Während westliche Politiker sich in einem De-facto-Boykott der Eröffnungsfeier in Peking geflissentlich wegblieben, rollte der chinesische Machthaber Xi Jinping für jemand anderen den roten Teppich aus: Wladimir Putin. Der Kreml-Chef war der erste ausländische Staatschef seit mehr als zwei Jahren, den Jinping persönlich empfing. Und auch für Putin war die Visite eines der seltenen Anlässe, um seine Residenz bei Moskau, in der er bald seit zwei Jahren in Selbstisolation lebt und die im Volksmund nur noch der Bunker genannt wird, zu verlassen.
Kurz vor der Eröffnungsfeier präsentierten die beiden ein Papier, dessen gigantische Länge den Eindruck erweckt, es müsse seit den Sommerspielen in Peking vor 14 Jahren in Arbeit gewesen sein. In der Konfrontation mit dem Westen stärkt Xi seinem Kollegen Putin damit den Rücken: China unterstützt Russland gegen die Nato in der Ukraine, im Gegenzug unterstützt Moskau Peking in seinen Bestrebungen in Bezug auf Taiwan.
Putin und Xi verbünden sich also gegen liberale Demokratien, während sie selbst die "demokratischsten Demokraten" auf Erden mimen. In den russischen Staatsmedien wird der Schulterzusammenschluss als großer Coup Putins gefeiert. Die Verbrüderung mit China sichere Russland den Sieg gegen die Nato, frohlocken die Kreml-Getreuen über alle Polit-Shows hinweg.
Was Wladimir Putin China bieten musste
Doch die Jubel-Rufe der Propagandisten könnten zu früh kommen. Wer genau den Wortlaut des Papiers in Augenschein nimmt, der wird feststellen, welch großes Zugeständnis Putin Peking machen musste, um politische und wirtschaftliche Unterstützung von seinem großen Nachbarn zu erlangen. Es ist Taiwan, der als einzige geografische Einheit konkret zum Gegenstand des Papiers wird. Russland versichert darin, dass es immer mit der unveräußerlichen territorialen Integrität Taiwans und Chinas einverstanden sein wird und erkennt das Territorium als chinesisch an. Doch was bekommt der Kreml im Gegenzug?
China erkennt nicht die annektierte Krim als russisches Gebiet an. Stattdessen findet sich in dem Papier ein einziger Satz in Richtig der Nato: "Die Parteien sind gegen die Erweiterung der Nato", heißt es lediglich. Welche Länder man unter der Nato-Schirmherrschaft nicht sehen will, wird hingegen nicht gesagt.
"Hier sehen wir, wer in dieser Situation der Meister ist", erklärte der russische Oppositionspolitiker Wladimir Milow die Situation in einem Gespräch mit dem unabhängigen Sender "Radio Swoboda". "Für seine außenpolitischen Zwecke muss China weder die Krim noch andere von Putin annektierte Gebiete als russisch anerkennen." Der Mitstreiter von Alexej Nawalny geht davon aus, dass das Papier auf Betreiben des Kremls aufgesetzt worden war. "Die Aufgabe bestand darin, China dazu zu bringen, sich der Erweiterung des Nato-Blocks zu widersetzen." Der Kreml habe zeigen wollen, welch mächtigen Verbündeten er gegen die Nato an seine Seite ziehen konnte. "Man musste aber etwas im Gegenzug dafür bieten." Also sei man der Forderung der Chinesen, sich gegen eine Unabhängigkeit Taiwans auszusprechen, nachgekommen.
"Es ist klar, dass die Chinesen die Aufnahme dieser Klausel im Austausch gegen die Unterzeichnung einer Erklärung gegen die Nato-Erweiterung verlangt haben", so Milow. Dies habe für den Kreml momentan schließlich oberste Priorität. Die Konsequenzen könnten aber gravierend sein, fürchtet der Politiker. "In letzter Zeit hat es immer wieder ernsthaftere Drohungen gegen Taiwan, militärische Aktionen und ständige Verletzungen des taiwanesischen Raums durch die chinesische Armee gegebenen. Vor diesem Hintergrund lösen solche Aktionen Russlands leider tatsächlich die Hände der chinesischen Kommunisten für eine offene Aggression gegen Taiwan."
Im Gegenzug habe Moskau aber keinen ähnlichen Freibrief bekommen. "China wollte nicht ins Detail gehen, in dem konkrete Staaten genannt werden. Und Moskau hat es nicht geschafft, den Chinesen dieses Spiel aufzuzwingen", lautet das Fazit von Milow.
"Es ist ein sehr tragisches Ergebnis all dieser Jahrzehnte"
Und noch etwas entgehe den feiernden Kreml-Propagandisten. "Die Menschen nehmen China bereits als großen Bruder wahr, der kommt, uns politisch oder militärisch unterstützt, und uns irgendwie retten wird", erklärte Milow. Diese Denkweise, die den Russen von der Kreml-Propaganda eingebläut wird, spiegele aber tatsächlich die tragische Realität wider. Den Menschen sei klar: "Ohne die Unterstützung Chinas wird schwierig sei, all die geopolitischen Lasten zu tragen, die Putin sich aufbürdet."
"Es ist im Allgemeinen ein sehr tragisches Ergebnis all dieser Jahrzehnte, dass Putins Russland zum jüngeren Bruder und Untergebenen eines größeren chinesischen Genossen geworden ist und Putin generell nach Peking geht, um dort um etwas zu erbitten", sagt Milow. "Ob China ihn politisch oder militärisch unterstützt oder nicht, entscheidet im Prinzip darüber, ob Russland die Ziele erreichen wird, die es sich selbst gesetzt hat oder eben nicht."
Noch würden viele seiner Landsleute die Allianz mit einem Pluszeichen betrachten. "Es wird aber noch einen bitteren Zusammenprall mit der Realität geben und dann kommt die Erkenntnis, dass die Abhängigkeit von China nicht mit einem Plus, sondern mit einem anderen Vorzeichen verbunden ist."
Tatsächlich käme ein Einmarsch Russlands in der Ukraine China nicht ganz ungelegen. Für die chinesische Führung wäre dies die Gelegenheit, aus sicherem Abstand zu beobachten, was die westliche Allianz im Fall einer Invasion unternimmt – um daraus Schlüsse für einen möglichen Angriff auf Taiwan zu ziehen.