Krieg in Nahost Angriffe in Jordanien, US-Vergeltung in Syrien und im Irak: Droht ein Flächenbrand in der Region?

Anhänger des irakischen schiitischen Geistlichen al-Sadr verbrennen ein Plakat von US-Präsident Joe Biden (Archivbild)
Anhänger des irakischen schiitischen Geistlichen al-Sadr verbrennen ein Plakat von US-Präsident Joe Biden (Archivbild)
© Ameer Al-Mohammedawi / DPA
Eine Attacke mit toten US-Soldaten in Jordanien beantworten die USA mit massiven Luftanschläge im Irak und in Syrien. Und das ist erst der Anfang, droht US-Präsident Joe Biden.

Tagelang warteten die USA mit ihrer angekündigten Vergeltung. In der Nacht zum Samstag schlug das US-Militär dann zu. 30 Minuten lang feuerten amerikanische Streitkräfte nach eigenen Angaben aus der Luft auf mehr als 85 Ziele an sieben Standorten im Irak und Syrien: auf Kommandozentralen, Geheimdienststandorte und Waffenlager, die demnach von der iranischen Revolutionsgarde (IRGC) und mit ihnen verbundenen Milizen genutzt wurden. Die Serie an Luftschlägen bedeutet eine neue Eskalation im Nahen Osten – auch wenn die Amerikaner bewusst darauf verzichteten, Ziele im Iran selbst anzugreifen. Doch US-Präsident Joe Biden macht klar: Dies ist nur der Anfang. 

Als Vergeltung für den Tod von drei US-Soldaten bei einem Drohnenangriff in Jordanien haben die US-Streitkräfte die Ziele im Irak und in Syrien bombardiert. Am Freitag wurden die Leichname in die USA überführt. Auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Dover im Bundesstaat Delaware erwies Biden ihnen die letzte Ehre. Knapp zwei Stunden später begannen Tausende Kilometer entfernt die Luftschläge im Irak und in Syrien. Das US-Militär betonte, das Timing sei Zufall. Der Zeitpunkt der Luftschläge habe sich allein nach militärischen Überlegungen gerichtet – nach günstigen Wetterbedingungen.

Das US-Militär und die Regierung in Washington erklärten, die Angriffe hätten den iranischen Revolutionsgarden und mit Teheran verbündeten Milizen gegolten. "Unsere Antwort hat heute begonnen", erklärte US-Präsident Joe Biden. "Sie wird zu Zeitpunkten und an Orten weitergehen, über die wir entscheiden werden." Der US-Präsident betonte aber auch: "Die USA suchen keinen Konflikt im Nahen Osten oder irgendwo sonst in der Welt. Aber alle, die uns schaden wollen, müssen wissen: Wenn ihr einem Amerikaner Schaden zufügt, werden wir antworten."

Das für den Nahen Osten zuständige US-Regionalkommando Central Command erklärte, bei den Luftangriffen seien mehr als 125 Präzisionsraketen oder Präzisionsbomben zum Einsatz gekommen. Unter den Zielen seien Kommando- und Geheimdienstzentralen sowie Raketen- und Drohnenlager von Milizen und den Al-Kuds-Brigaden der iranischen Revolutionsgarden gewesen, die Angriffe gegen US-Streitkräfte und verbündete Truppen ermöglicht hätten. Die mehr als 85 Ziele befanden sich an sieben Orten.

Irak: Weitere pro-iranische Milizen angegriffen

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte erklärte, bei den Angriffen im Osten Syriens seien mindestens 18 pro-iranische Kämpfer getötet worden. Unter den Kämpfern, die bei den Angriffen auf Stellungen pro-iranischer Gruppen in der Nähe al-Majadin in der Provinz Deir Essor getötet worden seien, seien auch Ausländer gewesen, sagte der Leiter der Beobachtungsstelle, Rami Abdel Rahman.

Derweil verlautete aus Sicherheitskreisen im Irak, im Westirak seien Stellungen pro-iranischer Milizen angegriffen worden, insbesondere bei al-Kaim an der Grenze zu Syrien. Nach ersten Informationen sei ein Waffenlager bombardiert worden, sagte ein Beamter des Innenministeriums der Nachrichtenagentur AFP.

Ein Vertreter des pro-iranischen Haschd-al-Schaabi-Netzwerks bestätigte den Angriff und einen weiteren Angriff weiter südlich. Die irakische Regierung verurteilte die US-Luftangriffe als "Verletzung der irakischen Souveränität". Der Sicherheitssprecher des Weißen Hauses John Kirby betonte später, die US-Regierung habe die irakische Regierung im Vorfeld der Angriffe gewarnt.

Eskalation in Nahost: Droht ein Flächenbrand?

Biden hatte direkt nach der Attacke in Jordanien mit Vergeltung gedroht, sich mit dem Wie und Wo aber Zeit gelassen. Er stand vor der schwierigen Aufgabe, eine Balance zu finden: Die von Teheran unterstützten Kräfte in der Region abzuschrecken, ohne dabei noch härtere Reaktionen zu provozieren; Stärke zu demonstrieren und möglichst den Tod weiterer US-Soldaten zu verhindern, ohne die Lage im Nahen Osten komplett zu eskalieren und einen Krieg mit dem Iran zu riskieren. Ob ihm der Balanceakt gelungen ist, muss sich zeigen.

