Deutschland Eine "kleine Bundestagswahl"

In den Berliner Parteizentralen ist man sich ausnahmsweise einig: Ein zündendes Thema für die Europawahl gibt es nicht. Die Union will den europäischen Urnengang dennoch zu einem Denkzettel für die Bundesregierung machen.

Gleich acht Wahlen will die Union am 13. Juni zu einem Denkzettel für die rot-grüne Bundesregierung machen. Bundeskanzler Gerhard Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering müssen bei einem erneuten Rückschlag mit zunehmender Nervosität in der Koalition rechnen.

Zur Europawahl treten in Deutschland 24 Parteien an. Nur die etablierten Parteien haben allerdings Chancen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Unter den Parteien befinden sich wenig Bekannte wie die Tierschutzpartei Mensch Umwelt Tierschutz, die Familienpartei Deutschlands, die Aktion unabhängiger Kandidaten und die Bürgerrechtsbewegung Solidarität. Schon 1999 schafften nur fünf von 23 Parteien den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Die Autofahrer- und Bürgerinteressenpartei Deutschlands beispielsweise kam nur auf 0,4 Prozent der Stimmen und tritt 2004 nicht mehr an.

Die Europawahl steht in Deutschland vor allem unter nationalen Vorzeichen. Verstärkt wird der bundespolitische Aspekt am selben Tag durch die Landtagswahl in Thüringen sowie kommunale Entscheidungen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt Mecklenburg-Vorpommern und dem Saarland. Schon wird die Frage gestellt, wie es nach dieser "kleinen Bundestagswahl" mit dem Regierungsbündnis in Berlin weitergeht.

Union wünscht sich "Denkzettel-Wahl"

Vor allem die Union will der Europawahl zur einer Ersatz-Bundestagswahl machen. So ist im Kino-Spot der Christdemokraten zu lesen: "Deutschland hat die Nase voll. Von Rot-Grün." Auch auf den Plakaten dominieren die Themen Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum. Europa erscheint nur als Nebenaspekt. Doch das Nein zum EU-Beitritt der Türkei erwähnt CDU-Chefin Angela Merkel in jeder Wahlkampfrede.

Vor fünf Jahren errangen CDU und CSU mit einer ähnlichen innenpolitischen Kampagne einen glänzenden Wahlsieg und schickten die meisten deutschen Abgeordneten ins Europäische Parlament nach Straßburg. Mit 48,7 Prozent lag die Union weit vor der SPD (30,7 Prozent), die noch zehn Monate zuvor die Bundestagswahl gewonnen hatte. Die Meinungsforscher von Infratest dimap notierten: "Die SPD bekam die ganze Enttäuschung der Wähler über die Steuer- und Wirtschaftspolitik zu spüren."

Ähnlich könnte es auch diesmal werden. Die SPD ist nach wie vor im Stimmungstief. "Europawahlen waren immer Zwischenabstimmungen zur Innenpolitik", sagt Matthias Jung von der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen. Sie seien eine Art "kleine Bundestagswahl". "Die Frage war immer nur, wie groß der Denkzettel ausfällt, den die Regierung bekommt."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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SPD will sich als "Friedensmacht" präsentieren"

So setzt die SPD weniger auf die Innenpolitik. Sie verspricht auf den Plakaten mit Blick auf die Reformen zwar auch, sich "zukunftsgerecht" zu verhalten. Sie will sich aber in erster Linie als die Partei präsentierten, die Deutschland zu einer "Friedensmacht" gemacht hat.

Im Wahlkampf griffen SPD-Chef Franz Müntefering und Schröder das Nein von Rot-Grün zum Irak-Krieg auf, das im Bundestagswahlkampf 2002 entscheidend zum knappen Sieg beitrug. Ob dies verunsicherte SPD-Wähler ausreichend mobilisieren kann, ist nach Umfragen fraglich. Spekuliert wird, dass Schröder nach einer herben Niederlage der SPD doch noch sein Kabinett umbildet. Als wichtiger für die Zukunft von Rot-Grün gelten aber weiter die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 26. September.

Gelassene Grüne

Relativ gelassen führen die Grünen den vielleicht am stärksten auf das Internationale ausgerichteten Wahlkampf. Auch ihr Spitzenkandidat Daniel Cohn-Bendit symbolisiert dies, hat er neben der deutschen auch die französische Staatsbürgerschaft.

Die FDP rückt die Frage eines Volksentscheids zur EU-Verfassung in den Vordergrund. Ein erneuter Misserfolg nach dem Scheitern bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg würde die Position von FDP-Chef Guido Westerwelle schwächen.

Thüringens CDU bangt um absolute Mehrheit

In Thüringen ist nach neuesten Umfragen noch nicht sicher, ob die CDU ihre absolute Mehrheit im Landtag von Erfurt verteidigen kann. Gewinnt Ministerpräsident Dieter Althaus nicht die Stimmenmehrheit im Landtag, könnte es einen überraschenden Regierungswechsel in Erfurt geben. Und auch die Macht der Union im Bundesrat hätte ihre ersten Brüche.

DPA
Ulrich Scharlack/DPA