Wer schwimmt gegen den Strom? In Deutschland ist eine Mehrheit gegen den Irak-Krieg - von der Bundesregierung über Hunderttausende Demonstranten. In fast jeder Stadt prangen Friedensappelle von Fenstern und Balkonen. Auch in der oppositionellen Union rumort es weiter gegen den verhaltenen Kriegskurs von CDU-Chefin Angela Merkel. Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler solidarisieren sich mit den Kriegsgegnern. Allen voran Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass, der vehement gegen den "Ölkrieg" wettert und US-Präsident George W. Bush schon mal als "gemeingefährlich" bezeichnet.
Einsame Stimme in der Wüste
Da wirkt das Wort eines Hellmuth Karasek wie eine einsame Stimme in der Wüste: "In einem Krieg zwischen Saddam Hussein und den Amerikanern kann ich nur auf der Seite der Demokratie sein", sagte der prominente Literaturkritiker kürzlich in einem Zeitungsinterview.
Nur wenige wagen sich so weit heraus wie Karasek. Viele Intellektuelle, die sich vor Kriegsbeginn für einen Militärschlag ausgesprochen haben, sind abgetaucht. Der einstige DDR-Dissident und Liedermacher Wolf Biermann, der Ende Februar in einem Essay im "Spiegel" die "brachiale Friedensliebe" der Deutschen kritisiert und den US-geführten Truppenaufmarsch im Golf gelobt hatte, lässt Anfragen unbeantwortet. Auch der Präsident der Akademie der Künste zu Berlin, der ungarische Schriftsteller György Konrad, winkt ab. Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der 1991 Saddam mit Hitler verglichen hatte, erklärte öffentlich, dass er nicht an der Kriegsdebatte teilnehmen wolle.
Schauerlicher und barbarischer
Entschieden und vernehmlich ist dagegen der holländische Romancier Leon de Winter. Angesichts der schrecklichen Bilder aus Bagdad findet er es "widerwärtig", wie Irak die Menschen bewusst der Macht der US-Armee ausliefere. "Ich frage mich noch mehr als vorher, was dieses Regime dazu antreibt", sagte er. Langfristig müsse das Opfer des Krieges aber zu einem besseren Ergebnis führen, als wenn Saddam weiter an der Macht bleibe.
Immerhin ein klares "sowohl als auch" kommt von der in Frankfurt am Main lebende Schriftstellerin Eva Demski. Nach wie vor sehe sie sich außer Stande, ein "pazifistisches Pathos" nach Art der Friedensdemonstranten von sich zu geben, sagt sie und betont, dass die USA vor Jahren Deutschland von einem anderen Diktator befreit hätten. Aber der Krieg werde ja mit jedem Tag "schauerlicher und barbarischer". Bei ihr verstärke sich daher der Eindruck, dass sich die Amerikaner nicht so sehr für die Iraker interessierten. Dies mache ihre Haltung "sehr gespalten".

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Mommsen hält Krieg für großen Fehler
Zumindest als ambivalent bezeichnet Ursula Lehmkuhl, Geschichts-Professorin am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin, ihre Haltung. Niemand wisse, ob Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfüge, betont sie. Im Vorgehen der USA sieht sie vor allem diplomatische Fehler: Zu lange hätte Washington zwischen dem Schmieden einer Kriegskoalition und einer Lösung mit den UN laviert. Gleich nach dem 11. September hätte die Bush-Regierung massiv für eine internationale Interventionspolitik und ein besseres Funktionieren der internationalen Organisationen werben sollen. Dann hätte schon der Afghanistan-Krieg als UN-Krieg und nicht als Krieg der USA geführt werden können, sagt sie.
Eindeutig ist dagegen die Meinung des Historikers Hans Mommsen. Für ihn ist der Irak-Krieg eine völlig fehlerhafte Politik der Bush-Regierung, die unabsehbare Konsequenzen haben werde. Denn anders als 1991 habe Saddam Hussein diesmal keinen Angriff provoziert. "Die These, dass Irak Massenvernichtungswaffen hat, stellt sich immer mehr als Vorwand heraus", sagt Mommsen, der als Experte für das "Dritte Reich" international renommiert ist. Nun warnt er vor den Folgen für die Weltpolitik, wenn auf einmal alle Diktatoren vogelfrei seien.
Große Fragezeichen sieht Mommsen vor allem vor einer Nachkriegslösung, die "auf den Bajonetten der Militärs" stehen müsste: Schon in Deutschland nach dem Zweiten Weltkriegs habe sich gezeigt, dass nach einer bedingungslose Kapitulation einheimisches Personal für eine Nachkriegsregierung kaum vorhanden ist. Dann stelle sich die Frage nach dem Schicksal Saddams - "ich will den Prozess gegen ihn nicht sehen!" ruft Mommsen. Von einer deutschen Beteiligung, etwa mit Friedenstruppen, an einer Nachkriegsordnung hält Mommsen denn auch nichts: "Wir haben mit Afghanistan schon genug am Hals", findet er.