Solidarität oder Ende der Fahnenstange? Milliarden überweisen oder ein Exempel statuieren? Reformen abwarten oder Versprechen glauben? Es sind immer wieder dieselben Zwickmühlen, in denen die Euroretter seit nunmehr drei Jahren stecken. Die jüngste formuliert Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann so: Ein Hilfspaket für Zypern schon diese Woche hält er für möglich, auch wenn das Land in Sachen Steuerbetrug und -oasen "von dem, was ich rechtstaatlich in Ordnung finde, noch weit entfernt" sei. Bedeutet: Der kleine Inselstaat erhält ein paar Milliarden, obwohl es unsicher ist, in was für einen Apparat das Geld fließt. Bedeutet auch: Deutschland muss wieder ran.
Wahrscheinlich sind es drei oder vier Milliarden Euro, die die Bundesrepublik zur Rettung Zyperns vor der Pleite beitragen wird. Ganz zum Verdruss der wahlkämpfenden Angela Merkel. Die Kanzlerin, die sich von den Deutschen gerne als Frau feiern lässt, die das Steuergeld zusammenhält, wollte das Thema - typisch für sie - auf die lange Bank schieben. Ihr wäre es am liebsten gewesen, dass der EU-Gipfel in Brüssel das Thema ausklammert. Die Bundesregierung wollte - typisch für sie - erst einmal einen Bericht abwarten, nämlich den der Troika zum Zustand Zyperns. "Sicher sind zügige Beratungen wünschenswert", sagte die Kanzlerin mit Hinweis auf das anschließende Treffen der Euro-Finanzminister am Freitag. "Aber die Dinge dauern so lange, bis sie qualitativ vernünftig gelöst sind."
Die Frage ist nur noch das Wann und das Wie
Doch damit stand Deutschland allein auf weiter Flur. Die anderen Eurostaaten sind für rasche Entscheidungen mit dem Ziel, die Ruhe an den Finanzmärkten nicht zu stören. Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker erwartet eine zügige Einigung. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das Wochenende verstreichen lässt, ohne dass man das Zypern-Problem gelöst hat." Der Zentralbankchef des kleinen Eurolandes, Panikos Demetriades, nutzt die Ängste vor der Rückkehr der Panik an den Börsen geschickt aus, den Druck auf die Euroretter zu erhöhen. Er sagt: "Von der Peripherie geht das größte Risiko aus, und derzeit ist das Zypern." Also drehte Merkel - typisch für sie - dann doch bei. "Einfach Zypern sich selbst zu überlassen", sagte sie nach dem EU-Gipfel, "wäre aus meiner Sicht nicht verantwortlich." Harte Auflagen werde es geben. "Ich hoffe und gehe davon aus, dass die Troika heute Abend den Finanzministern etwas sagen kann. Ansonsten ist das eine schwierige Situation."
Längst steht fest, dass sich Deutschland an der Finanzstütze für das Land am Rande der Eurozone beteiligen wird. Unmittelbar nach der Wahl in Zypern im Februar, die die Konservativen gewannnen, erklärten Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und sein französischer Kollege Pierre Moscovici: "Die Diskussionen (über das Hilfspaket) sollten in Kürze wieder aufgenommen und eine Einigung vor Ende März angestrebt werden." Die Frage ist also nur noch das Wann und das Wie.
Der deutsche Betrag kann, gemessen an den Zahlungen für Griechenland und in den Eurorettungsfonds, eher der Kategorie "Peanuts" zugeordnet werden. Doch jede weitere Milliarde, die in den Erhalt der Gemeinschaftswährung fließt, ist dem Volk schwerer zu erklären. Der Euroverdruss unter den Deutschen ist ohnehin enorm. Ein Blick in Internetforen belegt dies. "Nur 13,5 Milliarden, für Deutschalnd nur klitzekleine VIER MILLIARDEN !!! Und in D geht die gesamte Infrastruktur zum Teufel. Danke, danke ihr lieben vaterlandsliebenden Politiker", schreibt ein Leser bei faz.net. Ein anderer: "Endlich ist es soweit! Der deutsche Steuerzahler 'darf' russisches Schwarzgeld retten. Die Mafia freut sich, die Bankster freuen sich, Merkel freut sich, die Zyprioden freuen sich, die Eurokraten freuen sich! Zypern ist ja schließlich 'systemrelevant'!"
