CDU-Verbraucherschutz "Kein Farbklecks auf der Verpackung"

Die Verbraucher fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Dem will sich die CDU mit einem neuen Grundsatzpapier entgegenstellen. Julia Klöckner, verbraucherpolitische Sprecherin der Union, erklärt im stern.de- Interview, wie sie Verbraucher aufklären willl - und welche Rolle die Wirtschaft spielt.

Frau Klöckner, weshalb wird die Verbraucherschutzpolitik der CDU im jetzt verabschiedeten Ökologie-Papier "Bewahrung der Schöpfung" versteckt?

Versteckt ist es nicht. Das Papier "Schöpfung bewahren" fußt auf drei zueinander gehörenden Säulen: Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz. Klima- und Umweltschutz fallen aber nicht vom Himmel, sondern fordern die Verbraucher heraus. Nichts wird auf Dauer produziert, was nicht auch konsumiert oder genutzt wird. Wer ein Gerät kauft, soll auch wissen, was seine Herstellung und sein Gebrauch für die Umwelt bedeuteten.

Verbraucherpolitik sei ein unverzichtbarer Bestandteil der sozialen und ökologischen Marktwirtschaft, sagt die CDU. Ist das auch der Standpunkt des CSU-Verbraucherschutzministers Seehofer? Der will Tiermehle und Tierfette wieder in die Lebensmittel- und Futtermittelkette einführen. Das war bisher verboten.

Wir werden die Nutzung von Tiermehl und Tierfetten nur eingeschränkt zulassen. Konkret: Nur lebensmitteltaugliche Materialien und kein Risikomaterial, das so genannte K1-Material, darf verfüttert werden.

Verbraucherschutz? Auf dem Papier!

Sie reden gerne und viel darüber. Sie schreiben lange Papiere. Sie rufen empört, wenn mal wieder irgendwo Gammelfleisch verkauft wird: Nie wieder! Doch wer mal die Fakten genauer prüft, kommt beim Urteil über den Stellenwert des Schutzes der Verbraucher vor Betrug und Gesundheitsgefährdung um ein vernichtendes Urteil nicht herum: Große Lippe, wenig bis nichts dahinter. Das ist die Haltung aller politischen Parteien, von den Grünen mal abgesehen.

Zu Recht hat jetzt der Bundesverband der Verbraucherzentralen hier endlich Klartext geredet. Dass nirgendwo ein guter Umweltschutz in der Republik stattfindet. Dass die Bürger beim Verbraucherschutz von der Politik im Stich gelassen werden. Dass vor allem die Bundesländer hier eine günstige Gelegenheit sehen zu sparen. Es interessiert sie nicht, dass das am Ende die Bürger die zuweilen bösen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen ertragen müssen.

Die Stromanbieter zocken munter ab. Die Bahn weigert sich, die Fahrgäste als zahlende Kunden zu behandeln. Auf dem Telefonmarkt darf der Verbraucher in die Falle unerwünschter Verträge gelockt werden, die Unterdrückung der Rufnummer ist gang und gäbe. Wer sich beschweren will, muss vor Gericht ziehen. Kostenfallen im Internet gibt es jede Menge. Texte auf Lebensmitteln werden so klein gedruckt, dass ältere Menschen sie nicht lesen können. Auf dem Kreditmarkt dürfen undurchsichtige Finanzdienstleister ungestraft Wild-West-Methoden praktizieren. Und mit der Auszeichnung gentechnisch behandelter Lebensmittel klappt es nicht. Bald soll sogar wieder Tiermehl als Futtermittel bei Kühen und Kälbern zugelassen werden: ein neues Einfallstor für BSE. Unterm Strich steht: Kaum Transparenz, schlechte Aufklärung.

Verbraucherschutz ist bei den Parteien meist nur leeres Geschwätz. Zwar hat die CDU jetzt ein gutes Zehn-Punkte-Papier zum Verbraucherschutz verfasst, das auf dem nächsten Bundesparteitag auch beschlossen werden soll. Wieweit daraus jedoch praktische Politik gemacht wird, ist bei offen - ebenso wie bei der SPD, die sich vor effektivem Verbraucherschutz drückt, wie jetzt beim Verbraucherschutz für Bahnkunden durch Justizministerin Brigitte Zypries praktiziert Es ist ja kein Zufall, dass so gut wie niemand weiß, dass der im Bund hauptverantwortliche Minister für Verbraucherschutz Horst Seehofer heißt. Der CSU-Mann interessiert sich für das Thema nicht im Geringsten - es sei denn, dass es darum geht, seine bayerischen Bauern vor irgendwelchen Verbraucherschutz-Auflagen zu bewahren. Die Zeiten, in denen Renate Künast diesen Job während der rot-grünen Regierungszeit machen durfte, sind lange vorbei. Dass immer noch die Bürger sie als Einzige namentlich mit dem Thema in Verbindung bringen, sagt alles: Die Große Koalition spielt beim Verbraucherschutz nur Klein-Klein.

