In einer "halb anarchischen Situation" sei die FDP derzeit, analysiert der Politikwissenschaftler Gerd Langguth. Recht hat er. Seit Wochen jagt eine Krisensitzung die nächste, ein Szenario das andere. Es gibt praktisch keinen bekannten Liberalen, der nicht für ein neues Amt in der Partei, der Fraktion oder der Regierung gehandelt worden wäre. Doch nun scheinen die Würfel gefallen zu sein: Philipp Rösler, der designierte Parteichef wechselt ins Amt des Wirtschaftsministers. Daniel Bahr, Chef des nordrhein-westfälischen Landesverbandes, steigt vom Staatssekretär zum Gesundheitsminister auf. Rainer Brüderle wird Fraktionschef.
Und Birgit Homburger, die dieses Amt bisher bekleidet hat? Nach stern.de-Informationen haben die Spitzen der FDP in der Nacht zu Dienstag über eine politische "Entschädigung" für Homburger verhandelt, über eine einvernehmliche Lösung, die auch dem Gewicht ihres baden-württembergischen Landesverbandes Rechnung trägt, immerhin der zweitgrößte der Republik. Im Gespräch ist, Homburger mit einem Staatssekretärsposten im Außenministerium zu versorgen und Bundestagsabgeordneten aus dem Ländle einflussreichere Posten in der Fraktion zu zuschanzen.
Mehrheit für Brüderle
Der entscheidende Moment, der das Fenster für diese Neuordnung aufgestoßen hat, trug sich nach stern.de-Informationen bereits am Sonntag zu, bei der Klausur der Bundestagsfraktion. Homburger, die am Tag zuvor nur äußerst knapp ihren Posten als Chefin des baden-württembergischen Landesverbandes verteidigen konnte, glaubte, mit diesem Ergebnis im Rücken auch den Fraktionsvorsitz verteidigen zu können. Doch dann habe sich die "Diskussionstendenz" unter den Abgeordneten abgezeichnet, Homburger abzulösen, so ein Teilnehmer. Auch Rösler selbst mischte sich ein, wies mehrfach darauf hin, dass die Personaldebatten beendet werden müssten und nach dem Parteitag Ruhe sein solle - und erhöhte damit den Druck auf Homburger. Die Schwäbin zeigte Zähne, berief sich darauf, dass es bei einem Personalwechsel keinen "Automatismus" geben könne. Ein Vertrauter aus ihrem Umfeld sagte stern.de noch am späten Montagabend, Homburger habe sich nicht entschieden, den Fraktionsvorsitz aufzugeben. Aber diese Aussage dient offenbar nur dazu, den Preis für ihren Exit in die Höhe zu treiben. Fakt ist: Die Mehrheit der Fraktion steht nicht mehr hinter ihr - und plädiert für Brüderle. Auch Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel hat Homburger mittlerweile nahegelegt, den Vorsitz abzugeben: "Sollte Frau Homburger freiwillig auf den Fraktionsvorsitz verzichten, würde die Partei ihr das hoch anrechnen. Sie würde dem neuen Parteivorsitzenden einen starken Start ermöglichen - und sicherlich die Möglichkeit bekommen, für die FDP an führender Stelle zu wirken", sagte Niebel.
Aus Röslers Umfeld ist zu hören, er habe massiven Druck ausgeübt, um diese Lösung herbeizuführen. Ein Fraktionsabgeordneter sagte stern.de, Rösler habe "die Regie übernommen". Diese Äußerungen sollen offenkundig auch das Image korrigieren, das Rösler in den vergangenen Wochen wie ein Mühlstein um den Hals hing: Das Image des ewig freundlichen, ewig lächelnden Gutmenschen, dem es an der notwendigen Härte fehlt, um die FDP neu aufzustellen und Personalkonflikte durchzufechten. Diese Kommentarlage in den Medien drohte den designierten Parteichef massiv zu beschädigen, noch bevor er sein Amt überhaupt angetreten hat. Zuletzt hatte auch der scheidende FDP-Schatzmeister Hermann Otto Solms Rösler kritisiert. Er forderte vom Parteiboss eine klare inhaltliche Führung und ein klares Personalkonzept. Solms sagte der "Leipziger Volkszeitung" (Dienstag): "Führung heißt auch unangenehme Probleme sachlicher wie personeller Art zu lösen und die FDP klar auszurichten."
Mit den Personalwechseln in den Ministerien und in der Fraktion hätte sich Rösler, der Aufsteiger, dem die Posten bislang eher in den Schoß gefallen sind, erstmals die Hände schmutzig gemacht. Schließlich ist Homburger im Prinzip kein Fehlverhalten vorzuwerfen. Die Schwäbin gilt als bienenfleißig und extrem loyal, allein ihre Außendarstellung ist miserabel. Bei ihren Reden im Bundestag stöhnte oft nicht nur die Opposition.
Gegen den "Säuselliberalismus"
Die neue Personalaufstellung wäre ein Erfolg für die Boygroup der Liberalen: Rösler, der schon Wirtschaftsminister in Niedersachsen war, könnte in seinem neuen Job mit guten Wirtschaftsdaten und liberalen Grundsatzreden glänzen. Daniel Bahr, der ohnehin der fachpolitische Kopf des Gesundheitsministeriums ist, hätte eine große Bühne für seinen Ehrgeiz. Und wenn Rösler tatsächlich, wie er an in einem aktuellen Interview mit dem Focus bekräftigte, mit 45 Jahren aus der Politik aussteigt, stünde mit Generalsekretär Christian Lindner ein probater Nachfolger zur Stelle. Allein die Berufung Brüderles auf den Fraktionsvorsitz könnte der Boygroup noch Kopfzerbrechen bereiten. Brüderle säße damit an einer Schaltstelle der schwarz-gelben Koalition, er hätte mehr Macht als jeder liberale Minister. Der Rheinland-Pfälzer ist jedoch programmatisch ganz anders eingenordet als Rösler: Im vergangenen Jahr geißelte er in aller Öffentlichkeit den "Säuselliberalismus" - ein Kampfbegriff, der auf den etwas sozialeren Zuschnitt der liberalen Vorstellungen von Lindner, Bahr und Rösler zielt. Andererseits bindet Brüderle mit dieser Haltung Teile des Mittelstands an die FDP - und gilt deshalb als unverzichtbar.
Eine offizielle Bestätigung für das Personalrevirement ist derzeit nicht zu bekommen. Dem Vernehmen wird dies erst am Dienstagnachmittag der Fall sein.