"Maybrit Illner" und "Markus Lanz" Ukraine-Botschafter Melnyk stichelt weiter: Scholz-Besuch in Kiew "hoffentlich auch für den Kanzler wichtig"

  • von Andrea Zschocher
Andrij Melnyk zum Kanzlerbesuch von Olaf Scholz in der Ukraine
Ukraine-Krieg: In der ZDF-Sendung "Maybrit illner" vom 16.06.2022 diskutierten unter anderem Ralf Stegner (SPD) und der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk (rechts)
© Svea Pietschmann / ZDF
Mit Andrij Melnyk und Wladimir Klitschko waren bei "Maybrit Illner" und "Markus Lanz" zwei Stimmen aus der Ukraine zu Gast. Der eine war vor allem versöhnlich, der andere forderte viel.

Alle waren sich einig: Der Besuch von Kanzler Scholz (und den Staatschefs von Frankreich, Italien und Rumänien) war eine wichtige Botschaft. Während Wladimir Klitschko bei "Markus Lanz" vor allem darüber sprach, dass der Besuch "eine wichtige Botschaft für die Welt und für Russland" war, um zu zeigen "die Welt ist nicht einverstanden", sah Andrij Melnyk das bei "Maybrit Illner" etwas nüchterner. Er gab zu,  dass die Zusammenkunft in Kiew wichtig für die Ukraine ist, "aber hoffentlich auch für den Bundeskanzler selbst". 

Ukraine: Scholz-Besuch Thema bei "Maybrit Illner" und "Markus Lanz"

Diese Einschätzung passte natürlich deutlich besser zu dem seit Februar sehr viel fordernder auftretenden ukrainischen Botschafter in Deutschland. Während Klitschko sich in Zurückhaltung und Dankbarkeit übte, kritisierte und forderte sein Landsmann auf Twitter und in verschiedenen Talkshows immer wieder mehr Unterstützung von Deutschland. Angesprochen auf seine Äußerung, die aus der Ukraine Geflüchteten würden Deutschland in großer Zahl den Rücken kehren, weil dieses Land die Ukraine nicht genug unterstütze, lenkte der Botschafter ein. Diese Aussage wäre aus dem Zusammenhang gerissen worden, er hätte große Hilfsbereitschaft bei den vielen Ehrenamtlichen und den Deutschen generell gesehen. So ganz zurücknehmen wollte Melnyk die Kritik dann aber doch nicht, er wies darauf hin, dass er ja ganz generell auch nur wiedergegeben hätte, was ihm im Austausch von seinen Landsleuten berichtet wurde. Man solle Menschen, deren Unterstützung man sich wünscht, nicht beleidigen, gab Maybrit Illner ihrem Gast dann einen guten Rat mit auf den Weg. 

Wladimir Klitschko: "Wir fragen viel, wir brauchen viel"

Der Botschafter nahm auch zur Kenntnis, dass seinem Land durch den Besuch des Kanzlers "ein bisschen Hoffnung" geschenkt wurde. Aber die dürfe, mahnte er, nun nicht enttäuscht werden und deswegen müssten nun dringend Taten folgen. Es ist absolut verständlich und nachvollziehbar, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer immer wieder um militärische Unterstützung bitten. Wladimir Klitschko erkannte aber auch die humanitäre und politische Unterstützung an, die Melnyk öffentlich eher seltener würdigt. "Deutschland ist ein wichtiger Partner", so Klitschko, eben wegen der vielfältigen Unterstützung. 

"Wir fragen viel, wir brauchen viel", sagte er bei Lanz, weil das Land am Boden ist und viele Menschen sterben. Das müsse so schnell wie möglich gestoppt werden und dafür braucht es eben (schwere) Waffen. Aber die Deutschen sollten nicht vergessen, dass die Ukraine "viel zurückgeben" wird, weil die Ukrainerinnen und Ukrainer gut ausgebildet seien. Und auch das sollte in diesen Zeiten nicht vergessen werden: "Wenn der Krieg nicht gestoppt wird, wird die Welt das merken". Was bei Melnyk vielleicht wie eine Drohung klingen würde, klang aus Klitschkos Mund nach ehrlicher Besorgnis um all die Länder, die auf Ernteerträgnisse aus der Ukraine angewiesen sind. 

Andrij Melnyk: "Wir geben den Deutschen die Chance spätestens heute mehr zu tun"

"Wir geben den Deutschen die Chance, spätestens heute mehr zu tun", antwortete Andrij Melnyk auf Maybrit Illners Frage, ob die Ukraine Deutschland die Schuld geben wird, sollten sie den Krieg verlieren. Es ginge ihm trotz dieser wohlgesetzten Spitze gegen die Bundesregierung, ja nicht darum, Schuldzuweisungen zu machen, sondern um die Erkenntnis, dass Deutschland mehr tun könnte. Er wolle ja mit seinen Aussagen über fehlende schwere Waffenlieferung niemanden beschämen, sondern die Notwendigkeit des schnellen Handels vor Augen führen.