Hans Peter Schütz

Aber Sie lassen BSE vielleicht doch wieder zu?

Nein, denn das Risikomaterial, also die Verfütterung von Tiermehl aus Hirn oder Rückenmark, was damals zu BSE führte, darf richtigerweise nicht mehr verwendet werden. Und bei Tierfetten darf nicht nach dem Kannibalismusprinzip verfahren werden: Kein Schweinefett an Schweine.

Sie plädieren in ihrem Papier für den eigenverantwortlichen Verbraucher. Aber der muss doch gut informiert werden, um gefährliche Produkten zu kennen?

Der aufgeklärte Verbraucher ist nicht einfach da. Er muss Informationen haben und die Kompetenz, mit diesen Informationen umgehen zu können. Bildung ist wichtig! Verbraucher brauchen zum Beispiel leicht verständliche Kennzeichnungen an den Produkten und das Recht, zusätzliche Informationen zu bekommen, wenn sie wollen. Darüber hinaus fordern wir die Einführung des Forschungsgebiets Verbraucherschutz und in den Schulen muss die Stärkung der Verbraucherkompetenz beginnen und gestärkt werden.

Vorrang vor Gesetzen sagen Sie hätten Selbstverpflichtungen der Wirtschaft. Was heißt denn das konkret?

Wir fordern, dass die Branchen für Transparenz bei ihren Produkten sorgen. Die Wirtschaft soll aktiv am Verbraucherschutz mitarbeiten und sich nicht zurücklehnen, bis die Politik Fehler findet und Vorschriften macht.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Diese Selbstverpflichtung funktioniert doch nur, wenn sie in der Wirtschaft dem mit Strafen drohen, der da nicht mitmacht.

Wir werden nicht zulassen, dass eine Branche mit Selbstverpflichtungen wedelt, damit die Politik still hält, aber hinterher will keiner etwas von der Verpflichtung wissen. Wir fordern: Jede Branche, die Selbstverpflichtungen vorschlägt, muss dabei auch sagen, welche Strafen es gibt, wenn sich jemand nicht daran hält. Feigenblätter lassen wir nicht gelten.

Aber was ist dabei der Maßstab? Viele Firmen drucken die Informationen über ihr Produkt so klein, dass ältere Menschen sie nicht mehr lesen können. So umgehen sie dann die Pflicht zur Information.

Dieser Punkt rückt immer mehr in den Mittelpunkt. Ältere Menschen sind die interessante und finanzstarke Konsumentengruppe und damit attraktiv für Anbieter. Leider gibt es schwarze Schafe, die davon ausgehen, dass man Ältere leicht über den Tisch ziehen kann. Für ältere Menschen wird es in der Tat immer schwieriger, sich bei der Vielfalt der Angebote zurecht zu finden. Die Infos auf Produkten kann man kaum lesen oder oft auch nicht verstehen. Manche Gebrauchsanleitungstexte verwirren mehr, als das sie aufklären. Ganz zu schweigen von den unnötigen Anglizismen. Über dieses Problem wird sich die CDU/CSU im Herbst mit der Wirtschaft intensiv unterhalten und Besserung fordern. Wir verlangen klare Texte in leserlicher Schrift.

Welche Sanktionen soll es geben, um etwa Gammelfleischhändler zu bestrafen? Noch immer nicht kommen die Namen der Betrüger nicht sofort auf den Tisch.

Das ändert sich. Ross und Reiter werden namentlich genannt. Das ist Inhalt des neu geltenden Verbraucher-Informationsgesetzes. Gammelfleischhändler, die ihren Reibach bundesweit machten, lachten doch über lächerliche 20.000 Euro Buße. Deshalb wird künftig der Name genannt, um die kriminelle Energie der Täter publik zu machen - das führt ganz klar zur Imageschädigung dieser Akteure. Auch kann die Lizenz entzogen werden. Nach zwei Jahren werden wir das Gesetz evaluieren und seine Anwendung genau überprüfen. Verschärfungen sind nicht ausgeschlossen.

Zur Person

Die rheinland-pfälzische Abgeordnete Julia Klöckner ist Beauftragte für Verbraucherschutz der Unionsfraktion im Bundestag. Vor ihrem Einzug in das Parlament im Jahr 2002 war die studierte Politologin unter anderem Religionslehrerin und Chefredakteurin der Zeitschrift "Sommelier Magazin".

Sie lehnen eine rechtlich vorgeschriebene Farbkennzeichnung der Lebensmittel ab - also grün für gut, rot für gefährlich, gelb für einigermaßen gut. Wieso denn? Das wäre doch verbraucherfreundliche Information.

Nationale Alleingänge machen ebenso wenig Sinn wie simple aber undifferenzierte Vergabe von Farbklecksen. Auf EU-Ebene wird grade an einer Regelung gearbeitet. Wir sollten den Verbraucher nicht mehr verwirren wie nötig.

