Rund 400 Menschen sind am Mittwochabend durch die Kreisstadt Hildburghausen im Süden Thüringens gezogen – trotz geltender Ausgangsbeschränkungen in dem Landkreis. Um die Menge zu zerstreuen, setzte die Polizei Pfefferspray ein; Beamte nahmen zahlreiche Anzeigen auf.
Der Landkreis Hildburghausen mit seinen rund 65.000 Einwohnern ist zurzeit der Hotspot der Coronavirus-Pandemie in Deutschland. Das Robert-Koch-Institut wies am Tag der Demonstration 526,9 Fälle pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen aus. Zum Vergleich: Bundesweit lag der Wert bei rund 140.
Ausgangsbeschränkungen im Landkreis Hildburghausen
Der Landkreis hatte auf das Infektionsgeschehen mit einer Allgemeinverfügung reagiert. Neben den üblichen Abstandsregeln schreibt sie unter anderem vor: "Ein Aufenthalt außerhalb der eigenen Wohnung bzw. des eigenen Wohngrundstücks ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt." Die Schulen und Kitas wurden geschlossen. Die strengen Regeln sollen bis zum 13. Dezember gelten.
Videoaufnahmen der Versammlung in Hildburghausen zeigen, wie die Teilnehmer ungeachtet der geltenden Regeln in der Innenstadt gemeinsam lautstark "Oh, wie ist das schön" sangen, während am selben Tag mit 410 die höchste Zahl von Todesfällen im Zusammenhang mit einer Coronavirus-Infektion in Deutschland gemeldet wurde. Etliche der Demonstranten trugen keine Masken und hielten keinen Abstand.

Aufgerufen zu dem "Spaziergang" wurde unter anderem in einschlägigen Social-Media- und Messengergruppen von Infektionsschutzgegnern. Auch Rechtsextreme mobilisierten für die illegale Versammlung. Offenbar richtete sich der Protest – zumindest vordergründig – gegen die Maßnahmen zum Infektionsschutz.
Die Polizei war mit rund 30 Beamten vor Ort. "Mehrfache kommunikative Versuche seitens der Polizei, die Teilnehmer zum Verlassen der Örtlichkeit zu bewegen, schlugen fehl", teilte sie mit. "Erst der Einsatz von Pfefferspray durch eingesetzte Polizeibeamte, führte zum Zerstreuen der Teilnehmer." Es gab nach offiziellen Angaben keine Verletzten.
Gegen mehr als 30 der rund 400 Beteiligten seien Anzeigen geschrieben worden: "So wurden Mindestabstände nicht gewahrt, Masken nicht getragen und die eigene Wohnung ohne triftigen Grund verlassen", so die Polizei. Von 200 festgestellten Personalien berichtete Hildburghausens Bürgermeister Tilo Kummer der Nachrichtenagentur DPA. "Die Leute haben meistens gesagt, dass sie spazieren gehen."
Der Linken-Politiker schrieb zuvor bei Facebook, er sei "fassungslos" angesichts der Bilder. "Der Markt in Hildburghausen ist voller Menschen! Etliche tragen keine Masken! Was muss denn noch passieren, bis manche den Ernst der Lage begreifen?"
Coronavirus-Sieben-Tage-Inzidenz steigt weiter
Auch Kummers Parteikollege und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow kritisierte die Teilnehmer laut Nachrichtenagentur DPA scharf. "Sie sind zwar in dem Landkreis, in dem die höchste Infektionsrate in ganz Deutschland ist, aber sie signalisieren, dass sie die Maßnahmen zur Unterbindung der Infektionen wohl eher ablehnen", sagte Ramelow.

Sehen Sie im Video: Arzt stellt nach, wie die letzten Minuten eines sterbenden Covid-19-Patienten aussehen.
Er appellierte an die Menschen, solidarisch zu sein und "sich gegenseitig zu helfen und sich zu unterstützen". Gerade im Raum Südthüringen sei die Situation in den Intensivstationen der Krankenhäuser angespannt. "Wenn man dann auch noch mit einer größeren Form von Missachtung und Leugnung glaubt, darauf reagieren zu können, erweist man seinen Mitbürgern einen Bärendienst", sagte Ramelow.
Die gemeldete Sieben-Tage-Inzidenz im Landkreis Hildburghausen stieg am Donnerstagmorgen auf 602,9.
Quellen: Landespolizeiinspektion Suhl, Robert-Koch-Institut, Landkreis Hildburghausen, Tilo Kummer, Nachrichtenagentur DPA