Fünf Tage nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine ist die Lage in den überfluteten Gebieten weiter angespannt. Zwar sinke der Wasserstand in den betroffenen Regionen unterhalb des zerstörten Damms wieder, mehr als 30 Siedlungen auf der ukrainisch kontrollierten Seite des Dnipro seien jedoch weiter überflutet, erklärte der Chef der ukrainischen Militärverwaltung von Cherson am Samstag.
Der Stausee des Dnipro hat laut Behördenangaben mittlerweile mehr als ein Drittel des im Frühjahr angesammelten Hochwassers verloren. "Stand 12 Uhr am 10. Juni ist das Niveau des Kachowka-Stausees im Raum Nikopol auf 10,2 Meter gesunken", schrieb der ukrainische Wasserkraftversorger Ukrhidroenerho auf seinem Telegram-Kanal. Die Wasserkraftanlagen arbeiten nach Angaben des Betreibers mit halber Kraft.
Zugleich teilte Ukrhidroenerho mit, dass am Oberlauf des Dnipro nun stärker Wasser angestaut werde, um im Sommer Strom generieren zu können. Der Dnipro ist als drittgrößter Fluss Europas in der Ukraine an sechs Stellen für die Stromproduktion aufgestaut.
"Städte, Infrastruktur, ganze Industrien müssen wieder aufgebaut werden"
Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, befürchtet durch die Überschwemmungen Schäden für Menschen, Umwelt und Landwirtschaft in Milliardenhöhe. "Städte, Infrastruktur, ganze Industrien müssen wieder aufgebaut werden", sagte der Diplomat den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Die Gesamtschäden werden erst sichtbar, wenn das Wasser abgelaufen ist."
Die Wiederaufbaukosten für die Ukraine allein in diesem Jahr betragen nach Angaben Makeievs 14,1 Milliarden Dollar (rund 13 Milliarden Euro). "Davon wurden 3,3 Milliarden Dollar bereits im Haushalt der Ukraine bereitgestellt. Gebraucht wird alles, von Trinkwasserfiltern bis hin zu Schlauchbooten", sagte der Botschafter.
Makeiev sorgt sich auch um die Fischerei und Landwirtschaft in der überschwemmten Region. "Die Verluste für die Fischerei durch den Verlust aller biologischen Ressourcen werden gravierend sein. In der Region Cherson wurde bereits ein Fischsterben registriert", erklärte er. Vor allem die Getreideindustrie habe nun zu kämpfen. "Mehr als 20.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, auf der sich der ukrainische Gemüseanbau konzentrierte, wurden für viele Jahre außer Betrieb genommen", so Makeiev. "Die Getreidelager stehen unter Wasser. Nur wenige Schiffe in den Schwarzmeer-Häfen, die die ganze Welt mit Getreide beliefern, können beladen werden." Durch die Überflutung seien Transportwege blockiert, die Schließung der Häfen im Schwarzen und Asowschen Meer "schädigt viele kleine und mittlere Unternehmen massiv".
Außer den wirtschaftlichen Sorgen nennt der ukrainische Botschafter auch eine potenzielle Gefahr für Menschen durch Minen. "Russland hat am Ufer des Dnipro viele der international geächteten Anti-Personen-Minen verlegt. Durch die Überflutung wurden auch diese Minen erfasst, die jederzeit explodieren können", sagte Makeiev.
Der in russisch besetztem Gebiet liegende Kachowka-Staudamm am Fluss Dnipro war in der Nacht zum Dienstag zerstört worden, große Mengen Wasser traten aus. Tausende Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Kiew und Moskau werfen einander gegenseitig vor, für den Vorfall verantwortlich zu sein.