Russischer Angriffskrieg Tschetschenische Truppen in der Ukraine könnten Problem für Russland werden – meint der britische Geheimdienst

Ramsan Kadyrow, Anführer der russischen Provinz Tschetschenien
Ramsan Kadyrow, Anführer der russischen Provinz Tschetschenien, spricht vor etwa 10.000 Soldaten in der tschetschenischen Regionalhauptstadt Grosny (Archivfoto)
© -/AP / DPA
Im Ukraine-Krieg kämpfen auch tschetschenische Truppen an der Seite der Russen. Doch für den Kreml könnte das zum Problem werden, wie Geheimdienstinformationen aus Großbritannien nahelegen. Auch andere sehen in den Tschetschenen nur wenige Vorteile für Putin.

Die russischen Streitkräfte haben laut britischen Geheimdienst-Erkenntnissen bei ihrem Krieg gegen die Ukraine erhebliche Probleme beim Nachschub und der Truppenverstärkung. So müsse Russland viele Hilfstruppen einsetzen, um den ukrainischen Widerstand zu brechen, darunter Tausende Kämpfer aus der autonomen Teilrepublik Tschetschenien, teilte das Verteidigungsministerium in London am Mittwoch mit.

Die tschetschenischen Kräfte würden vornehmlich um die umkämpfte Hafenstadt Mariupol sowie im ostukrainischen Gebiet Luhansk eingesetzt. Sie bestünden wahrscheinlich sowohl aus Freiwilligen als auch aus Einheiten der Nationalgarde, die ansonsten zum Schutz der Herrschaft von Machthaber Ramsan Kadyrow, einem engen Putin-Verbündeten, dienen.

Uneinheitliches Kommando, "das die russischen Operationen weiterhin behindert"

Doch diese Truppen könnten zum Problem für Russland werden, urteilt der britische Geheimdienst des Militärs. "Der Kampfeinsatz so unterschiedlichen Personals zeigt die erheblichen Ressourcenprobleme Russlands in der Ukraine und trägt wahrscheinlich zu einem uneinheitlichen Kommando bei, das die russischen Operationen weiterhin behindert."

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Sogar Kadyrow selbst sprach von "Fehlern", die während des russischen Angriffskrieges in der Ukraine gemacht wurden. "Am Anfang gab es Fehler, einige Unzulänglichkeiten gab es, aber jetzt läuft alles hundertprozentig nach Plan", sagte Kadyrow auf einem politischen Forum. Die von Präsident Wladimir Putin gestellten Aufgaben würden in vollem Umfang erfüllt. Kadyrows Truppen kämpfen demnach in den ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk.

Am 26. Februar, zwei Tage nach Kriegsbeginn, gab Kadyrow bekannt, dass tschetschenische Truppen in die Ukraine geschickt wurden. "Der Präsident (Putin) hat die richtige Entscheidung getroffen und wir werden seine Befehle unter allen Umständen ausführen", sagte der 45-Jährige.

Tschetschenische Soldaten wegen Brutalität in der Ukraine gefürchtet

Die Unterstützung des tschetschenischen Machthabers ist keine Überraschung, da Kadyrow schon seit Jahren Seite an Seite mit dem Kreml arbeitet. Nicht selten wurde Kadyrow als "Marionette" oder "Kampfhund" Putins beschrieben.

"Kadyrow hat sich diesen Ruf durch seinen absolut brutalen und feudalistischen festen Griff in Tschetschenien erworben, wo er im Grunde seit der Ermordung seines Vaters der Anführer ist", sagte Rachel Denber, stellvertretende Direktorin für die Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights Watch. Kadyrow steht wegen Überwachung, Menschenrechtsverletzungen und Folter von LGBTQ-Menschen international stark in der Kritik.

Die tschetschenischen Truppen sind gefürchtet. Ukrainer sagten, dass die Tschetschenen zu den brutalsten Invasionstruppen des Kremls gehörten, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete. Kadyrow selbst schrecke nicht davor zurück, bei Telegram Videos seiner Soldaten zu veröffentlichen.

