Wall Street Journal (New York): Der Stillstand
"Es war ein schlechtes Omen, als Angela Merkel, die Kandidatin der konservativen CDU, den Rolling-Stones-Song „Angie" zu ihrem Wahlkampflied wählte. In Wirklichkeit ist es ein Lied über ein Scheitern. "Alle Träume, die uns so viel bedeuteten, scheinen sich in Rauch aufzulösen", heißt es in dem Lied - und das ist ziemlich genau das, was der CDU bei der Wahl gestern widerfuhr, als der Sozialdemokrat Gerhard Schröder, der in den vergangenen sieben Jahren nach Art eines deutschen Bill Clinton Kanzler war, ein bemerkenswertes Comeback schaffte.
Das verworrene Ergebnis, bei dem keine der größeren Parteien eine stabile Mehrheit zustande bringen kann, bedeutet, dass Deutschland in der nächsten Zeit seinen schwerfälligen Sozialstaat nicht entschlossen reformieren wird, der zu einer Arbeitslosenrate von elf Prozent und einem Null-Wachstum beigetragen hat. Das wird nicht gut für die Welt sein. Deutschland, die drittgrößte Wirtschaft der Welt, macht 30 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU aus. Der "kranke Mann Europas" wird wahrscheinlich noch einige Zeit bettlägerig bleiben."
Neue Zürcher Zeitung (Zürich): Kirchhof war das Wahlkampfgeschenk
"Als großes Wahlkampfgeschenk Merkels an Schröder stellte sich die Nominierung Paul Kirchhofs als Finanzexperte der neuen Regierung heraus. Mit seinem untrüglichen Instinkt für die Stimmungen im Land nahm der angeschlagene Kanzler die unbekümmerten Gedankenspiele des "Professors aus Heidelberg" zur Steuerpolitik auf und konstruierte daraus das Schreckensszenario eines menschenverachtenden Sozialabbaus. Darauf reagierte die Union offensichtlich zu spät mit einer Gegenkampagne."
The Times (London): Das denkbar schlechteste Ergebnis
"Die hart umkämpfte Bundestagswahl scheint praktisch in einem Unentschieden zu enden - für Reformen wohl das denkbar schlechteste Ergebnis. Angela Merkel hat nach ihrem von Fehlern und hölzerner Ängstlichkeit geprägten Wahlkampf den anfänglich großen Vorsprung ihrer oppositionellen Christdemokraten verschenkt und endete fast gleichauf mit Gerhard Schröder. (...) Nach drei Jahren ökonomischer Stagnation und einer wilden Außenpolitik ist er unverdientermaßen noch einmal davon gekommen. (...)
Es ist fraglich, ob eine von Frau Merkel geführte Regierung nach ihrer Wahlkampfleistung die nötige Autorität oder Glaubwürdigkeit aufbringen würde. Wenn Schröder ein wenig für Prinzipien übrig hat, wird er seine Partei in eine Partnerschaft mit ihr führen. Vom linken Flügel wird er einen anderen Ratschlag hören. Ein uneiniges Deutschland begibt sich auf gefährliches Terrain."
The Daily Telegraph (London): Europa ist der Verlierer
"Die deutschen Wähler haben die Chance für Reformen verpasst, die ihnen die Christdemokraten unter Angela Merkel geboten haben. Nachdem sie Gerhard Schröders Sozialdemokraten in einer Reihe von Landtagswahlen und der Europawahl gnadenlos abgestraft hatten, schreckten sie davor zurück, den Konservativen den Hauptpreis zuzuerkennen, die Gelegenheit zu einer Regierung zusammen mit den liberalen Freien Demokraten. (...) Weil die schwarz-gelbe Partnerschaft nicht zustande kommt, wird es bestenfalls wenige Fortschritte bei den bescheidenen Reformen aus Schröders zweiter Amtszeit geben. Das wiederum wird Reformen in Ländern wie Frankreich und Italien verlangsamen. Ganz Europa ist der Verlierer dieses absolut unbefriedigenden Wahlausgangs."
Corriere della Sera (Rom): Die Ängste haben gewonnen
"Es ist das passiert, was sich keine der deutschen Parteien gewünscht und was alle Regierungen in Europa befürchtet haben: In Deutschland haben die sich kreuzenden Ängste vor dem wirtschaftlichen Verfall und dem Verlust des Sozialstaates gewonnen, mit dem Resultat, dass keine der beiden den Wählern vorgeschlagenen Koalitionen über die nötigen Zahlen verfügt, um eine Regierung zu bilden. (...) Zwischen denen, die nicht wirklich gewonnen haben, und denen, die nicht wirklich verloren haben, werden es am Ende Deutschland und ganz Europa sein, die dafür bezahlen müssen"
Le Figaro (Paris): Deutschland scheint unregierbar zu sein
"Alles zeigt, dass man sich in Richtung auf eine große Koalition hinbewegt, eine Art Kohabitation auf Deutsch, eine Verbindung der CDU von Angela Merkel und der SPD von Gerhard Schröder. Eine solche Lösung lässt eine handlungsunfähige Regierung befürchten. Von dem Wahlergebnis hat man eine Beschleunigung der Reformen in Europa erwartet, mit Ansteckungseffekt auf die Nachbarländer und besonders auf Frankreich.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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Die Europapolitik, die seit dem Nein beim EU-Verfassungsreferendum (in Frankreich) gelähmt war, wird es weiter bleiben. Wie soll die deutsche Außenpolitik entscheiden zwischen der CDU, die gegen den EU- Beitritt der Türkei ist, und der SPD, die dafür ist? Gerhard Schröder hat im Mai diese vorgezogenen Wahlen durchgesetzt, um einen Stillstand aufzuheben, der sein Reformprogramm blockierte. Jetzt ist zu befürchten, dass Deutschland unregierbar geworden ist. Das ist bedauerlich für ganz Europa."
Eleftherotypia (Athen): Angela "Thatcher" erschreckt die Deutschen
"Gerhard Schröder gelang es zum zweiten Mal - entgegen allen Umfragen und Analysen -, fast zeitgleich mit der CDU ins Ziel zu kommen. Doch niemand hat die (parlamentarische) Kraft, allein zu handeln. Deutschland und damit auch Europa kommt in eine unsicheren Phase, die lange andauern wird."
El Mundo (Madrid): Christdemokraten setzten auf die falsche Kandidatin
"Nach dem überraschenden Wahlausgang in Deutschland bleiben eigentlich nur zwei Alternativen: eine große Koalition oder ein Ampelbündnis. Angesichts der Ergebnisse scheint es klar zu sein, dass die Christdemokraten sich irrten, als sie Angela Merkel zu ihrer Führerin wählten. Die Kandidatin erwies sich im Wahlkampf als wankelmütig. Ihr unterliefen infantile Fehler. Nun ist Gerhard Schröder der Schiedsrichter, der über die künftige Regierung entscheidet. Und das ist ein großer Triumph für ihn."