"The Guardian" (London)
"Eine gespaltene deutsche Wählerschaft hat eine in sich gespaltene Regierung hervorgebracht, die es sehr schwer haben wird, viel Wandel zu bewirken. Europa dürfte keine großen Hoffnungen haben. Das Beste, was sich sagen lässt, ist, dass es eine angenehme Überraschung wäre, wenn die Pessimisten sich (mit negativen Prognosen) irren würden."
"The Times" (London)
"Es stellen sich sofort zwei Fragen: Wird diese Koalition stabil und in sich stimmig sein? Und ist Frau Merkel in der Lage, die Veränderungen durchzusetzen, die für eine Reform der deutschen Wirtschaft dringend erforderlich sind? (...)
Mit den Ministerien für Arbeit und Finanzen im Rücken könnte die SPD alle vom bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der das Ressort Wirtschaft führen wird, vorgeschlagenen Reformen erfolgreich sabotieren. Und Frau Merkel wird nur wenig Raum für Manöver und Innovationen andernorts haben. Auch das Abschwächen der schärfsten, durch die bisher mitregierenden Grünen erreichten Restriktionen, etwa bei der Atomenergie, wird kaum möglich sein, solange die SPD das Umweltministerium kontrolliert. (...) Angesichts dieser Widersprüche sind die Aussichten auf eine stabile Koalition dünn."
"Le Figaro" (Paris)
"Wird die erste Bundeskanzlerin die Geisel ihrer früheren Gegner sein, die jetzt gezwungenermaßen ihre Verbündeten geworden sind? Die Zusammensetzung der neuen Regierung gibt darauf noch keine schlüssige Antwort, auch wenn ein Signal beunruhigt: Die von Gerhard Schröder, dem schlechten Verlierer, ins Spiel gebrachte Erpressung hat den Sozialdemokraten eine Menge Schlüsselpositionen eingebracht.
Selbst wenn die Programme der Rechten und der Linken in der Gesundheitspolitik oder der Liberalisierung des Arbeitsmarktes nur schwer auf einen Nenner zu bringen sein dürften, so gibt es doch ein gemeinsames Feld für eine Basis der Verständigung bei Reformen. Eine sehr rasche positive Dynamik wird zwingend sein, damit das gemeinsame Handeln über die internen Rivalitäten in dieser Regierung siegt und Deutschland seine Rolle im Herzen unseres Kontinents wiederfindet."
"La Tribune" (Paris)
"Angela Merkel ist der doppelte Coup gelungen. Sie zieht ins Bundeskanzleramt ein und schafft sich ihren alten Gegner Gerhard Schröder vom Hals. Auch wenn es drei Wochen gedauert hat, um in harten Verhandlungen dieses Ziel zu erreichen, so ist die erste Bundeskanzlerin in der deutschen Regierung ihre Sorgen damit aber längst nicht los. Denn was ihr jetzt gelungen ist, das war erst der einfachste Teil. Ihre Parteifreunde und deren Partner können sich keinen Schnitzer und keine Flickarbeit erlauben, denn das brächte sie unweigerlich in sechs Monaten oder einem Jahr wieder vor die Wähler."
"Libération" (Paris)
"Vor 'Angie' gab es nur eine wie sie, und das war Maggie Thatcher. Denn auch wenn das 20. Jahrhundert der Sache der Frauen bis dahin fast unvorstellbare Fortschritte gebracht hat, sie bleiben die Frauen selbst in den Ländern, wo sie am meisten vorangekommen waren, abseits der politischen Schlüsselpositionen. Ist es ein Zufall und steckt ein Sinn hinter der Tatsache, dass Merkel wie Thatcher rechts im Spektrum ihres Landes angesiedelt sind? Und dennoch ist Deutschland nun nicht davon bedroht, einer ultraliberalen Kur unterzogen zu werden. Das hat der Wähler verhindert. Auch wenn jetzt der Wunsch sehr stark ist, die Gegensätze zu versöhnen, gibt es doch keinen Zauberstab zur Auflösung der aufgeworfenen Widersprüche. Die große Koalition wird ein Kampf."
"La Repubblica" (Rom)
"Angela Merkel hat nicht alles wieder aufgeholt, was sie an diesem schrecklichen Wahlabend am 18. September verloren hatte. Was sie nun erreicht hat erscheint eher wie ein Pyrrhussieg. Sie wird Kanzlerin, sicherlich, aber ihre Regierung ist mit sozialdemokratischen Ministern besetzt, die von Gerhard Schröder in Stellung gebracht wurden, ihrem Gegner, der zwar formell besiegt wurde, der ihr aber den Triumph gestohlen hat. (...) Acht sozialdemokratische Minister im 16-köpfigen Kabinett. Da wird es schwierig werden für Angela Merkel, das Wahlprogramm ihrer Partei durchzusetzen."

