Scholz reist in die Ukraine Die doppelte Botschaft des Kanzlers in Kiew: EU ja, Panzer nein

Wolodymyr Selenskyj (r.)und Olaf Scholz in Kiew auf dem Weg zur Pressekonferenz
Solidarität ja, aber auch unterschiedliche Interessen: Wolodymyr Selenskyj (r.) und Olaf Scholz in Kiew auf dem Weg zur Pressekonferenz
© Kay Nietfeld / DPA
Bundeskanzler Olaf Scholz ist gemeinsam mit Macron und Draghi in die Ukraine gereist. Ihr Ziel: Die Zweifel am Willen des Westens zerstreuen, die Ukraine ausreichend zu unterstützen. Ob ihnen das gelungen ist? Fraglich.

Ist das der Satz, auf den sich das lange Warten gelohnt hat? Der Satz, um den der Bundeskanzler sich eine gefühlte Ewigkeit herumgedrückt hat. "Die Ukraine gehört zur europäischen Familie“, hat Olaf Scholz gesagt. Und dass Deutschland sich dafür einsetzen werde, dass die EU der Ukraine, wie auch der Republik Moldau, den Status von Beitrittskandidaten verleihen werde. Scholz hat das in Kiew gesagt. Es ist einer der Sätze, die sein Gastgeber, der ukrainische Präsident Wolodomyr Selenskyj erhofft, ja erwartet hatte. Aber eben auch: nur einer. Auf andere erhoffte und erwartete Sätze hoffte und wartete er vergebens.

Man könnte diese Reise, die eine so lange, verquere Vorgeschichte hatte – von der Verstimmung nach der Ausladung des Bundespräsidenten bis zur fast bockigen Abwarte-Haltung des Kanzlers danach –, man könnte diese Reise mit dem Satz resümieren: Olaf Scholz hat nun geliefert. Man muss, zumindest aus Sicht der Ukraine, hinzufügen: Allerdings nur das Mindeste. Mehr nicht. Aus einer etwas neutraleren Perspektive ließe sich jedoch hinzufügen: Sehr viel mehr war auch nicht drin.

Bisher der höchste Besuch, den Kiew gesehen hat

"Ich werde mich nicht einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen. Sondern wenn, dann geht es immer um ganz konkrete Dinge.“ Die beiden Sätze von Olaf Scholz, mit dem er sein Zögern begründete, sind jetzt schon legendär; viele Freunde hat er sich damit nicht gemacht. Wer erwartet oder erhofft hatte, dass es sich bei diesen ganz konkreten Dingen um die handfeste Zusage handele, sogenannte schwere Waffen an die Ukraine zu liefern, muss zwangsläufig enttäuscht sein. Scholz und seine beiden Mitreisenden, der französische Präsident Emmanuel Macron und der italienische Regierungschef Mario Draghi, hatten als Gabe nur die EU-Botschaft dabei – und sich selbst.

Macron, Draghi, Scholz. Das ist die höchstrangige Reise-Gesellschaft, die seit dem Beginn des Krieges vor 113 Tagen den Weg nach Kiew gefunden hat. Allein ihr Besuch im Dreierpack ist als Zeichen zu verstehen. Die drei, man kann das durchaus so sagen, sind die Gesichter jener EU, in die die Ukraine so vehement drängt. Sie repräsentieren die drei Mitgliedsstaaten mit den meisten Einwohnern und der stärksten Wirtschaftskraft; alle drei gehören auch G7 an, dem Zusammenschluss der starken demokratischen Wirtschaftsnationen. Auch dass sie gerade jetzt gemeinsam den Weg in die Ukraine gefunden haben, ist wohl durchdacht gewesen.

Dies sind Tage der Vorentscheidung. An diesem Freitag wird die EU-Kommission bekanntgeben, ob die Ukraine bekommt, was sie möchte: den Status eines Beitrittskandidaten zu Europäischen Gemeinschaft. De jure gibt es den gar nicht, aber er besitzt inzwischen einen enormen symbolischen Stellenwert. Die Begeisterung über einen Beitrittskandidaten Ukraine hält sich bei etlichen Staaten in Grenzen; da ist es bereits ein Wert an sich, wenn Deutschland und Frankreich – beide selbst lange zögerlich – für die Ukraine stark machen.

Olaf Scholz gibt ein Versprechen ab

Mitte kommender Woche werden sich dann die EU-Regierungschefs in Brüssel treffen, die G7 kommt ab Sonntag im bayerischen Elmau zusammen. Bei beiden Treffen wird der Krieg in der Ukraine die Hauptrolle spielen, an beiden Treffen wird Selenskyj teilnehmen, mutmaßlich aus Kiew zugeschaltet. Es wird nicht zuletzt darum gehen, wie die Folgen, die Putins Überfall, sein brutaler Krieg und seine Politik der Verknappung von Energie und Nahrungsmitteln aufgefangen werden können, für die Ukraine, aber auch für den Rest der Welt.

Schon wahr, für Worte kann man sich nichts kaufen. Und dennoch sind manche Worte von enormem Wert – wenn man sie ernst nimmt. Die Ukraine werde so lange Hilfe und Unterstützung bekommen "wie das nötig ist für den Unabhängigkeitskampf“, sagte Scholz in Kiew. Das ist nicht nichts. Das ist das Versprechen, die Sanktionen durchzuhalten, bis Putin sich zu Friedensverhandlungen mit der Ukraine bereit findet – egal, wie lange es dauert, und gleichgültig, wieviel es kostet.

Unterschiedliche Interessenlage bleibt bestehen

Und die Kosten werden hoch sein, nicht nur finanziell, das aber auch. Allein fünf Milliarden Euro benötigt die Ukraine jeden Monat, um ihr Staatsdefizit auszugleichen, zig Milliarden wird der Wiederaufbau verschlingen, weitere Milliarden werden bis dahin in Waffen fließen, wenn auch nicht unbedingt in jene, die die Ukraine am dringendsten wünscht.

Denn ein Grundproblem bleibt auch nach diesem Besuch. Es besteht in unterschiedlichen Interessenslage der Ukraine auf der einen und der westlichen EU-Mitglieder auf der anderen Seite. Die Nato-Staaten – USA, Frankreich und Deutschland zuvörderst – möchten auf jeden Fall vermeiden, dass der Krieg sich ausweitet und die Nato mit hineingezogen wird. Das ist auch der eigentliche Grund, warum der Westen bislang alle Bitten der Ukrainer ausgeschlagen hat, ihnen Schützen- oder Kampfpanzer zu liefern. Mit Panzern lässt sich schnell auch die Grenze zu Russland überqueren. Panzer aus Nato-Staaten auf seinem Gebiet, damit hätte Putin allen Grund, den Westen als Kriegspartei anzusehen. Das Risiko will derzeit niemand eingehen.

Der russische Botschafter in Berlin, der ukrainische Präsident, die Klitschko-Brüder werden auch nach der Abreise von Scholz, Macron und Draghi nicht aufhören, nach mehr und vor allem durchschlagenderen Waffen zu rufen. Das ist ihr gutes Recht. Helfen wird es ihnen nicht.