Bundestag nach Angriff auf Israel Baerbocks Dilemma – Schlüsselszenen eines denkwürdigen Tags

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne)
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne): "Was Israel in diesen Tagen erleben muss, ist barbarisch. Es ist nicht zu ertragen."
© Britta Pedersen / DPA
Der Bundestag kommt erstmals seit den Angriffen der Hamas auf Israel zusammen. Bundestagspräsidentin Bas wählt deutliche Worte, ebenso Außenministerin Baerbock – die aber nicht ins Detail gehen kann. Die Schlüsselszenen.

Der denkwürdigste Moment

…lässt sich nicht an einer Szene allein festmachen. War es die Anwesenheit von Israels Botschafter Ron Prosor? Die gespenstische Stille unter der gläsernen Reichstagskuppel, als Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) zur Schweigeminute aufrief? Oder doch ihre eindringlichen Worte vor dem offiziellen Beginn der Plenarsitzung, immerhin der ersten seit den Angriffen der Terror-Organisation Hamas auf Israel

In Summe jedenfalls hat das Hohe Haus eine deutliche Botschaft der Solidarität an Israel gesendet. Fast das gesamte Bundeskabinett war anwesend, inklusive Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), ebenso die Fraktionsspitzen. Sie alle hielten inne für die Opfer des Hamas-Terrors, klatschten stehenden Beifall für Botschafter Prosor, der mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf der Ehrentribüne Platz nahm.

Ron Prosor, Israels Botschafter in Berlin, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Ron Prosor, Israels Botschafter in Berlin, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
© Michele Tantussi / Getty Images

Die deutlichste Botschaft

…kam zweifellos von Bundestagspräsidentin Bas, die das Zeichen der Solidarität mit deutlichen Worten untermauerte. Sie verurteilte den "beispiellosen Terror" und die "barbarische Gewalt" der Hamas, der durch "nichts zu rechtfertigen" sei und "sofort" beendet werden müsse. Bas betonte, dass Israel "jedes Recht" habe sich gegen die "menschenverachtende Brutalität" zu verteidigen und seine Bevölkerung zu schützen. "Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson", sagte Bas, die dem sichtlich bewegten Botschafter die "volle und uneingeschränkte Solidarität" des deutschen Bundestags versicherte. Für Bas' Worte gab es immer wieder Szenenapplaus.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD)
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD): "Sehr geehrter Herr Botschafter, ich versichere Ihnen die volle und uneingeschränkte Solidarität des deutschen Bundestags"
© Michele Tantussi / Getty Images

Die wichtigsten Antworten

…auf drängende Fragen lieferte Annalena Baerbock (Grüne), die den Abgeordneten anschließend in einer Regierungsbefragung zur Verfügung stand. Die hochkarätigen Gäste, inklusive einem Gros ihrer Kabinettskollegen, hatten den Plenarsaal da schon wieder verlassen – dabei hatte Baerbock Interessantes zu berichten.

So hätten bereits "Tausende" Deutsche das Land verlassen können, berichtete Baerbock, darunter 17 Schulklassen. Diese seien auf unterschiedlichen Wegen zuerst aus Israel gebracht worden: Manche seien mit Bussen nach Jordanien gefahren worden und von dort aus nach Deutschland geflogen, andere Schulkinder seien über Island ausgereist.

Die Ampel-Kabinettsmitglieder auf der Regierungsbank nehmen an der Schweigeminute für die Opfer des Hamas-Großangriffs teil
Die Ampel-Kabinettsmitglieder auf der Regierungsbank nehmen an der Schweigeminute für die Opfer des Hamas-Großangriffs teil
© Britta Pedersen / DPA

Warum so umständlich und nicht schneller? Das Problem, wie Baerbock es schilderte: Direktverbindungen seien eingestellt worden, man habe priorisieren müssen. Die Ausreise über Umwege sei außerdem die schnellste Option gewesen, zumindest vorerst. Deswegen habe man auch anderen Staatsbürgern immer wieder deutlich gemacht, dass Ausreisen mit internationalen Fluggesellschaften möglich seien, sagte Baerbock. Währenddessen habe man alles dafür getan, dass deutsche Airlines wieder direkt von Israel aus fliegen. Von diesem Donnerstag an sollen Deutsche mit Sonderflügen der Lufthansa aus dem Land gebracht werden. 