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Verluste und Fehden bei Kadyrows Militärs

Laut AFP sagte Kadyrow Mitte März, dass rund 1000 seiner Truppen in der Ukraine seien – eine Zahl, die kaum zu verifizieren ist. "Niemand weiß genau, wie viele Tschetschenen in der Ukraine kämpfen oder wo genau sie stationiert sind", sagte der russische Politikexperte Alexej Malaschenko der Nachrichtenagentur.

Welchen Einfluss Kadyrows Militärs in der Ukraine aber haben, ist unklar. Laut der britischen Zeitung "Guardian" sind "große Zahlen" an tschetschenischen Truppen nahe des Flugplatzes in Hostomel getötet worden, darunter ein Kommandeur. Berichten zufolge wurden tschetschenische Elitetrupps auch für gescheiterte Versuche rekrutiert, wichtige ukrainische Führer in den ersten 48 Stunden der Invasion zu ermorden, teilten westliche Geheimdienste mit.

Dem "Guardian" zufolge kommen zudem Fehden zwischen tschetschenischen Kommandanten und dem russischen Geheimdienst hinzu, die die Zusammenarbeit erschweren, sowie mangelnde Integration in die reguläre Armee. So würden Truppen in Videos betonen, dass sie unter dem Kommando von Kadyrow stehen, nicht der russischen Militärhierarchie.

Kadyrow nutzt Krieg für "persönliche Werbung"

Aber die Brutalität, die den tschetschenischen Soldaten nachgesagt wird, ist vor allem eine psychologische Waffe, die den Menschen in der Ukraine Angst machen soll. Die Ankündigung des Eintritts von Kadyrows Truppen in den Krieg und die damit verbundene Propaganda seien Teil der Bemühungen Russlands, den Feind zu destabilisieren, meint Aurélie Campana, Professorin für Politikwissenschaft an der Laval Universität im kanadischen Quebec.

"Kadyrow nimmt an der Operation in der Ukraine teil, um seine absolute Loyalität gegenüber Putin zu demonstrieren und seinen Einfluss zu behalten“, sagte der Politikexperte Konstantin Kalachev der AFP. "Für ihn ist die Operation persönliche Werbung."

Emil Solomon Aslan vom Institut für politische Studien der Karls-Universität in Prag sagte dem "Guardian" zudem: "Es gibt viele Tausende, vielleicht Zehntausende Tschetschenen, die ihn hassen, die ihn ablehnen, und viele Familien, die sich in einem Zustand latenter Blutfehde gegen ihn und seine Familie befinden, daher versteht Kadyrow, dass er Russlands und Wladimir Putins Rückendeckung braucht, wenn er überleben will." Deshalb wolle er absolute Loyalität zeigen und dass er nützlich sei.

Je länger der Krieg, desto problematischer

Doch die Rolle des 45-jährigen Kadyrow im Ukraine-Krieg ist nach einem Bericht des "Guardian" auch eine andere. Seine Kampagne in sozialen Medien ziele auch darauf ab, neue Männer für den Krieg zu rekrutieren. So solle mit Geld-Boni gelockt werden. Videos etwa bei Telegram seien aber, so der "Guardian", nicht direkt an der Front im Angriffskrieg Russlands gedreht worden und dienten der Rekrutierung und Stärkung Kadyrows.

Politikwissenschaftlerin Campana geht jedoch davon aus, dass, je länger der Krieg in der Ukraine dauert, desto schwieriger das Verhältnis zwischen Putin und Kadyrow werden könnte . "Der Einsatz dieser Truppen ist ein riskantes Wagnis. Ihre schlechte Integration in die Befehlskette könnte die Vorteile schmälern, die mit ihrem Engagement an der Seite regulärer Einheiten der russischen Armee verbunden sind. Da Kadyrows Triumphalismus nicht mit der Realität dieses Krieges Schritt zu halten scheint, könnte er zu einer politischen Belastung für Putin werden."