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan offenbar nicht helfen lassen – von Zypern. Zumindest hat es den Anschein, wenn man das tagelange, unwürdige Hickhack um ein Hilfsangebot aus Nikosia betrachtet.

Bereits unmittelbar nach den verheerenden Erdstößen hatte Zypern seine Bereitschaft erklärt, ein "leichtes Rettungsteam" ins verfeindete Nachbarland zu schicken. Doch die Türkei verzichtete. "Das Angebot wurde abgelehnt, da der Bedarf, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, den sofortigen Einsatz von spezialisierten Schwerlast-Rettungsteams erfordert", hieß es in einer Erklärung des zypriotischen Außenministeriums, das die türkische Absage publik machte. Laut Panagiotis Liasidis, dem Sprecher der zypriotischen Zivilschutztruppe, sei das Team vom Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten zertifiziert und könne helfen.

Einen Tag später ruderte die Türkei zurück und nahm das Hilfsangebot aus Zypern dann doch an. Dies habe der Katastrophenschutz der EU dem Inselstaat mitgeteilt, twitterte der Sprecher des zypriotischen Außenministeriums, Demetris Demetriou. Der Einsatz sollte unter der Schirmherrschaft der EU erfolgen.

Wieder einen Tag später hieß es übereinstimmend in verschiedenen Medien, dass das zypriotische Rettungsteam bestehend aus 21 Mann schlussendlich doch nicht in die Türkei gereist sei. Demetriou teilte mit, dass die Türkei dem Katastrophenschutz der EU übermittelt habe, dass der Bedarf zumindest aktuell gedeckt sei. Das Außenministerium ergänzte auf Twitter: "Das Angebot steht noch!"

In einer Radiosendung sagte Außenamtssprecher Demetriou zur Absage: "Wir wissen nicht, ob es politische Gründe gab oder die technische Beschaffenheit der Gruppe den Anforderungen nicht entspricht." Das türkische Außenministerium wollte sich auf Nachfrage des stern zum Sachverhalt nicht äußern.

Jahrzehntelange Spannungen zwischen der Türkei und Zypern

Die Beziehung zwischen Ankara und Nikosia ist seit Jahrzehnten schwer belastet. Nach einem griechischen Putsch marschierte das türkische Militär 1974 auf Zypern ein. Es folgte ein Krieg mit tausenden Toten und eine Besetzung des nördlichen Teils durch türkische Truppen, welche bis heute anhält. Damit teilen sich Türken und griechische Zyprer die Insel – mit der getrennten Hauptstadt, Nikosia. Blauhelm-Soldaten der Vereinten Nationen überwachen die Zone zwischen beiden Territorien. Der griechische Teil Zyperns ist ein eigenständiger Staat und seit Mai 2004 Mitglied der EU. Die türkische Seite mit ihrer Regierung "Türkische Republik Nordzypern" wird weltweit hingegen ausschließlich von der Türkei anerkannt. Ankara wiederum erkennt die internationalen Verträge von Zypern nicht an. Dadurch kommt es immer wieder zu Spannungen, besonders wegen Hoheitsansprüchen im Mittelmeer.

Als die USA im September das jahrzehntelange Waffenembargo gegen Zypern aufgehoben hatten, reagierte die türkische Seite mit scharfer Kritik. Der Schritt könne zu einer Eskalation in der Region führen, hieß es. Auch das türkische Außenministerium verurteilte die Entscheidung scharf. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verwies darauf, Drohnen in Nordzypern stationiert zu haben. Und im Januar berichteten Medien, dass die Türkei plane, F-16-Kampfflugzeuge auf Nordzypern zu stationieren. Ohnehin sind dort bereits tausende türkische Soldaten stationiert.

Auf Zypern gab es vergangenen Sonntag Präsidentschaftswahlen. Der frühere Außenminister und neue Präsident, Nikos Christodoulidis, kündigte an, die Politik Zyperns werde "auf EU-Kurs bleiben". Zu einem der wichtigsten Punkte auf seiner Agenda gehört der Neustart der Verhandlungen mit dem Norden. Zahlreiche Vermittlungen unter UN-Schirmherrschaft zur Überwindung der Teilung sind gescheitert. Seit 2017 verlaufen die Gespräche ohne Fortschritt. Während die UN die Bildung einer Föderation zweier politisch gleichgestellter Bundesstaaten anstreben, pocht Ankara auf eine Zwei-Staaten-Lösung.

Anteilnahme und humanitäre Hilfe im Nachbarland 

Die Entsendung zypriotischer Rettungskräfte ins ungefähr 300 Kilometer entfernte türkische Katastrophengebiet wäre das erste Mal seit 1974 gewesen, dass die Türkei eine Beteiligung griechisch-zypriotischer Beamte in ihrem Staatsgebiet erlaubt hätte. Es wäre ein Symbol für eine Verbesserung der Beziehungen und für einen Neustart gewesen – ähnlich wie es es zuvor mit Griechenland und auch Armenien gelungen war. Mehr zur aktuellen Situation zwischen der Türkei und Griechenland lesen Sie hier.

Das hatte auch die Regierung auf Zypern im Sinn. Bei den griechischen Zyprern ist die Anteilnahme für die Opfer des Bebens ungebrochen. Das zeigte sich insbesondere beim Tod von 49 Menschen aus dem türkischem Teil Zyperns. Darunter waren auch 24 Schülerinnen und Schüler, die in der Stadt Adiyaman in einem Hotel übernachteten, als das Beben die Stadt in Trümmern legte. Das zypriotische Außenministerium schrieb auf Twitter: "Alle Zyprioten trauern über den tragischen Verlust vieler türkischer Zyprioten bei dem tödlichen Erdbeben. Wir sprechen den Familien der Opfer unser tief empfundenes Beileid und Mitgefühl aus und beten für eine rasche Genesung der Verletzten. Zypern steht unseren Landsleuten bei." Als Zeichen der Trauer wehten die Flaggen des Repräsentantenhauses am Mittwoch auf Halbmast.

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Trotz der Absage aus der Türkei wollte man im zypriotischen Außenministerium helfen. Es wurde eine Sitzung mit dem Bürgerbeauftragten, dem Gesundheitsministerium, dem Roten Kreuz und dem panzypriotischen Koordinierungsrat für Freiwilligentätigkeit angesetzt. Dabei sollten Möglichkeiten "zur Unterstützung der Betroffenen in der Türkei und Syrien erörtert werden". Derzeit sammelt man auf Zypern weiter humanitäre Hilfsgüter, die an diversen Orten des Landes angenommen werden und ins Nachbarland geschickt werden sollen.

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