Sicherheitsexperte Christian Mölling erwartet, dass die russische Führung mit Jewgeni Prigoschin, dem Chef der Söldnertruppe Wagner, brechen werde. Mölling sagt im stern-Podcast "Ukraine – die Lage", der Streit zwischen Prigoschin und der Führung in Moskau binde politische Kräfte und zeige, wie verfahren die Situation sei. "Insgesamt sehen wir, dass sich das russische System wahrscheinlich Prigoschins entledigen wird", so der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Prigoschins Nein ist unakzeptabel
Er begründet dies mit Prigoschins Weigerung, einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium zu schließen. Auch Präsident Wladimir Putin selbst hat die Forderung unterstützt, dass die Privatarmeen förmliche Vereinbarungen mit dem Ministerium schlössen. Prigoschins Haltung, so Mölling, "kann das System natürlich nicht akzeptieren." Ein Ausscheiden des Wagner-Chefs hat nach seiner Einschätzung aber nicht unbedingt Folgen für die Kampfkraft der russischen Seite, da sich seine Söldner ja anderen privaten Truppen anschließen könnten. Und offenbar entstünden immer neue derartige Verbände.
Den Kampf innerhalb der russischen Machtelite wertet Mölling als Indiz dafür, dass es mühevoller werde, das Regime zu stabilisieren: "Möglicherweise sehen wir hier eine weitere Facette des schrittweisen Zerfalls der Ordnung, die eine Gewaltordnung gewesen ist." Den privaten Akteuren gehe es um ihren Profit und nicht um ein größeres Ziel. "Irgendwann werden die alle aneinandergeraten", sagte er voraus.
Wie läuft die ukrainische Gegenoffensive?
Zurückhaltend äußerte sich Mölling zum Verlauf der ukrainischen Offensive. Es sei immer noch zu früh, um zu sagen, ob sie Erfolg habe. "Eine der Herausforderungen ist, dass die ukrainischen Verbände ohne Flugabwehr operieren müssen, zumindest zu einem großen Teil," erläutert der Experte. Das mache es für Kampfhubschrauber einfacher, die Ukrainer zu beschießen. Zudem würden offensichtlich mehr Mittel elektronischer Kriegführung eingesetzt, mit denen die Russen den Funkverkehr stören könnten sowie die GPS-Steuerung eines Teils der gegnerischen Artillerie und Raketenartillerie.
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Es sei zu erwarten gewesen, dass die Ukraine auf mehr Widerstand trifft als bei früheren Vorstößen. "Russland konnte sich viel besser auf diesen Angriff vorbereiten. Es war klar, dass er kommt", so Mölling. Obwohl die Ukrainer sich schnell an die Herausforderungen anpassten, müssten sie weiter Verluste hinnehmen: "Wenn Sie eine Offensive vortragen, haben Sie erheblich mehr Verluste als in der Defensive." Das gelte auch für das eingesetzte Material, das kontinuierlich durch neue Lieferungen aufgefüllt werden müsse. Mölling: "Die Sachen werden in der Tat kaputt gehen, das ist so."