Also: Beide glauben an Gott, wollen eine bessere Zukunft für Amerika und hören auf ihre Ehefrauen. Der Eine weiß, wie man alles viel besser macht und hat für die Lösung aller wichtigen Probleme einen Plan. Der Andere vertraut mit poetischen Worten auf Kraft des Gebetes: "Es gab mir Ruhe in den Stürmen dieser Präsidentschaft. Und ich fühlte, wenn andere Menschen für mich beteten." Dem Einen zitterten die Hände vor Anspannung, der Andere verbiss sich in seine Botschaft. Wieder war der Eine (Kerry) etwas präsidialer, der Andere (Bush) etwas hilfloser als erwartet. 90 Minuten hatten John F. Kerry und George W. Bush gestern Abend, um für sich zu werben und es wurden ziemlich lange 90 Minuten. Es war die letzte Gala-Vorstellung im gigantischen Werbezirkus um das Weiße Haus: Präsidiale Debatte Nr. 3, diesmal in der Universität von Tempe, Arizona, wie immer roter Teppich, blauer Hintergrund, braune Stehpulte, feste Regeln. Dunkelblauer Anzug und rote Krawatte mit weißen Punkten für John Kerry, grauer Anzug und dynamisch rote Krawatte mit weißen Punkten für George Bush.
Kerry wie ein echter Präsident
Hatte sich Bush in der ersten TV-Debatte vor zwei Wochen noch von seiner ganz schlechten Seite gezeigt, misslaunig, ungeduldig und starrköpfig, präsentierte er sich in Debatte Nr. 2 vor einer Woche zwar zupackend und entscheidungsstark, doch etwas zu unruhig, zu selbstbewusst - er war "heiß bis unter den Hemdkragen", mokierten sich die Demokraten hinterher. Dafür kam Kandidat John F. Kerry immer mehr wie ein echter Präsident über den Bildschirm. Ruhig, überlegt, vorsichtig - er symbolisierte Beständigkeit. Gar kein verwöhnter Flip-Flopper mit Vorliebe zu Luxus-Hobbies mehr. Sondern ein Besonnener, der nicht spielt mit dem Schicksal seines Landes und den Leben seiner Menschen. Er, der in den Meinungsumfragen schon abgestürzt war, wurde in den vergangenen beiden Wochen wieder groß.
Gestern Abend trafen in Arizona zwei Männer aufeinander, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Zwei Männer, die einander verachten, heißt es, und doch einige Gemeinsamkeiten haben: Beide stammen aus den alten Familien des amerikanischen Ostküsten-Adels. Beide studierten an der Elite-Universität Yale, gehörten dem gleichen Studenten-Geheimbund an. Doch George Bush blieb immer der Tollpatsch aus Texas mit reichem Papa und guten Beziehungen. Er war schlechter Student, der kommunikative Spaßvogel. Noch lange Jahre würde dieser Mann mit Hang zu Alkohol das schwarze Schaf in der Familie sein - bis er sich wiedergeboren sah als Christ, das Trinken aufgab und dann den Job übernahm, Präsident zu werden.
Seitdem lebt George W. Bush in der selbstgewählten Blase, seinem "bubble". Hat seine engsten Berater seit Jahren nicht gewechselt. Distanziert sich ganz bewusst von allem, was ihn zweifeln lassen könnte. Journalisten mag er gar nicht, unerwartete, gar kritische Fragen machen ihn nervös, unsicher, wütend. In seiner ersten Amtszeit gab er lediglich 15 Solo-Pressekonferenzen - sein Vater bestritt 83, Bill Clinton immerhin 42. Doch auf keinen Fall darf man ihn unterschätzen. Denn George W. Bush will die konservative Revolution: Freiheit für die Welt - nach amerikanischem Geschmack. "Gott möchte die Menschen in Freiheit leben sehen", sagte er gestern, und es war einer der wenigen Momente, in denen er wirklich überzeugend aussah. Einer wie Kerry ist für George W. Bush einfach nur schwach und charakterlos. Er nennt ihn "überheblich."
John F. Kerry durfte als Kind zwar seine Sommerferien auf dem Landsitz der Familie in der Bretagne verbringen. Doch seine Eltern hatten nie viel Geld, und vielleicht wollte er deswegen auch immer dazugehören, zur wahren Elite des Landes, der US-Aristokratie mit ihren privaten Schulen, privaten Universitäten, den Parties auf ihren privaten Inseln. War ehrgeizig, ernsthaft, eher ein Einzelgänger.
Später hatte der Senator John F. Kerry das Glück, reiche Frauen zu heiraten. Das Vermögen seiner zweiten Frau Teresa Heinz Kerry wird auf mindestens 500 Millionen Dollar geschätzt. Mit John und Teresa Kerry würde das reichste Präsidentenpaar in der Geschichte der USA ins Weiße Haus einziehen.
Er scheint süchtig nach Fakten. Zu seinem - mittlerweile dritten - Wahlkampfteam zählen 36 innenpolitische Komitees, 24 außenpolitische Expertenzirkel, dazu Berater und Chefberater aller Art. Bis zu 15 Anrufe tätigt Kerry noch, bevor er ins Bett geht. "Das Problem ist, er hört zu vielen Menschen zu", sagt ein Leidgeprüfter, der jeden Abend Kerrys Anrufe empfängt. Immer noch mehr will er wissen, Zahlen, Details und Widerspruch hören will. Er verwirrt sogar besten Freunde verwirrt mit all seinen Theorien. "Er will dir immer beweisen, dass das Problem noch größer ist als man glaubt", sagt einer seiner langjährigen Freunde. George Bush? Kerry hält ihn für zynisch, heißt es. Einem wie Bush mangle es an Reife, an Urteilsvermögen, meint er.
