Die Hauptstadt Ein Sprengmeister, ein Klempner – und kein bisschen Haushalt

Bundeskanzler Olaf Scholz und Oppositionschef Friedrich Merz
"Klempner der Macht": CDU-Chef Friedrich Merz (re.) findet wenig schmeichelhafte Worte für Kanzler Olaf Scholz. 
© stern-Montage/Fotos: Picture Alliance
Die Ampel-Koalition hat kein Geld und keine Zeit. Ob sie überhaupt eine Zukunft hat, entscheidet sich in den kommenden Tagen. Was ist da wieder los in Berlin?

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Liebe Leserinnen und Leser, 

"Versagen auf der ganzen Linie" warf die Union der Bundesregierung in der Haushaltsdebatte vor. Auf ihre Zustimmung könne der Kanzler überhaupt nur dann hoffen, "wenn gleichzeitig Arbeitsmarktreformgesetze verabschiedet werden", forderte Fraktionsvize Friedrich Merz.

Moment mal, Vize? Ja, natürlich, alles nachzuschauen in der Tagesschau vom 27. November 2003. Fast auf den Tag genau 20 Jahre später verlangt Friedrich Merz, inzwischen CDU-Chef und Oppositionsführer, übrigens etwas ganz Ähnliches: die Abschaffung des Bürgergeldes und die Rückkehr zum "Fördern und Fordern". Was klingt wie die Wiedereinführung von Hartz-IV wäre auch nur eine von gleich mehreren Bedingungen, die Merz vom Kanzler erfüllt sehen will, bevor die Union irgendwelchen Ampel-Haushalten zustimmen würde. 

Für den Fall, dass Sie es verpasst haben sollten: Es gibt natürlich weiterhin kein bisschen Haushalt, jedenfalls keinen verfassungskonformen. Es gibt nur einen "Klempner der Macht" (Merz über Scholz), der gestern in Wahrheit auch keine Regierungserklärung abgegeben hat, sondern eine 25 Minuten lange Aussageverweigerung vorlegte. Dabei wüsste man auch als Bürger langsam gern mal, wie es nun weitergehen soll, erfuhr stattdessen aber nur zwei Dinge: 

  1. Olaf Scholz hat auch zwei Wochen nach dem vernichtenden Urteil aus Karlsruhe keinen Plan B.  

  2. Olaf Scholz kann sich nicht für eigene Fehler entschuldigen. Das hält er für unnötig, weil: 

  3. Olaf Scholz wie immer alles richtig gemacht hat.  

Die High- und Lowlights der Debatte können Sie in unserem Liveblog noch einmal nachlesen.  

Für meinen Kollegen Veit Medick war der Schlagabtausch übrigens eine echte Zäsur. Seit gestern steht für ihn fest: "Der Zweikampf um die nächste Kanzlerschaft hat begonnen". Und er rät den Genossen, lieber nicht mehr allein darauf zu vertrauen, dass Merz sich früher oder später von selbst entschärft.

Wie es mit dem Haushalt 2024 ff weitergeht, das will die Ampel heute Abend miteinander besprechen. Halten Sie die Koffeintabletten bereit, es ist mal wieder so weit: Koalitionsausschuss. Alles, was Sie darüber wissen müssen, hat mein Kollege Florian Schillat hier mal für Sie zusammengefasst.

PERSON DER WOCHE 

Die Bundestagsdebatte lief schon mehr als 70 Minuten als überhaupt zum ersten Mal sein Name fiel: Christian Lindner. Erstaunlich, schließlich war es der Bundesfinanzminister, der den Haushalt abgesegnet hatte. Lindner hat nun mächtig Druck – von allen Seiten. Scholz fürchtet um seine Kanzlerschaft, Habeck um sein Transformationsversprechen, Merz reibt es ihm sowieso dauernd rein – und zu allem Überfluss probt die liberale Basis gerade den Aufstand.  

Lindner hat sich in der Vergangenheit immer als ziemlich druckbeständig erwiesen.  2017 hat er die Jamaika-Sondierungen platzen lassen. 2023 sagt er in Interviews so beunruhigende Sätze wie: "Mein Anliegen ist: reinen Tisch machen." 

Für uns ist der Bundesfinanzminister darum: der Sprengmeister. 

Cover der aktuellen stern-Ausgabe "Der Sprengmeister"
Cover der aktuellen stern-Ausgabe
© stern

Die aktuelle stern-Titelgeschichte aus der Feder meiner Kollegen Benedikt Becker und Veit Medick lesen Sie übrigens hier. 

Sollten Sie sich danach noch immer fragen, warum im Himmel sind diese Liberalen bloß so störrisch, hätte ich zwei weitere Empfehlungen für Sie. Wir haben versucht, uns der Antwort von zwei Seiten zu nähern:  

Von oben: Gemeinsam mit Benedikt Becker habe ich mit FDP-Fraktionschef Christian Dürr gesprochen. Fazit: „Wir müssen weit über die Wahlperiode hinaus maßhalten.“  

Und von unten: Meine Kollegin Lisa Becke hat in Fulda den Mann besucht, der jene 500 Unterschriften gesammelt hat, die es brauchte, um eine Mitgliederbefragung durchzusetzen. Die Frage lautet: Soll die FDP in der Ampel bleiben – oder soll sie die Koalition platzen lassen? Zum Porträt über Mathias Nölke geht es hier entlang

UND SONST SO?  

Sind wir Deutsche eigentlich "kriegstüchtig“? Die Frage hat Verteidigungsminister Boris Pistorius kürzlich aufgeworfen. Veit Medick und ich haben darüber mit dem Politologen Herfried Münkler gesprochen. Bei seinen Antworten stockte uns manchmal der Atem. Münkler fordert etwa europäische Atomwaffen. 

Normalerweise lesen Sie an dieser Stelle auch, was stern-Politikchef Nico Fried in seiner neuen Kolumne schreibt, heute können Sie ihn ausnahmsweise auch sehen. Fried hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei dessen Besuch im nahezu vollständig zerstören Kibbuz Be’eri begleitet – und ein bedrückendes Video mitgebracht. 

LAUTER LIEBLINGE  

Ihr Highlight der Woche  

…kommt natürlich aus dem Bereich „Haushalt“. Es ist dieser Kommentar meiner Kollegin Miriam Hollstein über den Rauswurf des Finanzstaatssekretärs: „Lindner feuert Gatzer – dieser Rauswurf kann für die Koalition böse Folgen haben“  

Mein Highlight der Woche  

 … ist der Zwist zwischen dem CDU-Chef Merz und dem Berliner Regierenden Kai Wegner, ebenfalls CDU. Erst bringt Wegner als Erster den Schuldenbremsen-Kurs von Merz ins Wanken. Und als der im Bundestag den Vorstoß als Einzelmeinung eines Bürgermeisters abtut, legt Wegner nach. Bahnt sich da etwa eine Fehde an? 

Eine schöne Woche und bleiben wenigstens Sie friedlich!   

Jan Rosenkranz 

P.S.: Sind Sie im Team „Schuldenbremse“ oder halten Sie zum Team „Haushaltsnotlage“? Und wie hat Ihnen der Newsletter überhaupt gefallen? Schreiben Sie mir: rosenkranz.jan@stern.de. Oder empfehlen Sie uns weiter. Hier können Sie den Newsletter kostenlos abonnieren.   

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