#Wirwerdenlaut Debatte um "Durchseuchungsplan" in Schulen eskaliert: Kultusministerin Karin Prien löscht Twitter-Account

Die Debatte um einen angeblichen "Durchseuchungsplan" in den Schulen ist eskaliert. Nach einem heftigen Shitstorm hat Karin Prien, Chefin der Kultusministerkonferenz, ihren Twitter-Account deaktiviert.

Zwei Hashtags haben in den vergangenen Tagen die hitzige öffentliche Debatte um den Umgang mit der Corona-Pandemie in Schulen dominiert: #Wirwerdenlaut, unter dem sich Vertretungen von Schülern und Schülerinnen gegen eine angebliche "Durchseuchungstaktik" der Politik an den Schulen wehren. Und #Prienruecktritt, mit dem die derzeitige Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien (CDU), zum Rücktritt aufgefordert wurde. Die 56-Jährige sah sich zuletzt heftigen verbalen Angriffen ausgesetzt und hat nach einem tagelangen Shitstorm ihren Twitter-Account deaktiviert.

Was war geschehen? Schon mit ihrem Auftritt in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz in der vergangenen Woche hatte die CDU-Politikerin Gegner:innen einer weitreichenden Öffnung von Schulen gegen sich aufgebracht. Der öffentlich ausgetragene Zwist gipfelte in der Antwort auf einen vorwurfsvollen und verzweifelten Tweet einer Userin. Diese hatte geschrieben: "Wir haben in den letzten 4 Wochen 17 tote Kinder gehabt. 17 – in VIER Wochen. Und es geht immer schneller. Bis Oktober 21 hatten wir 27 tote Kinder, seit Oktober 38. Also in 4,5 Monaten mehr als in 18 Monaten. Insgesamt sind 65 Kinder verstorben. FÜNFUNDSECHZIG". (Zur Einordnung: Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus in Deutschland nach Alter und Geschlecht) Daraufhin texte Prien: "Bitte differenzieren: Kinder sterben. Das ist extrem tragisch. Aber sie sterben mit Covid_19 und nur extrem selten wegen Covid_19."

Karin Prien: Habe "andere Kultur" erlebt

Prien wurde daraufhin fehlende Empathie und sogar eine menschenverachtende Haltung vorgeworfen, was "grotesk" sei angesichts ihrer jüdischen Vorfahren, so einer der drastischen Tweets. Für Eltern spiele es keine Rolle, ob ihr Kind mit oder an Corona nach einer Infektion in der Schule sterbe. Diese Differenzierung entspreche der Argumentation von Querdenkern, wurde der Kultusministerin von Schleswig-Holstein vorgeworfen. Etliche der Reaktionen waren unsachlich und beleidigend, woraufhin Prien Konsequenzen zog und ihren Twitter-Account deaktivierte. In der Diskussion sei ein "echter Tiefpunkt" erreicht.

Durch ihren Pressesprecher ließ sie ein Statement verbreiten, in dem sie ihren Rückzug von Twitter begründete: "Ich nehme mir einige Wochen Zeit, um darüber nachzudenken, ob und wie ich Twitter als Medium weiter zur Kommunikation nutze", heißt es dort. Während ihrer zahlreichen Termine habe sie eine "andere Kultur" der Auseinandersetzung erlebt. "Auch kritisch und mit anderen Vorstellungen von den richtigen Lösungen, aber zivilisiert und mit Respekt im Umgang und an guten Lösungen interessiert", so die Chefin der Kultusministerkonferenz.

Raus aus der "Kultur der Angst" an den Schulen

Prien steht in der Kritik als klare Verfechterin einer schrittweisen Schulöffnung. Sie wendet sich gegen eine "Kultur der Angst" an den Schulen, die in den Corona-Maßnahmen begründet sei. Wenn ab Mitte Februar, Anfang März geöffnet werde, müsse auch an Schulen gelockert werden. "Sport und Musikunterricht muss wieder in vollem Umfang stattfinden. Das Testen muss schrittweise enden. Spätestens Ende März reichen wahrscheinlich auch zwei Tests pro Woche", sagte sie bereits am vergangenen Samstag der "Bild"-Zeitung. Schrittweise müsse die Testpflicht zur "Testmöglichkeit" werden. Auch die Maskenpflicht müsse nach und nach fallen, zuerst im Klassenraum am Platz, dann im Gebäude. Der Höhepunkt der Omikron-Welle sei zumindest in den nördlichen Bundesländern bereits überschritten, so Prien. Dies zeige sich erfreulicherweise auch an geringeren Infektionszahlen bei den 5- bis 18-Jährigen.

Doch für den Deutschen Lehrerverband ist die aktuelle Lage nicht so eindeutig. Nach wie vor habe die Omikronwelle den Schulbetrieb fest im Griff. Die Infektionszahlen dürften nicht durch zu frühe Lockerungen nochmals hochgetrieben und dadurch der flächendeckende Präsenzunterricht erneut gefährdet werden, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger der Deutschen Presse-Agentur (DPA). Die Schülervertreter, die mit ihrem offenen Beschwerdebrief und der Internetaktion unter dem Hashtag #WirWerdenLaut an die Öffentlichkeit traten, werfen der Politik gar einen bewussten "Durchseuchungsplan" vor. Sie sprechen sich gegen die Präsenzpflicht aus und fordern kleinere Lerngruppen, PCR-Pooltests und Luftfilter in allen Schulen. Bei "Markus Lanz" berichtete eine der Mitorganisatorinnen der Petition, Johanna Börgermann, zudem von Impfdruck und Mobbing nicht-geimpfter Schüler:innen, von Angst vor den Folgen positiver Testergebnisse und auch der Angst vor einer Infektion. "Das mag irrational sein [angesichts eines geringen Risikos einer schweren Erkrankung, Anm. d. Red.], aber die Angst ist da", so Börgermann. Dies werde in der gesamten Debatte kaum berücksichtigt, kritisierte sie.

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Eckerle: "Kinder sollten generell nicht an Covid-19 sterben"

Ohne sich direkt auf Priens Äußerung, Corona-Todesfälle bei Kindern müssten "differenziert" betrachtet werden, zu beziehen, sagte Virologin Isabella Eckerle, Leiterin des Zentrums für neuartige Virusinfektion der Uni Genf, "Kinder sollten generell nicht an Covid-19 sterben, auch wenn die Todesfälle nur einen geringen Prozentsatz an den Gesamtzahlen ausmachen". Es sei leider davon auszugehen, dass "auch seltene Komplikationen weiter zunehmen" werden, so Eckerle zum "Tagesspiegel". Zunehmende Lockerungen, eine schwache Impfempfehlung und zu niederige Impfraten bei unter 12-Jährigen könnten dazu beitragen – zumal die Infektionsraten in den jungen Altersgruppen hoch seien. Dabei sei zu beachten, dass auch andere durch eine Corona-Infektion ausgelöste Komplikation bei Kindern wie das Entzündungssyndrom PIMS oder Long Covid ernst genommen werden müssten – "gerade weil hier noch nicht alle Aspekte wissenschaftlich verstanden sind", so Eckerle.

Mit Material von DPA