Der Sicherheitsexperte Christian Mölling erwartet für die kommenden Monate und Jahre Konflikte innerhalb der Europäischen Union um den Umgang mit der Ukraine. Mölling sagte am Freitag im stern-Podcast "Ukraine – die Lage", "wir werden extrem harte Verhandlungen haben, wenn es um den Beitritt der Ukraine geht". Dies beziehe sich nicht nur auf die militärische Unterstützung und Sicherung des Landes, sondern insbesondere auf die Aufteilung der vielen Milliarden Euro aus den Strukturfonds der EU. Dieses Geld sei für Polen sehr wichtig. Hinzu komme, dass es "ein großes Fragezeichen hinter der Rechtsstaatlichkeit" in Polen gebe. Auch dies wird nach Einschätzung des Forschungsdirektors der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik stärker diskutiert werden, wenn es darum geht, welche Anforderungen die Ukraine für eine Mitgliedschaft erfüllen muss. "Die Idee der Solidarität führt nicht dazu, dass alle Unterschiede übergekleistert werden", betonte er mit Blick auf die Debatten in dieser Woche um die Zukunft der polnischen Militärunterstützung für die Ukraine.
Polen und Ukraine in Konkurrenz um EU-Gelder
"Es gibt einen Bereich, wo Polen sehr kompromissunfähig ist", sagte Mölling. Auf der anderen Seite räumte er ein, dass das Vorgehen der Ukraine, die Polen und andere im Streit um Getreidelieferungen vor der Welthandelsorganisation verklagt hat, "diplomatisch wahrscheinlich nicht das Schlaueste" gewesen sei. Dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bescheingte er, vor den Vereinten Nationen eine "sehr klare Sprache" genutzt zu haben. Selenskyj hatte in New York unter anderem geklagt, dass einige Länder die Solidarität mit der Ukraine nur vortäuschten – was die Polen entrüstet zurückwiesen. "Es zeigt, dass die Grundspannung enorm hoch ist bei allen Beteiligten", kommentierte Mölling. Es sei "eine sehr ruppige und bewegte Woche für Selenskyj" gewesen.
Künftige USA-Hilfe unklar
Selenskyj war von New York nach Washington gereist, wo er sich mit US-Präsident Joe Biden traf sowie mit Vertretern des Kongresses, der den Ausgaben für die Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte zustimmen muss. Dabei war Selenskyj deutlich zurückhaltender aufgetreten als bei der UNO. "Er antizipiert, dass die Lage für Biden schrittweise schwerer wird", sagte Mölling zu den Aussichten, im beginnenden Wahlkampf um die US-Präsidentschaft weitere Hilfspakete durchzusetzen. Der ukrainische Präsident habe seinen Kritikern in den USA keine Vorlage geben wollen, um gegen die US-Hilfen zu wettern.
Dass Biden die Lieferung der von den Ukrainern dringend gewünschten ATACMS-Raketen weiter ablehne, sei schon vor dem Besuch signalisiert worden. Für Mölling bedeutet dies aber nicht, dass Deutschland seinerseits nun auf die Bereitstellung der vergleichbaren Taurus-Marschflugkörper verzichten solle. "Sachlich hat sich an den Argumenten für eine Lieferung von Taurus nichts geändert", sagte er. Die Verbindung zwischen der Lieferung der US-Raketen und der deutschen Waffen sei "innenpolitisch gewollt und nicht aus der Sache heraus geboren".