Alle Augen waren an diesem Dienstag auf Wolodymyr Selenskyj gerichtet. Die Rede des ukrainischen Präsidenten war bei der 78. Generaldebatte der UN-Vollversammlung von den Mächtigen der Welt mit Spannung erwartet worden. 15 Minuten hatte er Zeit, um die anwesenden Staats- und Regierungschefs davon zu überzeugen, dass die internationale Unterstützung für sein kriegsgebeuteltes Land nicht abreißen darf. Und die nutzte er. "Dem Bösen darf nicht vertraut werden", warnte Selenskyj mit Blick auf Russland und dessen Präsidenten Wladimir Putin. "Fragen Sie Prigoschin."
Ganz besonders wendet sich Selenskyj dabei an die Amerikaner. Er weiß, dass der Beistand seines stärksten Partners bei den kommenden Präsidentschaftswahlen mit auf dem Stimmzettel steht. Noch vor einem Jahr war die Unterstützung der Ukraine eines der wenigen Themen, bei denen sich Demokraten und Republikaner einigen konnten. Doch je länger der Krieg andauert, desto mehr werden die kostspieligen Finanzhilfen zum Reizthema im Wahlkampf.
Grund genug für Selenskyj, um am Donnerstag weiter nach Washington zu reisen und den Politikern auf dem Capitol Hill ins Gewissen zu reden.
Republikaner im Kongress gespalten über Ukraine-Hilfe
Die Generaldebatte kommt dabei zu einem kritischen Zeitpunkt für die Ukraine. In ihrer Gegenoffensive kann die Armee bislang nur mit Mühe Boden gewinnen. Um kampffähig zu bleiben, ist sie daher auf eine ständige Versorgung mit Waffen und Ausrüstung angewiesen. Der US-Kongress hatte vergangenes Jahr 113 Milliarden Dollar an Gesamthilfe für die Ukraine bewilligt, wovon rund 47 Milliarden Dollar direkt in die militärische Unterstützung geflossen sind. Dieser Geldtopf geht jedoch schnell zur Neige.
Nun kündigt sich im Kongress ein erster Stresstest für die Unterstützung der Ukraine an – und damit auch für die künftige Rolle der USA in dem Konflikt. Der Senat, in dem die Demokraten von US-Präsident Joe Biden eine knappe Mehrheit halten, plant ein neues 24-Milliarden-Hilfspaket für Kiew. Dieses soll in einen Beschluss miteinfließen, der die Frist für das große Streitthema Haushaltsplan verlängern würde. Eine entsprechende Abstimmung im Repräsentantenhaus könnte schon in den kommenden Tagen anstehen.
Doch gerade dort – in der republikanisch geführten Kongresskammer – sitzen die meisten Skeptiker. Während sich eine Minderheit ultrarechter Abgeordneter seit langem gegen mehr Mittel für die Ukraine ausspricht, äußern auch zunehmend gemäßigtere Republikaner Bedenken. "Es ist nicht nur der Freedom Caucus. Ich denke, es gibt eine Menge Leute, die über die Finanzierung besorgt sind", sagte die moderate, konservative Abgeordnete Lisa McClain der US-Zeitung "The Hill".
Das bestätigt auch ein am Montag veröffentlichter Bericht der konservativen Gruppe "Republicans for Ukraine", der die Republikaner mit Blick auf ihre Haltung zur Ukraine-Hilfe bewertet. Die Analyse offenbart eine tief gespaltene Fraktion: Von den 222 Mitgliedern sind fast ebenso viele durchgefallen (72) wie jene, die die Bestnote erhielten (82). "Ich denke, dass mich das vor zehn Jahren noch schockiert hätte", sagte Gunner Ramer, ein Sprecher der "Republicans for Ukraine", der "Washington Post". "Aber heute schockiert es mich nicht mehr, weil diese isolationistische, von Donald Trump geführte republikanische Partei nicht mehr für das steht, wofür sie einst stand."
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Trump treibt Präsidentschaftskandidaten in Ukraine-Frage vor sich her
Wie tief die Spaltung bezüglich der Ukraine innerhalb der "Grand Old Party" fortgeschritten ist, zeigen auch die gegensätzlichen Positionen im aktuellen Feld der Präsidentschaftskandidaten. Auf der einen Seite stehen die traditionellen Republikaner, die der Ansicht sind, dass die USA eine wichtige Rolle im Weltgeschehen spielen müssen. So statteten Ex-Vizepräsident Mike Pence sowie der frühere Gouverneur von New Jersey Chris Christie der Ukraine jeweils einen Besuch ab, um der Regierung in Kiew ihre Unterstützung zu demonstrieren. Auch die ehemalige UN-Botschafterin Nikki Haley zählt zu den Unterstützern der These "ein Sieg für die Ukraine ist ein Sieg für uns alle".