Gefundenes Fressen für die SPD
Ein gefundenes Fressen für die Opposition. Geht etwas schief bei der Eurorettung, kann und wird sie es Merkel in die Schuhe schieben. Die SPD um Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerkandidat Peer Steinbrück stellt Bedingungen für ihre Zustimmung im Bundestag zum Zypern-Hilfspaket. Höhere Steuern für Unternehmen und Börsengeschäfte. Sowie: "Ohne Beteiligung zypriotischer Banken und ihrer Anteilseigner darf es keine europäische Unterstützung geben." Nicht allein der Steuerzahler dürfe Zypern vor der Staatspleite retten, sagt Steinmeier, sondern auch jene, "die jahrzehntelang am zypriotischen Geschäftsmodell leichtes und schnelles Geld verdient haben". Das passt zum Duktus der Soziale-Gerechtigkeit-SPD, auf die Steinbrück im Wahlkampf setzt. Merkel sagt dazu: "Ich halte nichts davon, in einzelnen Fragen unentwegt Bedingungen aufzustellen." Alle Seiten seien an einer "fairen Lösung" interessiert.
Wohlwissend, dass es beim Wähler gut ankäme, basteln Merkels Strategen in Zusammenarbeit mit anderen Eurostaaten längst an einer Lösung, die die SPD-Forderung erfüllen würde, die Banken Zyperns, aber auch Konzerne und reiche Bürger, die Geld in der Steueroase angelegt haben, einzubinden. Insbesondere Russen und Briten würde das treffen. Doch so einfach ist das auch nicht, zumal rechtlich nicht. Denn diejenigen, "die am zypriotischen Geschäftsmodell leichtes und schnelles Geld verdienten", waren es nicht, die Zypern in eine finanzielle Schieflage gebracht haben. Im Gegenteil haben sie den Banken des Inselstaates Geld zugeführt. Schwarzgeldwäsche - den Vorwurf weist Zypern ohnehin zurück - ist ein Verbrechen. Aber dem Land deshalb Unterstützung zu verwehren, fiele sozusagen in eine moralische Kategorie: Du warst böse, also helfen wir nicht. Die Insel hat ihrerseits Solidarität gezeigt, als sie den Schuldenschnitt für Griechenland ohne Wenn und Aber mitgetragen hat. Der damit verbundene Verzicht auf Milliarden verschärfte die Schieflage des aufgeblähten und teils maroden Bankensektors Zyperns.
Gefahr eines Bank runs
Notenbankchef Demetriades plädiert alternativ für einen Solidarbeitrag aller Sparer auf der Insel. Eine Zehn-Prozent-Steuer auf Zinseinkünfte würde ihm zufolge 150 Millionen Euro pro Jahr bringen. "Es könnte umgesetzt werden, ohne das Vertrauen der Sparer in das Bankensystem zu untergraben." Nicht ein konkreter Beschluss, sondern allein eine (Endlos-)Debatte um eine Anlegerbeteiligung an dem Hilfspaket birgt die Gefahr eines "Bank runs", also eines plötzlichen massenhaften Abräumens von Konten, der sich im schlimmsten Fall auf andere Länder ausdehnt. Insofern wären die zyprischen Banken tatsächlich "systemrelevant".
Schäuble hat daran Zweifel und diese mehrmals offen geäußert, was ihm einen Rüffel von Mario Draghi einbrachte. Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) bezichtigte den Deutschen der Ahnungslosigkeit. Die Frage nach der Systemrelevanz Zyperns könnten Juristen nicht beantworten, meinte der Italiener. Schäuble ist promovierter Jurist. Die zwei größten Banken Zyperns sind laut Draghi in Griechenland stark engagiert. Sollten sie als pleitegefährdet gelten, würden griechische Sparer kalte Füße bekommen, der Bank run beginnen. Dann wäre Griechenland wieder im Mittelpunkt der Eurokrise - und die Geldgeber wieder in einer Zwickmühle.