Anzeige
Anzeige

Urteil des Verfassungsgerichts ESM-Stoppschild bei 190 Milliarden

Das Urteil des Verfassungsgerichts zum Euro-Rettungsschirm ESM führt allgemein zu Erleichterung. Auch an den Börsen. Der Weg für die Euro-Rettung ist frei, dennoch sind sich Experten weiter uneinig.

Volker Beck ist der erste. "Uff!", twittert der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen aus dem Bundesverfassungsgericht - kurz nachdem Präsident Andreas Voßkuhle am Mittwoch um 10.14 Uhr unter Auflagen grünes Licht für den Euro-Rettungsschirm ESM gegeben hat. Der Dax gibt seinen Zick-Zack-Kurs während der Minuten vor der Urteilsverkündung auf. Er steigt auf über 7400 Punkte. Der Weg für einen Masterplan zur Euro-Rettung ist frei. Mehr aber noch nicht.

Was genau sind die Auflagen des Verfassungsgerichts?

Die Karlsruher Richter haben mehrere Stoppschilder aufgestellt. Die wichtigste Auflage: Deutschland muss verbindlich sicherstellen, dass sein Anteil am Euro-Rettungsschirm auch tatsächlich auf maximal 190 Milliarden Euro begrenzt bleibt. Der ESM-Vertrag sieht bisher Nachschusspflichten vor, die Deutschland treffen könnten, falls andere Länder ausfallen. Das ist der Fall, wenn sie zum Beispiel selbst unter den ESM schlüpfen müssen. Konkret ist in Artikel 25 des ESM-Vertrages dann ein "erhöhter Kapitalabruf" vorgesehen. Um zu verhindern, dass dies zum Fass ohne Boden wird, soll Deutschland erstmals auf Geheiß der Verfassungsrichter einen völkerrechtlichen Vertrag nur unter Vorbehalt ratifizieren.

Sind die 190 Milliarden Euro nun also in Stein gemeißelt?

Für den FDP-Politiker Frank Schäffler, einen Kritiker des Euro-Rettungskurses, ist die klare Haftungsgrenze entscheidend: "Dem ESM sind die Zähne gezogen", sagt er. Das Gericht betont, dass die Bundesrepublik ohne Zustimmung des deutschen Vertreters in den ESM-Gremien keine höheren Zahlungsverpflichtungen eingehen dürfe. Das bedeutet, dass bei einer Mehrheit im Bundestag durchaus auch höhere Summen genehmigt werden könnten. Aber eben nicht mehr automatisch, wie es geplant war. Als erster Schritt müssen noch in diesem Jahr 8,7 Milliarden Euro an den "Stabilitäts-Mechanismus" überwiesen werden. Insgesamt muss die Bundesregierung 21,7 Millionen in bar einzahlen und 168,3 Milliarden als Garantien bereitstellen.

Was passiert, wenn der ESM nicht ausreicht und im Bundestag keine Zustimmung für eine Aufstockung zu erreichen ist?

Dann könnte die Europäische Zentralbank (EZB) einspringen. Nach Einschätzung von Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer könnten unter Schulden ächzende Euro-Staaten wegen der ESM-Stoppschilder aus Karlsruhe mehr Druck auf die EZB ausüben. Diese könnte im großem Stil Anleihen der Euro-Schuldenstaaten kaufen, die am Markt zu hohe Zinsen zahlen müssen. Aber nur auf dem Sekundärmarkt, also von Banken, nicht direkt von Staaten. "Die EZB dürfte einen größeren Beitrag für die Errichtung einer Haftungsunion leisten als der ESM", meint Krämer. Deutschland haftet bei der EZB mit 27 Prozent, über diesen Umweg könnten im schlimmsten Fall höhere Risiken als beim ESM drohen.

Welche Bedeutung hat der Fiskalpakt?

Damit werden in 25 EU-Staaten Schuldenbremsen verbindlich verankert. Das ist Voraussetzung für Hilfen aus dem ESM. Nur Länder, die strikte Haushaltsdisziplin wahren, sollen Unterstützung bekommen. Der Fiskalpakt wurde auf Druck von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geschlossen. Nur Großbritannien und Tschechien sind nicht dabei.

Was bedeutet das Urteil für Deutschland?

Kanzlerin Merkel und ihre schwarz-gelbe Koalition können etwas beruhigter in den nächsten Wochen blicken. Aber schon in der Vergangenheit folgt auf die Euphorie der schwere Kater. Die Lage in Griechenland, Spanien und Italien bleibt extrem brenzlig - und Wachstum, niedrigere Zinsen und Schuldenabbau sind bisher nicht in Sicht. Am 8. Oktober soll von den Euro-Finanzministern die Einsetzung des ESM auf den Weg gebracht werden, der den provisorischen Rettungsschirm EFSF ablösen wird. Aber da jede ESM-Rettungsaktion vom Parlament abgesegnet werden muss, könnte dies immer wieder zu einer Zitterpartie für Schwarz-Gelb werden. Und Merkel muss sich nun um eine Finanztransaktionssteuer bemühen - dies war eine Bedingung von SPD und Grünen für eine Zustimmung zum ESM und zum ebenfalls von Karlsruhe gebilligten Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin.

Was sind nun die nächsten Schritte?

Die geplante Bankenunion soll die Währungsunion stabiler machen - und verhindern, dass Banken wie in Spanien bis zu 100 Milliarden Euro an Hilfen brauchen und so die Staatsschuldenkrise verschlimmern. Bis Ende des Jahres soll das Gerüst stehen. Alle Länder sollen Notfallfonds aufbauen, die sich aus Abgaben der Banken finanzieren. Die Fonds sollen kriselnde Geldhäuser unterstützen und notfalls auch die Abwicklung maroder Institute bezahlen. Die EZB erhält zudem noch mehr Einfluss. Sie soll die Banken kontrollieren, die Hilfen bekommen und ab 2014 alle 6000 Geldinstitute in den 17 Euro-Staaten. Aber auch hier gibt es viele Fragezeichen. Nach dem "guten Tag für Europa" geht das Krisenmanagement für Merkel weiter. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Georg Ismar und Uta Winkhaus, DPA DPA

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel