Kremlsprecher Dmitri Peskow Putins Sprachrohr im US-Interview: Die wichtigsten Aussagen – und wie sie zu lesen sein könnten

Kremlsprecher Dmitri Peskow
Kremlsprecher Dmitri Peskow
© Sefa Karacan/ / Picture Alliance
Kremlsprecher Dmitri Peskow hat dem US-Sender CNN ein Interview gegeben, ein schon für sich bemerkenswerter Vorgang. Das Gespräch, das auf Englisch geführt wurde, liefert noch weitere Erkenntnisse.

Was will Wladimir Putin? Auch am 28. Tag des Ukraine-Kriegs erweist sich eine Antwort als schwierig. Die Entscheidung über das Ende der russischen Invasion scheint allein im Kopf des Kremlherrschers zu fallen – einem Ort, der hier als wahnhaft und dort als entrückt beschrieben wird, und sich bislang allen Versuchen der Kartografierung und Krisendiplomatie zu verweigern scheint.

Jeder Happen an Information; jeder noch so kleine Hinweis auf die (eigentlichen) Absichten des russischen Präsidenten werden daher mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt, könnten sie bei der Entschärfung des Kriegsgeschehens von Nutzen sein.

Was hat es also zu bedeuten, wenn Putins Sprachrohr nun ein Interview im US-Fernsehen gibt?

Am Dienstag hat Kremlsprecher Dmitri Peskow im Gespräch mit CNN einige Pflöcke eingeschlagen und Anlass zu Spekulation gegeben. Die wichtigsten Aussagen – und wie sie zu lesen sein könnten:

1. Warum tritt der Kremlsprecher im US-Fernsehen auf – und spricht Englisch?

Ruhig war es um Dmitri Peskow bisweilen nicht, zuletzt schimpfte er über "Verräter" im eigenen Land und bezeichnete den Kriegsprotest einer russischen Journalistin als "Rowdytum". Das ist alles überliefert, nur kanalisierte der Kreml seine Kommunikation bisher auf die staatlichen Kanäle. Dass sich Peskow nun im US-Fernsehen geäußert hat, sogar in der Landessprache des ideologischen Gegners, ist damit für sich ein bemerkenswerter Umstand.

"Dmitri Peskow versucht die Meinungsbildung über den Krieg in den USA und im Westen insgesamt zu beeinflussen und dort die russische Deutung des Geschehens zu platzieren", sagt der Politologe und Russland-Experte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck zum stern. "Das muss natürlich jemand versuchen, der sozusagen eine neutralere Position hat und kein Aussätziger wie Außenminister Sergej Lawrow ist", so Mangott, wenngleich Peskow "natürlich im Putin-Lager" und auch unter Sanktionen stehe. "Er ist schon lange sein Sprecher, mit allen Hintergründen bestens vertraut und spricht gut Englisch. Deswegen dürfte der Kreml ihn als Gesprächspartner losgeschickt haben."

2. Wann sieht sich Russland "existenziell bedroht"?

Die russische Wirtschaft ächzt unter massiven Sanktionen. Das ukrainische Militär und die Bevölkerung zeigen eine Widerstandskraft, die nicht erwartet wurde. Mehrere Nato- und EU-Staaten, nicht zuletzt Deutschland, schicken Waffen und Geld zur Unterstützung. Bisher konnte nichts den Kremlherrscher von seinem Kriegskurs abbringen. Stattdessen lässt Putin die militärischen Handlungen brutalisieren, die Berichte über zivile Opfer mehren sich. Wohin soll sich die Eskalationsspirale noch drehen?

Die westliche Allianz schließt das Schlimmste nicht aus, auch nicht den Einsatz von Atomwaffen. Ob der Kremlsprecher "überzeugt oder zuversichtlich" sei, dass Putin im Krieg mit der Ukraine keine Atombombe einsetzen werde? Ausschließen wollte das Peskow auf Nachfrage von CNN nicht. Gemäß der russischen Sicherheitsdoktrin würden Atombomben nur eingesetzt werden, wenn "eine existenzielle Bedrohung" des Landes bestehe.

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"Peskow bezieht sich auf ein Dokument aus dem Juni 2020", so Politologe Mangott. "Darin ist geregelt, in welchen Fällen Russland zu Nuklearwaffen greifen würde – etwa bei einem Nuklearangriff, aber auch bei einem Angriff mit biologischen oder chemischen Waffen auf Russland und seine Verbündete wie etwa Belarus." Die Nukleardoktrin liste also Gründe auf, die für einen Einsatz von Nuklearwaffen gegeben sein müssten. "Die aufgelisteten Gründe gelten eigentlich als unumstritten und werden als legitim angesehen, allerdings gibt es seit Jahren Zweifel auf westlicher Seite, dass in dem Dokument tatsächlich alle möglichen Gegebenheiten ausbuchstabiert sind."

Dennoch sei nicht davon auszugehen, dass Russland zu einem Nuklearschlag bereit wäre, um weiter in die Offensive zu gehen. "Aber eine solche öffentliche Erklärung von Peskow will natürlich ein Signal senden", so der Russland-Experte. "Das Signal: Wenn Russland angegriffen werden sollte, ist Russland bereit mit dem Einsatz von Nuklearwaffen zu antworten."

3. Welche "Ziele" verfolgt Russland?

An einer belastbaren Antwort beißen sich auch die selbstsichersten Putinologen und Kremlkenner die Zähne aus: Welches Ziel verfolgt Putin – und wann hat er es erreicht? Oder, zynisch formuliert: Wann und womit gibt sich der Kremlherrscher zufrieden?

Im Gespräch mit CNN hat Peskow die Forderungen des Kreml wiederholt ausbuchstabiert und damit zu verstehen gegeben, dass...