Die US-Luftangriffe erfolgen inmitten massiver Spannungen im Nahen Osten infolge des Kriegs zwischen Israel und der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas, der am 7. Oktober begonnen hatte. Befürchtet wird eine Ausweitung des Konflikts bis hin zu einer mögliche direkten Konfrontation zwischen den USA und dem Iran. Das Weiße Haus hat betont, keinen Krieg mit dem Iran zu wollen.

Seit Mitte Oktober gab es mehr als 165 Angriffe auf Stützpunkte im Irak, in Syrien und in Jordanien, auf denen US-Soldaten oder Soldaten befreundeter Nationen stationiert sind. Der Islamische Widerstand im Irak hat viele dieser Angriffe für sich reklamiert.

Die Sicherheitsexpertin Allison McManus von der US-Denkfabrik Center for American Progress bezeichnete den Gegenangriff der US-Streitkräfte vom Freitag als "bedeutende Eskalation". Ähnliche Gegenangriffe in der Vergangenheit hätten aber keine "abschreckenden Wirkung" gehabt.

USA und Iran immer wieder knapp vorm Krieg

Dass die Angriffe proiranischer Gruppen nach der Militäraktion der USA ganz aufhören könnten, ist unwahrscheinlich. Gefährlich werden könnte es besonders dann, wenn durch eine weitere Attacke von Milizen – vielleicht auch durch schlechte Planung und Ausführung – weitere US-Soldaten getötet würden. Dann wäre im nächsten Schritt ein direkter Angriff auf Irans Revolutionswächter denkbar – und damit eine dramatische Ausweitung des Konflikts.  

Der Iran und die USA standen in der Vergangenheit immer wieder am Rande eines Krieges. Im Januar 2020 – unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump – töteten die USA den mächtigen iranischen General Ghassem Soleimani sowie den irakischen Milizenführer Abu Mahdi Al-Muhandis bei einem Drohnenangriff in Bagdad. Es folgten Wochen militärischer Spannungen. Je tiefer die USA nun in die neuen Konfrontationen mit dem Iran und dessen Verbündeten gezogen werden, desto größer ist die Gefahr, dass diese eine Eigendynamik entwickeln – unabhängig vom Gaza-Krieg, auch wenn dieser der Auslöser war.

Die USA – als engster Verbündeter Israels – gerieten in den vergangenen Wochen selbst verschärft ins Visier proiranischer Milizen. Die Attacke in Jordanien war nur der vorläufige Höhepunkt einer ganzen Serie von Anschlägen auf amerikanische Ziele in der Region. Seit dem Beginn des Gaza-Krieges gab es mehr als 160 Attacken auf US-Kräfte im Irak und Syrien. Die USA reagierten bereits zuvor mit Luftschlägen in beiden Ländern. Doch mit dem Tod der drei Soldaten in Jordanien nahe der syrischen Grenze wurde eine neue Dimension erreicht. Biden stand unter großem Druck, nun härter als zuvor zurückzuschlagen. 

Druck auf Biden in der Heimat

Der Demokrat steckt mitten im Wahlkampf für eine zweite Amtszeit. Republikaner – allen voran Bidens Amtsvorgänger und voraussichtlicher Herausforderer bei der nächsten Präsidentenwahl im November, Donald Trump – warfen dem Präsidenten zuletzt Schwäche vor und forderten ihn auf, endlich durchzugreifen. Scharfmacher wie der republikanische Senator Lindsey Graham verlangten sogar einen US-Angriff auf iranischem Boden. Das wäre der drastischste und wohl folgenreichste Schritt gewesen. Biden entschied sich dagegen.

Allerdings macht er klar, dass noch mehr kommen wird. "Unsere Reaktion hat heute begonnen. Sie wird fortgesetzt zu Zeiten und an Orten unserer Wahl", erklärte er nach den Luftschlägen im Irak und Syrien. Hochrangige US-Regierungsvertreter hatten bereits vorab angekündigt, die Vergeltung werde in mehreren Schritten über einen gewissen Zeitraum hinweg erfolgen. Wann, wo und wie die Amerikaner als nächstes zuschlagen, dürfte auch davon abhängen, was der Iran und dessen verbündete Milizen nun tun. 

"Die Vereinigten Staaten streben keinen Konflikt im Nahen Osten oder irgendwo sonst in der Welt an", betonte Biden. "Aber all jene, die uns Schaden zufügen wollen, sollen dies wissen: Wenn Sie einem Amerikaner Schaden zufügen, werden wir darauf reagieren."

US-Außenminister Antony Blinken bezeichnete die Lage im Nahen Osten vor wenigen Tagen als so gefährlich wie seit einem halben Jahrhundert nicht mehr. Der US-Regierung ist es trotz atemloser Diplomatie und diverser Militäraktionen gegen die Huthi und andere proiranische Gruppen in der Region nicht gelungen, die Spannungen einzudämmen. Im Gegenteil. Mit jeder neuen Eskalation wächst die Sorge, dass ein Flächenbrand in der Region nicht mehr abzuwenden ist. Bidens Regierung wiederholt zwar seit Wochen, die USA wollten keine Ausweitung des Konflikts und vor allem keinen Krieg mit dem Iran. Doch die Gefahr ist da. 

AFP · DPA
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