Ein erfolgreiches Attentat auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj würde Russland nach Einschätzung des Militärexperten Christian Mölling keinen entscheidenden Vorteil bringen. "Die Idee des Enthauptungsschlages" habe es schon vor dem Krieg gegeben, sagte der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik zu Meldungen des ukrainischen Geheimdienstes, er habe ein Mordkomplott gegen Selenskyj vereitelt.
Christian Mölling: Ukraine hat Selenskyj-Ersatz schon früh durchdacht
Mölling verwies am Dienstag im stern-Podast "Ukraine – die Lage" darauf, dass schon in den ersten Stunden und Tagen des Krieges versucht worden sei, den Präsidenten festzusetzen oder zu töten. Er zeigte sich überzeugt, dass die Ukraine bereits sehr früh durchgeplant habe, wie Selenskyj ersetzt werden könnte. "Dass man diese Eventualplanung machen muss, ist völlig klar", sagte Mölling. Er gehe aber nicht davon aus, dass Russland ein erfolgreicher Anschlag einen entscheidenden Vorteil bringen würde.
Eine mögliche Nachfolge sei aber nicht nur eine technokratische Frage. Es komme auch auf die Akzeptanz der neuen Führung in der Bevölkerung an. "Es bleibt eine Restunsicherheit", räumte Mölling ein. Trotzdem sei es wichtig für die Ukraine, dass der Präsident im Austausch mit dem Volk stehe, wie dies zum Beispiel bei Besuchen von Truppenteilen oder Krankenhäusern deutlich werde. "Selenskyj muss dieses Risiko auf sich nehmen", sagte Mölling. Sonst könne er diesen Krieg nicht so führen. Das unterscheide die Ukraine von Russland, wo es diese Verbindung von Führung und Bevölkerung nicht gebe.
Kriegskosten: 250 Milliarden Euro, Flüchtlinge: 23 Millionen, tote Zivilsten: 9000

Nur Putin halte Russlands Machtapparat zusammen
Mölling erläuterte, dass der Ausfall des Präsidenten Russland ganz anders treffen würde als die Ukraine. "Sie haben eine ganz fragile Macht", sagte er über die Situation in Russland. Zusammengehalten werde das System durch die Ausrichtung auf Präsident Wladimir Putin. Wenn der aus irgendeinem Grund nicht mehr da sei, werde voraussichtlich der Kampf um die Pfründe beginnen und es könne sein, "dass einem das wirklich um die Ohren fliegen würde".
Mölling warb dafür, dass die Bundesrepublik der Ukraine Taurus-Marschflugkörper liefert, um deren Offensive zu unterstützen. Er erwartete aber keine schnelle Entscheidung. "Ich glaube, die Bundesregierung bleibt bis auf weiteres von der Außenwelt unbeeindruckt", sagte er. Er warf ihr vor, nicht wahrzunehmen, wie dringend die Systeme benötigt werden und sich einzuigeln. "Man kann diese Dringlichkeit nur schwer nicht sehen." Er empfahl Deutschland, nicht nur in Abhängigkeit von den USA zu handeln, sondern "eine gewisse Eigenständigkeit im Denken und im Handeln an den Tag zu legen".