Das größte Dilemma

…ist die volatile Lage oder, in Baerbocks Worten, das "brutale Spiel" der Hamas. Allzu oft konnte oder wollte die Außenministerin keine konkrete Antwort auf andere drängende Fragen liefern. "Da sind Deutsche drunter", antwortete sie schmallippig auf die Frage, wie viele deutsche Geiseln sich in der Gewalt der Terroristen befinden würden und ob sich Chancen auftun würden, diese freizubekommen. Zum Risiko einer weiteren Eskalation in Nahost sagte Baerbock: "Ja, diese Gefahr gibt es", ohne näher ins Detail zu gehen.

Auch Baerbock verurteilte den Hamas-Terror als "barbarisch", sprach von einer "Zäsur". Das Vorgehen sei "nicht zu rechtfertigen" und Israel habe das Recht sich zu verteidigen. In Abstimmung mit Israel und internationalen Partnern werde man alles dafür tun, dass "dieses perfide Spiel mit Zivilisten nicht aufgeht", sagte Baerbock.

Immer wieder betonte sie dabei die Bedeutung der Hintergrunddiplomatie, die nun das "Gebot der Stunde" sei – und die sie offenkundig nicht torpedieren wollte. Die Geiseln seien Teil eines "Drehbuch des Terrors" der Hamas, daher könne sie nicht über alles öffentlich berichten. "Zum Schutz ihres Lebens, im Sinne der Familien müssen wir so vorsichtig vorgehen wie es möglich ist", sagte Baerbock. Alle Gesprächskanäle müssten genutzt werden. 

Stehender Applaus im Bundestag für Ron Prosor, Israels Botschafter in Berlin
Stehender Applaus im Bundestag für Ron Prosor, Israels Botschafter in Berlin
© Michele Tantussi / Getty Images

Zu den Hilfen für die Palästinenser sagte Baerbock, es sei "falsch", die lebensnotwendige humanitäre Hilfe jetzt einzustellen, denn auch das sei Teil des Kalküls der Hamas. Gleichwohl würden die gesamten Hilfsleistungen für die Palästinenser überprüft, inklusive der humanitären Hilfe. Das geschehe gemeinsam mit den Vereinten Nationen.

Die Außenministerin versicherte, dass man in Kontakt mit Nachbarländern getreten sei, die wiederum einen Draht zur Hamas oder der Hisbollah im Libanon hätten, um deeskalierend einzuwirken. Auch Bundespräsident Steinmeier habe Telefonate mit "unterschiedlichsten Nachbarländern" Israels geführt, um "einen Flächenbrand zu verhindern". 

Das größte Ärgernis

… stellten die rot-gelb-grünen Lämpchen dar, die den Abgeordneten oder Kabinettsmitgliedern anzeigen, ob sie über ihrer Redezeit liegen. An diesem Mittwoch leuchtete es abermals rot (Redezeit gerissen) auf, sehr zum Unmut von Bundestagspräsidentin Bas: "Frau Ministerin, bitte!", ermahnte Bas die Außenministerin nach einer ausufernden Erklärung über das deutsch-tunesische Verhältnis. "Ich erinnere Sie daran, dass die Abgeordneten das Recht haben, ihre Fragen zu stellen. Sonst kommen wir hier nicht durch." 

Noch strenger nahm es Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP). Seine Schicht begann mit einer Frage aus der AfD-Fraktion. Kubicki an den Abgeordneten: "Im Gegensatz zur Kollegin achte ich sehr auf die Zeit, Sie werden also auf die Ampel achten müssen, auch, wenn Sie das nicht mögen." Ein kleiner Scherz – den Kubicki aber ernst meinte: Später klopfte der FDP-Vizechef demonstrativ mit einem Stift gegen sein Mikro, wenn die Abgeordneten ihre Redezeit überschritten. 

Fast vergessen

…wurde Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne), die den Abgeordneten ebenfalls für kritische Nachfragen zur Verfügung stand. Erst nach 65 Minuten (von insgesamt 100 Minuten) stellte ein AfD-Abgeordneter eine Frage, die ihr Ressort betraf: Was die Ministerin gegen unrechtmäßige Kündigungen von Bankkonten tun wolle? Das Problem gebe es, stimmte Lemke zu, und sollte es nicht geben – da werde man Abhilfe schaffen. Ähnlich viel Esprit zeigte sie auch bei anderen Fragen, etwa rund ums Thema Meeresschutz. Nicht nur Lemke war an diesem Mittwoch mit den Gedanken wohl woanders. 

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