Und verweigern dadurch dem deutschen Verbraucher Information. Der hat aber keine Lust auf die EU zu warten.

Um übersichtliche Informationen zu bekommen, muss er das auch nicht. Die Konsumenten merkten es in den vergangenen Wochen in den Supermarktregalen: Die Anbieter setzen das um, was wir mit ihnen besprochen haben. Auf die Vorderseite kommen die wichtigsten Informationen. Mit guter Übersicht, wie viel des Tagesbedarfs abgedeckt ist. Wer diese Einzelangaben farblich unterlegen möchte, bitte gerne.

Die Ampel-Kennzeichnung lehnt die CDU doch generell ab.

Die reine Ampel - ein einziger Farbklecks auf der Verpackung - wollen wir in der Tat nicht. Ein grüner oder roter Punkt alleine bringt nichts. Da wird die Butter immer den roten Punkt haben, auch die Butter mit weniger Fett, die es ebenfalls gibt. Das sagt mir dann aber der rote Punkt nicht. Auch gutes Olivenöl wird immer den roten Punkt haben. Produktionsinnovationen mit einer günstigen Energie- und Nährwertbilanz erkannt werden können.

Was wollen Sie denn anstatt der Ampel? Nichts?

Wir möchten zwei Stufen. Die reine Farbkennzeichnung lehnen wir ab, weil bei ihr die Infos fehlen. Vorne auf der Verpackung müsse zum Beispiel die Kalorienzahl, Zucker- und Fettanteile stehen, dann kann der Verbraucher präzise vergleichen. Wenn das farblich zusätzlich unterlegt wird, ist das in Ordnung.

Wie wollen Sie denn nun die Verbraucher neutral und schnell darüber informieren, was in Lebensmitteln drinsteckt?

Wer es schnell wissen will, muss es quasi mit einem Blick sehen können. Wer es vertiefen will, muss es auf der Rückseite in den bekannten Nährwerttabellen nachlesen können. Meiner Meinung nach macht es Sinn, auf der Vorderseite die Brennwerte hervorzuheben - bezogen auf 100 Gramm Inhalt und bezogen auf die gesamte Packung. Bei Yoghurt werden oft nur 100 Gramm ausgewiesen, aber es sind 125 Gramm drin. Da wird mit Eindruck der verzehrten Kalorienmenge geschummelt.

Verbraucherschutz bezieht sich nicht nur auf Lebensmittel. Da ist zum Beispiel die manchmal betrügerische Telefonwerbung. Verstöße sollen scharf bestraft werden, fordert die CDU. Wie genau?

Wer gegen das Gesetz gegen unlautere Werbung (UWG) verstößt und unerlaubte Werbeanrufe betreibt, soll schärfer bestraft werden, mit bis zu 50.000 Euro. Rufnummernunterdrückung zur Verschleierung des Absenders werden ebenfalls geahndet. Die Widerrufsmöglichkeiten müssen erweitert werden - auch auf Aboverträge und Lotteriespiele. Zudem dürfen Verträge nicht einfach mehr so untergeschoben werden. Beim Wechsel eines Telefonanbieters oder Änderung eines Telefonvertrags muss eine schriftliche Bestätigung vorliegen.

Beim Streit zwischen Kunden und Hersteller plädieren Sie auch für eine außergerichtliche Schlichtungsstelle.

Wir wollen damit die Verbraucher und Gerichte entlasten und den Unternehmen eine Mahnung geben: Behandele deinen Kunden auf gleicher Augenhöhe, sonst hat er andere Möglichkeiten.

Verbraucherschutz muss auch der Fahrgast erhalten. Sie plädieren dafür, dass es Entschädigung schon nach 30 Minuten Verspätung bei der Bahn geben soll. Die Justizministerin Zypries will aber erst nach 60 Minuten für die Verbraucher eingreifen. Weshalb hat die CDU der SPD-Ministerin jetzt doch zugestimmt?

Ich bedauere es sehr, dass die SPD hier gemauert hat. Aber man braucht in dieser Koalition eben Kompromisse. Sonst erreicht man unter Umständen gar nichts. Will man die Taube auf dem Dach - sprich 30-Minuten-Entschädigung - oder den Spatz in der Hand - sprich endlich mehr Rechte für Fahrgäste. Vieles wird sich für den Kunden verbessern - trotz 60-Minuten-Regelung. Er darf bei Verspätungen von einer Reise zurücktreten, muss mit Getränken oder einem Hotelzimmer oder einer alternativen Taxifahrt versorgt werden. Und statt Gutscheine bekommt er künftig auch sein Geld zurück. Das gab es vorher alles nicht und deshalb ist der Kompromiss auch gut und sinnvoll für die Verbraucher.

Interview: Hans Peter Schütz