Auf der anderen Seite wächst ein interventionsfeindlicher Flügel, der die Einmischung in einem internationalen Konflikt als Ablenkung von wichtigeren Themen im eigenen Land betrachtet. Hier fällt vor allem Ex-Präsident Donald Trump ins Gewicht, der auf dem bestem Wege ist, im kommenden Jahr als Kandidat für die Republikaner gegen Biden ins Rennen zu ziehen. Er ist der Meinung, dass der Krieg in der Ukraine "beendet werden" müsse, aber der Kampf "für Europa viel wichtiger als für die USA" sei. Auf seinen Wahlkampfveranstaltungen prahlt er damit, dass er den russischen Angriff innerhalb von "24 Stunden" beenden werde, wenn er wieder Präsident ist.
Auch Trumps größter Rivale, Floridas Gouverneur Ron DeSantis, sieht den Krieg in Europa nicht als vitales Interesse der USA. Nachdem er für seinen "Territorialstreit"-Kommentar viel Kritik bekommen hatte, ruderte er jedoch zurück. Zuletzt verkündete DeSantis, dass er zusätzliche US-Hilfe davon abhängig machen würde, ob die europäischen Verbündeten ihre Beiträge erhöhen. Eine härtere Position vertritt der in Umfragen aufsteigende Polit-Neuling Vivek Ramaswamy: Er lehnt die Militärhilfe gänzlich ab und bezeichnete es als "katastrophal", dass die US-Regierung "die Grenze eines anderen Landes schützt", während die Mittel besser für den "Schutz vor der Invasion der eigenen Südgrenze" ausgegeben werden sollten.
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Ein Blick auf die Umfragen zeigt, dass auch eine wachsende Mehrheit der Amerikaner insgesamt skeptischer zu neuen Hilfen für die Ukraine steht. Die jüngste "CNN-Umfrage" im August ergab, dass eine knappe Mehrheit (55 Prozent zu 45 Prozent) weitere finanzielle Hilfen ablehnt, wobei die Spaltung deutlich anhand der Parteigrenzen verläuft. Rund 71 Prozent der befragten Republikaner sprachen sich demnach dafür aus, dass die USA keine zusätzlichen Mittel bereitstellen sollten, während 62 Prozent der Demokraten weitere Hilfen befürworten. Eine "Fox News"-Umfrage zeichnete Ende August ein ähnliches Bild, während eine Umfrage des Reagan-Instituts eine stärkere Ukraine-Unterstützung feststellte.
Unterdessen beharrte Präsident Biden in seiner eigenen Rede bei der Generaldebatte darauf, dass die Vereinigten Staaten weiterhin fest an der Seite der Ukraine stehen. "Die Welt muss der nackten Aggression heute entgegentreten, um andere potenzielle Aggressoren von morgen abzuschrecken", verkündete Biden am Dienstag. "Wenn wir zulassen, dass die Ukraine zerstückelt wird, ist dann die Unabhängigkeit irgendeiner Nation sicher? Die Antwort ist Nein." Während seiner gesamten Amtszeit hatte der 80-jährige Demokrat die Führungsrolle der USA in der Weltpolitik bekräftigt und viele der Beziehungen repariert, die unter dem "America First"-Ansatz seines Vorgängers gelitten hatten. Doch angesichts der bevorstehenden Wahlen und der Tatsache, dass Biden und Trump in den ersten Umfragen gleichauf liegen, dürfte sein Durchhalteappell in New York mit Stirnrunzeln begrüßt werden.
Politische Beobachter in Washington bewerten den Umgang mit dem Ukraine-Krieg für die Wähler als nicht ganz so wichtig wie die Wirtschaft, das Gesundheitswesen oder das Streitthema Einwanderung. "Im Moment ist die Ukraine für die Wähler kein so wichtiges Thema", bilanziert Christopher Borick, Direktor des Muhlenberg College Institute of Public Opinion in Pennsylvania, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur "AP". "Aber wir sehen, dass Trump, Ramaswamy und DeSantis den Weg bereiten, um später im Wahlkampf die Frage zu stellen, wie viele US-Mittel wir dort ausgeben, die wir zu Hause ausgeben könnten."
Für Bidens eigene politische Zukunft dürfte demnach viel davon abhängen, wie sich der Krieg in den kommenden Wochen und Monaten entwickelt. Je nachdem, wie gut die ukrainische Gegenoffensive auf dem Schlachtfeld vorankommt, könnte es sein Argument über den Erfolg seiner Regierung als Führungsnation auf der internationalen Bühne stärken – oder schwächen.
Quellen: "Washington Post", "The Hill", "NPR", "NY Times", "Reuters", "CNN-Umfrage", "RFU-Bericht", mit Material der Nachrichtenagenturen AP und DPA
Hinweis: Dieser Artikel wurde nach der Rede Selenskyjs aktualisiert.