Fundamentale Unterschiede
Gestern Abend also schlug die dritte Runde im Duell um die Präsidentschaft. Zwei Männer, fundamentale Unterschiede, zwei Amerikas. Gestern war die Innenpolitik dran - und damit die verheerende Bilanz der Bush-Regierung. Das sichere Plus im Haushalt, mit dem er vor vier Jahren antrat, ist heute schon wieder todsicheres Billiarden-Defizit. Mit seinen drei massiven Steuersenkungen machte Bush die Reichen noch reicher - und die ganz Reichen noch viel reicher. Weniger Jobs, mehr Arme, weniger Krankenversicherte.
Kerry ließ seine Zahlengewitter auf das Publikum niederdonnern, wusste natürlich genau, wie viele Kinder im Bundesstaat Arizona ohne Krankenversicherung sind. Mit ungeschickt-schiefem Lächeln zog Bush über das Abstimmungsverhalten des "liberalen" Senators her: "96 Mal stimmte Kerry für Steuererhöhungen, 126 Mal gegen Steuersenklungen." Als ob dieser Kerry ein Salon-Sozialist sei, der staatliche Eingriffe will, wenn es doch der freie Markt richten kann. Doch zugleich zeigte sich Bush, der große Polarisierer, bemüht um sanftere Töne, bemüht um die unentschlossenen Wähler der politischen Mitte: Plädierte für Toleranz bei Homosexualität, forderte sogar Kooperation der Parteien beim Thema Abtreibung. Und lächelte immerzu, wie weichgespült.
Kerry erwähnte seine Zeit als Altarjunge in der katholischen Kirche und konterte ansonsten staatsmännisch: In den vergangenen vier Jahren verloren fünf Millionen Amerikaner ihre Krankenversicherung, immer weniger neue Jobs werden geschaffen. Dann war die Debatte zu Ende, man lächelte, die beiden Ehefrauen umarmten einander auf der Bühne. Nur eine Frage blieb am Ende wirklich offen: was war eigentlich dieser merkwürdige weiße Punkt in George Bush's rechtem Mundwinkel? Und die Botschaft für den Wähler nach 4,5 Stunden präsidialer Debatten? Kaum überraschend: Bei dieser Wahl kommt es auf den Kandidaten an.
Schlacht in den "swing states"
Draußen, im wahren Wahlkampf um Amerikas Präsidentschaft, geht es nur noch um einige Bundesstaaten. Mittlerweile gelten nur noch zehn von einst 18 Bundesstaaten als "swing states", als unentschieden zwischen beiden Kandidaten. In diesen Bundesstaaten wie Florida, Pennsylvania und Ohio wird in den nächsten 19 Tagen die Schlacht ums Weiße Haus geschlagen. Hier konzentrieren sich die Werbekampagnen der Parteien, die allabendlichen Telefonkampagnen tausender Wahlhelfer, die Auftritte der Kandidaten.
Allein in Ohio rauschten Bush und Kerry in den vergangenen Monaten durch 25 Orte. Einige, wie etwa Cleveland oder Columbus, suchten sie gleich mehrmals heim. Als feste Regel gilt: noch kein Republikaner schaffte den Einzug ins Weiße Haus ohne die 20 Stimmen der Wahlmänner von Ohio. Bei der letzten Wahl erkämpfte Bush hier knappe 3, 5 Prozent Vorsprung. So ließen allein die vier lokalen Fernsehstationen in der Stadt Toledo in den vergangenen sieben Monaten insgesamt 14273 Polit-Werbespots über das verwirrte Wahlvolk rieseln - damit sei Toledo "das Epizentrum im Werbekrieg", so die Washington Post.
In diesem Krieg um die Stimmen arbeiten beide Parteien mit gewaltigen Datenbanken. "Wähler-Tresor" nennen die Republikaner ihre streng geheime Datensammlung, "Demzilla" heißt die der Demokraten. Beide Parteien haben alle nur erdenklichen Informationen über ihre Wähler gesammelt: Telefonnummern, Geburtsdaten, Privatadressen, Parteiaktivitäten, Spenden und Email-Adressen. Zeitungsabonnements sind ebenso wichtig wie Mitgliedschaften in Vereinen. Jeder Name ist mit bis zu 400 Informationen verbunden. Und so wird der gläserne Wähler des Jahres 2004 bombardiert mit genau angepassten Werbebotschaften, Telefonaten und Emails. Politik - verkauft als perfekt designtes Produkt, systematisch unters Volk gebracht mit den Methoden des Direkt-Marketing. So soll bis zum Wahltag etwa in Ohio jeder freiwillige Wahlhelfer der Republikaner 25 Haushalte gewinnen, in denen für Bush gestimmt wird.
Vergangene Woche endete die Frist zur Wähler-Registrierung. Beide Parteien erwarten eine Rekord-Wahlbeteiligung. Der Countdown läuft, die Kandidaten gehen auf Tour. Zwei Männer, zwei Amerikas.