"Zündet Eure Kerzen selber an" Staatsspitze ruft zum Gedenken an Corona-Tote auf – nicht allen ist danach zumute

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum Gedenken an die Toten der Coronavirus-Pandemie eine Kerze entzündet
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zum Gedenken an die Toten der Coronavirus-Pandemie eine Kerze in einem Fenster von Schloss Bellevue entzündet
© Bernd von Jutrczenka / DPA
Fast 80.000 Tote: An diesem Sonntag wird der bisherigen Opfer der Coronavirus-Pandemie in Deutschland gedacht. Doch mit der Trauer mischt sich auf Wut über die Regierenden.

Am 9. März des vergangenen Jahres um 12.44 Uhr starb eine 89-Jährige im Uniklinikum Essen infolge einer Infektion mit dem damals noch neuartigen Coronavirus. Inzwischen, mehr als ein Jahr später, prägt der Sars-CoV-2-Erreger den Alltag und hat weltweit für Leid und Trauer gesorgt. 79.913 weitere Menschen sind seither allein in Deutschland an oder mit Covid-19 gestorben – wie viele es einmal sein werden, weiß niemand.

Politiker rufen zur Aktion "#lichtfenster" auf

Dennoch hat die Staatsspitze bereits jetzt zu einem nationalen Gedenktag aufgerufen. An diesem Sonntag soll zunächst in einem ökumenischen Gottesdienst in der Berliner-Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche an die Verstorbenen erinnert werden. Anschließend um 13 Uhr soll eine zentrale Gedenkfeier im Berliner Konzerthaus folgen. Mit dabei: Bundestagspräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Bundesratspräsident Reiner Haseloff, Bundeskanzlerin Merkel und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbath.

"Auch wenn die Pandemie noch nicht überwunden ist, soll dies ein Tag des Innehaltens sein, der zeigt, dass wir als Gesellschaft Anteil nehmen, die Toten und das Leid der Hinterbliebenen nicht vergessen", heißt es im Aufruf des Bundespräsidialamtes.

Doch nicht nur die führenden Politiker und Politikerinnen des Landes sind aufgerufen, der Toten zu gedenken, auch die Bevölkerung soll nach Wünschen der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Bundesländer ihre Anteilnahme zeigen. Doch die ernten dafür neben Zustimmung auch heftige Kritik.

Menschen machen Länder für Coronavirus-Lage verantwortlich

Unter dem Schlagwort "#lichtfenster" riefen die Länderchefinnen und -chefs dazu auf, an den Abenden vom 16. bis 18. April Kerzen in die Fenster zu stellen. "Wir wollen uns bewusst machen, was wir verloren haben, aber gemeinsam auch Hoffnung und Kraft schöpfen", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. "Viele geliebte und geschätzte Angehörige, Großeltern, Eltern, Partnerinnen und Partner, aber auch Freundinnen und Freunde, Bekannte, Nachbarinnen und Nachbarn, Kolleginnen und Kollegen sind in der Pandemie schon gestorben. In diesem Moment wollen wir die Trauer der unmittelbar betroffenen Mitbürgerinnen und Mitbürger teilen."

Doch statt dem Hashtag "#lichtfenster" beherrscht der Hashtag "#einkerzen" die sozialen Netzwerke. Er wurde vom Aktionsbündnis "Grüne Zonen" initiiert wurde. In ihm haben sich zahlreiche Initiativen zusammengeschlossen, die sich für eine NoCovid-Strategie einsetzen – also für äußerst strenge regionale Infektionsschutzmaßnahmen, bis das Infektionsgeschehen zunächst unter eine Sieben-Tage-Inzidenz von 10 und anschließend komplett zurückgefahren wurde.

"Das sinnlose Sterben muss aufhören!"

Das Aktionsbündnis ruft dazu auf, so viele Kerzen wie möglich zu organisieren und diese direkt und unangezündet an den Staatskanzleien der Länder abzulegen oder an diese zu schicken. Und etliche Menschen folgten dem Aufruf aus Wut über die Politik der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten, denen sie eine Hauptverantwortung für die derzeitige Lage anlasten. In den sozialen Netzwerken posten sie Bilder von vor den Staatskanzleien abgelegten Kerzenmassen und werfen den Regierenden Untätigkeit vor. Einige Beispiele:

  • "Das sinnlose Sterben muss aufhören! Möge den Verantwortlichen ein Licht aufgehen."
  • "Die Kerzen können gerne selbst in das Fenster gestellt werden. Es ist unverschämt, die Opfer der Pandemie auch noch zu verhöhnen. Macht Eure Arbeit und schützt die Bürger!"
  • "In Gedenken an die vielen Menschenseelen und Schicksalsschläge hinter den Zahlen. Wie lange wollt ihr noch warten? Was für ein falscher Film läuft bei euch?"
  • "Ihr wollt, dass wir Kerzen in die Fenster stellen und anzünden, damit Ihr von Eurer schweren Schuld befreit werdet? Oh nein, zündet Eure Kerzen selber an, denn Ihr habt dies zu verantworten."
  • "Die Kerzen sollten die anzünden, die mit für die Toten verantwortlich sind."
  • "Eine Pandemiepolitik, die zehntausende Tote und noch viel mehr Schwerkranke in Kauf nimmt, Kinder, Lehrer und Eltern sowie sonstigen Arbeitnehmern tödlichen Gesundheitsrisiken aussetzt, ist nicht mehr länger hinzunehmen. Zündet eure Kerzen selber an."
  • "Ich fasse es nicht. Halten die uns wirklich für so dümmlich, dass man mit scheinheiliger Symbolkacke wieder alles weniger schlimm erscheinen lässt?"
An dieser Stelle hat unsere Redaktion Inhalte von Twitter / X integriert.
Aufgrund Ihrer Datenschutz-Einstellungen wurden diese Inhalte nicht geladen, um Ihre Privatsphäre zu schützen.

Hintergrund sind die seit Wochen wieder ansteigenden Infektionszahlen in Deutschland. Trotz der sich verschärfenden Pandemielage wurden in zahlreichen Bundesländern die Infektionsschutzmaßnahmen nicht verschärft, mancherorts sogar gelockert. Zudem herrscht seit Wochen ein öffentlich ausgetragener Streit über die sogenannte Bundes-Notbremse. Bis eine bundeseinheitlichen Regelung beschlossen wird, sind die Bundesländer allein für die Infektionsschutzmaßnahmen verantwortlich.

De 18. April ist damit nicht nur ein Tag der Trauer, sondern auch ein Tag der Wut. An diesem Sonntag meldete das Robert Koch-Institut 67 weitere Todesfälle.