Natürlich hat der ukrainische Botschafter in Deutschland Recht, wenn er darauf hinweist, dass Waffen besser heute als morgen geliefert werden müssten, weil die im Moment den größten Impact im Krieg gegen die russische Armee zeigen würden. Aber deswegen gleich eine gefühlte Bestellliste vorzulegen, was jetzt genau nötig ist, am besten noch in der Talkshow, einem Politiker oder einer Politikerin Zugeständnisse abringen? Im Hintergrund sind natürlich Berater und Beraterinnen aktiv, die genau wissen, welche Waffen gerade wichtig sind. Aber die Militärexpertendichte in deutschen Talkshows und die permanente Erwähnung von Haubitzen, Marder- und Leopard-Panzern ist irritierend bis besorgniserregend. 

Melnyk: "Wir lernen schnell, auch per YouTube-Videos"

Während Klitschko bei "Markus Lanz" vor allem allgemein um Unterstützung bat, wurde Melnyk sehr konkret. Das alte sowjetische Gerät, das bereits geliefert wurde, sei gut für die Befreiung der okkupierten Gebiete, denn die modernen Waffen würden hier gar nicht hinkommen. Aber es ginge eben um mehr, die Industrie solle, so Melnyks Forderung, auch moderne Waffen liefern. Eine Ausbildung, wie sie gerade einige Soldaten in Idar-Oberstein erhalten haben, sollte zukünftig schneller passieren. "Wir lernen schnell, auch per YouTube-Videos", sagte der Botschafter. 

Wären solche Sätze nicht auch ein Grund, mal kurz innezuhalten? Mal nachzufragen, wer da eigentlich welche Waffen in die Hand bekommt? Nichts, gar nichts spricht gegen die militärische Unterstützung der Ukraine, das ist richtig und wichtig und darf nicht unterbrochen werden. Aber sollte nicht auch darüber nachgedacht und abgewogen werden dürfen, wem welche Waffen übergeben werden? Es ist eine grauenvolle Tatsache, dass im Krieg in der Ukraine jeden Tag Menschen sterben. Kinder, Frauen, Männer. Dass Russland gezielt Zivilisten angreift, dass russische Soldaten vergewaltigen und morden. Muss es nicht trotzdem Raum geben für die Frage: Wer bekommt die Waffen? Was geschieht damit, sobald sie die ukrainische Grenze passiert haben? Und was, wenn die neuen Waffen in die falschen Hände fallen? 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Schnell mehr Waffen liefern  

Bei "Maybrit Illner" wurde von der Redaktion eingespielt, welches Land wie viel von welchem Kriegsgerät bereits in die Ukraine geliefert hat, was das aber genau bedeutet, wird den meisten Zuschauenden überhaupt nicht klar sein. Wir alle sehen jeden Tag, mit welchem Mut und welcher Stärke Ukrainer und Ukrainerinnen ihr Land, ihre Freiheit und auch Europa verteidigen. Aber viele Deutsche hören in diesen Talkshows den immer gleichen Ruf nach: Waffen, Waffen, Waffen. Es ist nie genug. Weil es nie genug sein kann, bis der Frieden in der Ukraine gewonnen ist. Man muss, sagte Andrij Melnyk, davon ausgehen, dass der Krieg lange dauern wird. Er forderte, dass der Westen in Vorbereitung auf diese Zeit jetzt mehr Waffen bestellt, um diese dann in die Ukraine zu liefern. 

Wladimir Klitschko: "Russland soll die Ukraine verlassen" 

Wir hoffen auf ein Ende des Krieges. Als Markus Lanz Wladimir Klitschko nach dem Kriegsziel der Ukraine fragte, antwortete der, dass dieses Ziel von Russland definiert wird. Seinem Land ginge es ums Überleben und die Freiheit zu behalten, in einer Demokratie zu leben. Es "gibt keine weiteren Gespräche über abzutretende Gebiete", sagte Klitschko und machte deutlich, was die Forderung ist: "Russland soll die Ukraine verlassen". Er könne sich, so Klitschko, nicht vorstellen, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer eine andere Lösung akzeptieren als die, dass die "russische Armee" die Ukraine verlässt. 

Faktencheck: Zeigt dieses Video wirklich den Untergang eines russischen Kriegsschiffes?
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© Commons
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Andrij Melnyk äußerte sich bei Illner nicht zu einem Kriegsende oder möglichen Verhandlungen. Stattdessen war ein Thema aber, dass Deutschland sich in russische Abhängigkeit begeben hätte. Das sei "auch nach dem Krieg ein wichtiger Faktor", weil diese Kontroverse nicht aufgelöst wurde. Sein Vorschlag: Deutschland könne aus dieser Erfahrung lernen und die Ukraine mehr unterstützen. Dazu zählte der Ukrainer auch den möglichen EU-Beitritt. Der sei "kein Geschenk" und wir würden davon profitieren. Das Thema "Nato könnte wieder aktuell werden", prophezeite Melnyk. Auch in dem Punkt der deutschen Abhängigkeit von Russland war sein Landsmann Klitschko bei Lanz wesentlich versöhnlicher. Es seien Fehler in der Energiepolitik gemacht worden. "Irgendwo habe ich Verständnis", so Klitschko, aber dieses Unfreiheit hätte bereits im Vorfeld verhindert werden müssen. Nun müsse es darum gehen, Lösungen zu finden. Und eben vor allem als starker Partner und Vertrauter an der Seite der Ukraine zu stehen.