Am 19. Juni 2020 war der heute von Interpol gesuchte Wirecard-Manager Jan Marsalek nach Minsk geflohen, in die Hauptstadt der mit Russland verbundenen Republik Belarus. Geheime Unterlagen des Bundesnachrichtendiensts (BND), die der stern einsehen konnte, zeigen jetzt: In dem deutschen Auslandsnachrichtendienst vermutete man bereits im Juli 2020, dass sich Marsalek im von Präsident Wladimir Putin regierten Russland aufhalte. Damit verdichtet sich der Verdacht, dass sich Marsalek unter dem Schutz russischer Sicherheitsbehörden befindet.
In einer Mail, die ein zuständiger BND-Referatsleiter am 5. August an seinen Abteilungsleiter schrieb, klang es so, als sei die Sache bereits sicher. Er habe, so der Bedienstete, "mit dem Team schon besprochen", dass man "alle TKM des Marsalek steuern" werde – TKM steht für Telekommunikationsmerkmale wie Rufnummern oder Mailadressen. Er rechne aber, so der BND-Mann, "mit 0 Ergebnissen", da die beteiligten russischen Geheimdienstler schon "dafür sorgen werden, dass er die alten TKM Geräte nicht mehr nutzt".
Gerücht: Marsalek in Obhut von Militäreinheit 35690
Im August vermeldete dann die Moskauer BND-Residentur das "Gerücht", dass "sich der Gesuchte in Obhut der russischen Dienste befindet und in das Ausbildungszentrum Balashika gebracht wurde". In der Tat residiert in der Stadt Balashikha am östlichen Stadtrand von Moskau die schwer bewachte Militäreinheit 35690 des russischen Inlandsdienstes FSB, auf einem 50 Hektar großen Areal. "In diesem weiträumigen Übungsgelände gibt es genügend angemessene Unterkünfte, die Einsicht von Außen unmöglich machen und perfekten Schutz bieten", erläuterte die BND-Residentur.
Neben möglichen oder bestätigten Kontakten mit Geheimdienstbezug in Russland, Österreich und den USA gibt es nach Recherchen des stern jetzt aber auch neue Belege für eine mögliche Beziehung von Marsalek zu Söldneraktivitäten in Libyen.
Eine Militärfirma aus Moskau
Eine möglicherweise mit Marsalek verbundene Firma namens Libyan Cement Company in Benghasi hatte 2016 und 2017 Kämpfer der russischen Firma RSB Group beschäftigt, laut eigenen Angaben nur zur Minenräumung. Bei Wirecard kam dann eine Firma namens RSB Holdings Limited in Dubai ins Spiel. Deren Mutter RSB Global sitzt ebenfalls in Moskau und bietet ein ganz ähnliches Leistungsprofil wie die RSB Group.
Die RSB in Dubai bestellte im Dezember 2017 für 1,6 Millionen Euro eine Software-Lizenz bei Wirecard, offenbar für eine Plattform für Prepaid-Karten. Die Prüffirma Ernst & Young (EY) erbat darum im März 2019 auch Jahresabschlüsse von RSB. Marsalek tauschte sich darüber in einem Telegram-Chat mit einer Mitarbeiterin aus. "RSB ist eine russische Sicherheitsfirma", schrieb er: "Da gibt es keine Abschlüsse." Später verwies er auf Medienberichte über die Aktivitäten der Firma RSB bei der Zementfirma in Libyen – offenbar war es aus seiner Sicht die selbe Gruppe. Wie solle man die Existenz der Firma beweisen, fragte er: "Telefonat mit Putin vielleicht?"
Marsaleks Berliner Anwalt teilte auf Fragen mit, man wolle derzeit "keine Erklärungen abgeben".