  1. ...es noch nicht vorbei ist. Auf die Frage, was Präsident Putin in der Ukraine bislang erreicht habe, sagte Peskow, dass die Ziele "noch nicht" erreicht seien.
  2. ...Russland bei seinen Forderungen bleibt. Als Ziele nannte Peskow das Dezimieren des ukrainischen Militärs sowie die Einsicht Kiews, dass die 2014 von Moskau annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim nun ein "unverrückbarer Teil Russlands" sei. Zudem müsse die Ukraine anerkennen, dass die Separatistenregionen im Osten "unabhängige Staaten" seien.

Von einer neuen Verhandlungsperspektive kann also nicht die Rede sein. Bislang hat es bei den Gesprächen zwischen Kiew und Moskau keinen Durchbruch gegeben, allerdings ein paar Andeutungen, an die Diplomaten anknüpfen könnten.

Das Problem: "So banal es klingt: Wladimir Putin muss mit diesem Krieg mehr erreichen, als er vor diesem Krieg hatte", sagte Politologe Mangott dem stern schon vergangene Woche zu den möglichen Kriegszielen des Kremlherrschers. Er könne nicht unter seinen drei expliziten Forderungen bleiben, "wenn dieser Krieg irgendeinen 'Sinn' gehabt haben soll." Alles andere müsse als "Kriegsniederlage Putins" gewertet werden. 

Verhandelbar sei vielleicht, ob die Ukraine die Krim als russisches Staatsgebiet anerkennen muss oder nicht – eine Anerkennung würde in der Praxis nicht viel ändern, da die Sanktionen des Westens gegen Russland ohnehin bestehen bleiben. "Hingegen unabdingbar ist der neutrale Status der Ukraine und die Unabhängigkeit der ostukrainischen Separatistengebiete", sagte Mangott.

Die Menschen in den von Krieg und Gewalt betroffenen Gebieten in der Ukraine brauchen unsere Hilfe. Die Stiftung stern arbeitet mit Partnerorganisationen vor Ort zusammen, die von uns geprüft wurden. Wir leiten Ihre Spende ohne Abzug weiter. Über diesen Link kommen Sie direkt zu unserem Spendenformular.
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Weniger könne Putin nicht akzeptieren, weil er eine Rechtfertigung für seinen Krieg brauche. In anderen Worten: Putin muss seine Invasion als Erfolg in Russland verkaufen.

"Er muss der politischen und militärischen Führungsriege vorzeigen können, warum Tausende Soldaten sterben und das Land unter schwerste Sanktionen gelegt wird", erläuterte der Russland-Experte. "In der Bevölkerung dürfte die Verwunderung groß sein, wenn die ostukrainischen Separatistengebiete nicht zu unabhängigen Staaten erklärt werden." Putin gab diese Forderung als zentralen Kriegsvorwand an, weil dort ein "Völkermord" begangen werde. "Viele Russen würden sich fragen: Warum bleibt alles so, wie es war, trotz eines 'Völkermords'? Was sollte das Ganze?"

...und verläuft wirklich alles "streng nach Plan"?

Aber, so wollen es Peskow und der Kreml offenbar verstanden wissen: Der Verlauf des "speziellen Militäreinsatzes", so der russische Euphemismus für den Angriffskrieg, entspreche den im Vorhinein festgelegten Zielen. Alles verlaufe "streng nach Plan", sagte Peskow bei CNN.

Daran gibt es unter Militärexperten erhebliche Zweifel. Vieles spricht dafür, dass sich Putin von seinem Angriffskrieg einen Blitzsieg versprochen – und verkalkuliert hat. Der russische Präsident wollte das Brudervolk im Handstreich "befreien", seine Truppen stießen aber, offenbar völlig unerwartet, auf eine wehrhafte Armee und ein unnachgiebiges Volk. Es geht nahezu an allen Fronten kaum vor und zurück. Experten sehen den Krieg daher auf ein Patt zulaufen – was weitere Sorgen schürt.

Seit Tagen erklären die US-Regierung und auch die Ukraine, dass die russischen Streitkräfte logistische Probleme hätten und vor allem im Norden und Osten des Landes kaum Fortschritte machten. "Wir sehen weiter Hinweise, dass die Russen die Logistik und den Nachschub nicht ordentlich geplant haben", sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, am Dienstag. "Wir wissen, dass sie bei allen Kräften weiterhin Probleme mit Benzin haben und, dass sie immer noch Schwierigkeiten haben mit dem Essen", sagte er. Die Russen seien "wegen mangelnder Fortschritte zunehmend frustriert".

Der mangelnde Fortschritt dürfte auch einer der Gründe sein, warum Präsident Putin die Kriegshandlungen brutalisieren lässt, um seine Ziele noch zu erreichen – da nicht alles "streng nach Plan" verläuft, wie Peskow behauptet.

RTL-Reporter Munz berichtet aus Russland unter anderem über den Ukraine-Krieg und den russischen Geheimdienst
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"Das ist Kriegsinformation im Rahmen eines Informationskrieges", meint Politologe Mangott. Es sei erkennbar und Konsens unter Militärexperten, dass eben nicht alles nach Plan verlaufe. "Dennoch muss Peskow das Gegenteil behaupten. Andernfalls würde er eingestehen, dass sich Russland verkalkuliert hat – etwa bei der zu niedrigen Truppenanzahl oder bei seiner Einschätzung von westlichen Waffenlieferungen, die die Ukraine in eine bessere Position versetzt haben." Russland sei von einer kurzen Kriegshandlung ausgegangen und müsse seine Pläne nun ständig anpassen. "Aber das kann Peskow natürlich nicht sagen."