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Very British Die Aufarbeitung eines Traumas

Nichts hat die britische Nation so gespalten wie der Irak-Krieg. Sechs Jahre nach dem Sturz von Saddam Hussein beginnt nun die erste umfassende, öffentliche Untersuchung zu den Entscheidungen, die zur größten außenpolitischen Katastrophe der Blair-Regierung führte.
Von Cornelia Fuchs, London

Es sind Menschen wie Peter Brierley, die auf diese Untersuchungskommission hoffen. Brierleys Sohn, Lance Corporal Shaun Brierley, war 2003 zehn Tage nach dem Beginn des Bombardements von Bagdad bei einem Autounfall in Kuwait ums Leben gekommen. Seitdem kämpft sein Vater um Antworten. Warum wurde sein Sohn überhaupt Richtung Irak geschickt? Warum war seine Einheit so katastrophal ausgerüstet? Warum starben nach dem angeblich erfolgreichen Sturz des Regimes 179 britische Soldaten und hunderttausende Iraker?

"Wir müssen die Gründe für diesen Krieg überprüfen", sagte Brierley, der in Großbritannien vor allem bekannt wurde, als er sich bei einem Gedenk-Gottesdienst in der St Pauls Cathedral im Oktober weigerte, die Hand Tony Blairs zu schütteln. "Er hat Blut an diesen Händen", sagte Brierley damals. "Er ist verantwortlich für den Tod tausender Menschen."

Sir John Chilcot, pensionierter hoher Beamter und Vorsitzender der Untersuchungskommission, hat bereits verlauten lassen, dass er sich nicht mit der Frage nach der Rechtmäßigkeit des Krieges beschäftigen will. Die Kommission besteht auch nicht aus Juristen, sondern aus Historikern und ehemaligen Staatsdienern. Genau diese Zusammensetzung wurde bereits kritisiert: ausgewählt von Premierminister Gordon Brown und der Labour-Regierung wurde bezweifelt, dass die Gruppe wirklich objektiv sein könne.

Sitzungen werden im Internet übertragen

Das Misstrauen gegenüber einer solchen Veranstaltung sitzt in Großbritannien tief. Schließlich ist die neue Kommission bei weitem nicht die erste Anhörung, die sich mit dem Irak-Krieg beschäftigt. Schon vorher haben sich zum Beispiel die ehrenwerten Lords Butler und Hutton um die Fragen nach verschwundenen Massenvernichtungswaffen und gefälschten Geheimdienst-Dossiers gekümmert. Beide Male gab es für die Öffentlichkeit keine befriedigende Antwort darauf, was die Regierung wirklich wann wusste.

Sir John betonte heute, dass er "unvoreingenommen und unpolitisch eine gründliche, rigorose, faire und offene" Untersuchung leiten wolle. Für ihn spricht, dass er gegen den anfänglichen Widerstand von Premierminister Gordon Brown durchsetzte, die Zeugen öffentlich zu befragen. Die auf Monate angesetzten Sitzungen werden im Internet übertragen. Etwas über hundert Sitzplätze sind im Queen-Elizabeth-Konferenzzentrum mitten im Regierungsbezirk von London für Zuschauer reserviert. Besonders interessant dürfte die Zeugenaussage von Tony Blair werden, der Anfang 2010 in dem schwarzen Ledersessel im schmuck- und fensterlosen Raum der Iraq Inquiry Platz nehmen soll.

Mit fünf Schuss Munition in den Krieg

Tausende Seiten Akten aus den Jahren 2001 bis 2009 haben die fünf Mitglieder der Kommission bereits vor Anfang der öffentlichen Sitzungen gewälzt und sich mehrfach mit Angehörigen getöteter Soldaten getroffen. Die Öffentlichkeit ist aufgerufen, sich mit zusätzlichen Informationen an die Kommission zu wenden. Jede Zeugen-Aussage wird auf der Webseite www.iraqinquiry.org.uk transkribiert.

Soviel Offenheit sei bitter notwendig, konstatiert die Tageszeitung "Guardian" zu dem Prozedere: "Das vorrangige Ziel muss es sein, die Öffentlichkeit mit ihrer politischen Klasse zu versöhnen, die uns so böse in die Irre geführt hat." Die Zeitung "Daily Telegraph" nahm die Aufforderung des Kommissions-Vorsitzenden gleich wörtlich und präsentierte am Wochenende eine ganze Reihe von Dokumenten, die zeigen, wie schlecht die britische Armee auf den Irak-Krieg vorbereitet war. Manche Soldaten hatten nur fünf Schuss Munition im Gepäck - und einige mussten sogar für ihren Transport auf normalen Linien-Maschinen einchecken. Prompt wurden ihnen an der Flughafen-Kontrolle die Waffen konfisziert.

Der Seltsame Gesinnungswechsel der Regierung

Die Frage nach fehlender Ausrüstung der Truppen wird einen Teil der Kommmissions-Arbeit ausmachen - und es könnte sich bestätigen, dass die Regierung von Tony Blair die militärischen Vorbereitungen behinderte, weil sie politisch den Kriegswillen noch nicht öffentlich machen wollte. Weitere wichtige Fragen werden sein, wer warum versäumte, Pläne für die Zeit nach der Invasion vorzubereiten, warum Geheimdienstinformationen für politische Argumente missbraucht wurden und, vor allem, wie und warum entschieden wurde, in den Krieg zu ziehen.

Der endgültige Bericht der Kommission wird nicht vor Ende des nächsten Jahres erwartet. Um die britischen Parlaments-Wahlen nicht zu beeinflussen, wird Sir John die Sitzungen im Frühjahr 2010 unterbrechen lassen. Bis zum Jahresende sind Diplomaten und hohe Beamte als Zeugen geladen. In der ersten Sitzung am Dienstagmorgen bestätigte zum Beispiel Sir Peter Ricketts, im Jahr 2001 Vorsitzender des Geheimdienstrates in Großbritannien, dass in den USA nach den Anschlägen vom 11. September sehr schnell von einem Sturz Saddam Hussein gesprochen wurde. Zu dieser Zeit sei Großbritannien allerdings davon ausgegangen, dass Saddam mit schärferen Sanktionen im Zaum gehalten werden könne. Der Kopf der Abteilung für den Mittleren Osten zu dieser Zeit, William Patey, sagte aus, dass Saddam Hussein Ende 2001 erst "nach einigen Jahren" eine Gefahr für die Region hätte darstellen können.

Es wird die Aufgabe der Kommission sein darzulegen, warum Tony Blair und seine Regierung ihre Meinung innerhalb weniger Monate so grundlegend geändert haben.

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