Steuert die AfD weiter nach Rechts? Wird der Einfluss des völkischen "Flügels" wachsen? Das waren die Fragen vor dem Bundesparteitag der aktuell größten Oppositionspartei im Bundestag. Mit Alexander Gauland hat eine mäßigende Stimme die Parteispitze verlassen, auch andere als gemäßigt geltende Mitglieder gehören dem Parteivorstand nicht mehr an.
Und mit Tino Chrupalla aus Görlitz ist nun jener Bundestagsabgeordnete neben Jörg Meuthen für Gauland in die Parteispitze gerückt, der noch vor kurzem "Pfui"-Rufe im Bundestag kassierte. Der Grund: In der Debatte am 8. November hatte er Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgeworfen, sie habe "damals bei der FDJ" doch "Herrschafts- und Zersetzungsstrategien (…) gelernt" und "wie man ein Volk mit Propaganda und Agitation in Schach hält." Die meisten Presse-Kommentatoren sehen die AfD auf dem Weg in die Radikalisierung.
"Frankfurter Allgemeine Zeitung"
Zu seinem Abschied als Parteichef hat Alexander Gauland die AfD auf einen neuen Kurs eingeschworen. Die Partei müsse bereit zum Regieren sein, forderte er (...). Noch vor zwei Jahren war die damalige Vorsitzende Petry für einen ähnlichen Vorstoß von Gauland und dem radikalen "Flügel" der Partei abgestraft worden. Nun ist selbst der fürs Regieren. Gaulands Kurskorrektur bedeutet indes nicht, dass die gemäßigten Kräfte die Oberhand gewonnen hätten. Ebenso falsch ist die Interpretation, jeder Parteitag und jede Wahl in der Führung bedeuteten einen weiteren Rechtsruck. Die Wirklichkeit ist komplizierter. (.) Ob Gaulands Ziel, die AfD in eine Regierung zu führen, Wirklichkeit wird, hängt auch davon ab, ob Union und SPD, die alten Parteien der Mitte, weiter an Strahlkraft verlieren.
"Stuttgarter Zeitung"
Alexander Gauland hat seine Leute zum Abschied zur Mäßigung gemahnt. Bei dieser Gelegenheit müsste der Parteimitgründer vor seiner eigenen Bilanz erschrocken sein. Denn die weist in die entgegengesetzte Richtung. Die AfD hat sich kontinuierlich radikalisiert - in Sprache, Positionen, Personen. Und Hinweise darauf, dass die neue Spitze die Partei in eine andere Richtung führen wird, gibt es zurzeit nicht.
"Neues Deutschland" (Berlin)
Björn Höcke hatte vor dem Bundesparteitag erklärt, er werde im Vorstand aufräumen. Gemeint war, dass seine schärfsten Kritiker mit dem Versuch ihrer Wiederwahl scheitern würden. Und: Höcke, oder präziser gesagt, das Netzwerk des völkischen 'Flügels', hat geliefert. (...) Und Tino Chrupalla? Der wirkt wie das Trojanische Pferd des 'Flügels' an der Parteispitze.
"Rheinischer Post" (Düsseldorf)
Dem "Flügel" gehört laut Schätzungen ein Drittel der AfD-Mitglieder an. Gegen ihn sind parteiinterne Wahlen kaum zu gewinnen. Die "Flügel"-Leute könnten für ihre Loyalität in Braunschweig bald einen Tribut verlangen. In der AfD gibt es nicht nur Rechtsextremisten. Es gibt einige, die sich einen gedämpften Kurs wünschen, um neue Wähler zu gewinnen. Aber das heißt nicht, dass die Mehrheit gemäßigt ist. Für mögliche bessere Wahlergebnisse sind einige Radikale bereit, die Faust in der Tasche zu ballen. Aber nur weil man die Faust nicht sieht, ist sie nicht weg.
"Rheinpfalz" (Ludwigshafen)
Sechs Jahre nach ihrer Gründung bleibt die AfD eine Partei mit zahlreichen radikalen Positionen. Sie teilt ungehemmt aus, sieht sich aber zugleich umstellt und verfolgt - von der politischen Konkurrenz, von den Medien, vom Verfassungsschutz. Kaum vorstellbar, dass diese Partei bis auf weiteres auf Landes-, geschweige denn auf Bundesebene Regierungsverantwortung übernimmt.
"Hessisch-Niedersächsische Allgemeine" (Kassel)
Was jetzt in Braunschweig zu beobachten war, ist eine Selbstverharmlosung - mit dem Ziel, konservativen Bürgern im Westen als wählbare Alternative und den Unionsparteien als verlässlicher Partner zu erscheinen. Dafür bedarf es öffentlicher Zurückhaltung, und die ist der AfD bei ihrem Parteitag weitestgehend gelungen. Ob sie damit Erfolg hat, hängt auch von der CDU ab - davon, ob sie weiterhin eine Zusammenarbeit mit einer in Teilen rechtsradikalen Partei ausschließt.
"Badische Neueste Nachrichten" (Karlsruhe)
Die Strategie ist klar: Mit dem wirtschaftsliberalen Professor Meuthen aus Baden-Württemberg und dem nationalkonservativen Malermeister Chrupalla aus Sachsen stellt man zwei vorzeigbare Gesichter an die Spitze, die den Anschein erwecken sollen, die AfD sei eine normale "bürgerliche" Partei. Dahinter aber ziehen diejenigen die Strippen, die radikal im Denken, radikal im Reden und radikal im Handeln sind, auf strikte Abgrenzung setzen und ihre Rolle als Außenseiter wie Opfer des politischen Systems pflegen.
"Mitteldeutsche Zeitung" (Halle/Saale)
Die eigentlichen Strippenzieher des radikalen 'Flügel' haben sich durchgesetzt. Es sind Björn Höcke und Andreas Kalbitz, die auch einen Meuthen und einen Kompromisskandidaten Tino Chrupalla an der Spitze dulden - wenn sie im Gegenzug den letzten konservativen Kräften eine Niederlage beibringen können. Georg Pazderski und andere Höcke-Kritiker gingen in Braunschweig unter, 'Flügel'-Kandidaten wurden gewählt. Die AfD rückt nur deswegen nicht weiter nach rechts, weil sie längst fest im rechtsradikalen Milieu etabliert ist.
"Wiesbadener Kurier"
Ob sich die von Antisemiten, Alt-Nazis, Neo-Nazis, völkischen Ideologen unterwanderte Truppe je als koalitionsfähig erweisen wird, hängt nicht von Jörg Meuthen und Tino Chrupalla ab. Und es braucht mehr als Lippenbekenntnisse und Treueschwüre auf die Verfassung. Der nächste provokante Verbalangriff dürfte schon auf dem Manuskript notiert sein.