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
"Corriere della Sera" (Rom)
"Das ist eine historische Entscheidung für Deutschland, das es nun 15 Jahre nach der Wiedervereinigung erlebt, dass eine Frau aus dem Osten die Führung übernimmt, und dies in einer der schwierigsten und kompliziertesten Augenblicke der jüngsten Geschichte. Es bedarf einer Lobeshymne auf die politische Klasse des Landes, die nach einem der härtesten Wahlkämpfe der Nachkriegszeit dennoch einem Ergebnis gerecht geworden ist, das weder Sieger noch Besiegte kennt, und die Streit und persönliche Rachegefühle an die Seite gestellt hat und stattdessen die Strategie der Zusammenarbeit zwischen den großen Parteiblöcken gewählt hat, wie es bereits vor 40 Jahren schon einmal geschehen ist, als sich das Land ebenfalls an einer schwierigen Kreuzung befand."
"El País" (Madrid)
"Nach dem Ausgang der Bundestagswahl war die Bildung einer großen Koalition das Vernünftigste. Das Ergebnis hat gezeigt, dass die Deutschen wirtschaftliche und soziale Reformen akzeptieren, diese aber nicht allzu drastisch ausfallen sollten. Dies sollte Angela Merkel berücksichtigen. Die übrigen Europäer hoffen vor allem, dass die große deutsche Lokomotive wieder in Gang kommt.
Eine große Koalition über vier Jahre zusammenzuhalten, ist eine große Herausforderung. Dazu wird Merkel Fähigkeiten zeigen müssen, die man bei ihr bislang nicht kennt und allenfalls vermuten kann."
"Kommersant" (Moskau)
"Merkel konnte die Gefahr abwehren, die ihr aus der eigenen Partei drohte. Dabei half ihr paradoxerweise Gerhard Schröder, das Feuer der Kritik zu löschen. Bis zum letzten hatte er rigoros ausgeschlossen, dass Merkel zur Kanzlerin gewählt wird, und sich als den einzigen dargestellt, der auf dieses Amt Anspruch hat. Mit seinen Angriffen auf die CDU-Vorsitzende trug Schröder zu der bemerkenswerten Geschlossenheit der CDU/CSU bei. Er gab den Konservativen zu verstehen, dass sie mehr an die Führung im Land als an innerparteilichen Streit denken sollten."
"Iswestija" (Moskau)
"Für Russland ist der Abgang Gerhard Schröders ein Verlust. Er war ein echter Russophiler. Und dabei geht es nicht nur um seine private Freundschaft zu Präsident Putin (acht Treffen allein in diesem Jahr!). Mehr noch als die Gipfel mit seinem 'Freund Wladimir' zeugt es von Schröders besonderer Beziehung zu Russland, dass er ein russisches Mädchen adoptiert hat - die dreijährige Viktoria aus St. Petersburg."
"De Morgen" (Brüssel)
"Merkel muss im Parlament mit einer Mehrheit - notfalls mit einer Stimme - gewählt werden, und das kann theoretisch noch schief gehen. Die liberale FDP, bis vor kurzem noch Merkels Traumpartner, hat schon wissen lassen, dass sie gegen sie stimmen wird. Die Grünen und die Linkspartei werden das auch tun, und nun muss man schauen, wie viele SPD-ler Merkel als Kanzler nicht wollen. Die SPD-Führung hat gestern mit dem „Bearbeiten“ ihrer Abgeordneten begonnen, damit sie die Richtung der Parteispitze einschlagen und Merkel als Kanzler akzeptieren. Viele SPD-Parlamentarier - und keineswegs nur vom linken Flügel - halten Merkel aber als Kanzler überhaupt nicht für geeignet und können noch für eine Überraschung sorgen."
"Het Laatste Nieuws" (Brüssel)
"Deutschland zählt fünf Millionen Arbeitslose, und Merkel hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie - wie Thatcher, ihre berühmte britische Vorgängerin, mit der sie ab und zu verglichen wird - eine Anhängerin ist von Mäßigung bei den Lohnabschlüssen, einer Senkung der Lohnnebenkosten sowie schnelleren und einfacheren Verfahren zur Entlassung von Arbeitnehmern. Aber es gibt einen großen Unterschied. Wo Thatcher über eine große Mehrheit und die Unterstützung ihrer Partei verfügte, wird Merkel es ein Stück schwerer haben. Hier und da kommen schon kritische Stimmen auf, dass sie im Tausch für ihren Job als Bundeskanzler zu viel von ihrer Agenda abgeben musste."
"De Telegraaf" (Den Haag)
"Mit Merkels Antreten verschwindet Bundeskanzler Schröder. Das ist für Deutschland und die Welt ein großer Verlust, erwies er sich doch als berechnender Wahlkämpfer, der behende auf die Ängste der Wähler vor - übrigens notwendigen - Veränderungen in der Wirtschaft einging. Aber in seiner Regierungszeit hat er mit Reformen nachgelassen. Dadurch blieb das Wachstum zurück, und es entstand große Arbeitslosigkeit. Auch ließ er die Beziehungen zu kleineren Ländern verwahrlosen und war zu wenig Motor der Europäischen Union. Hoffentlich setzt die große Koalition seine Halbherzigkeit nicht fort."
"Der Bund" (Genf)
"Die erste Regierungschefin in der deutschen Geschichte tritt ein schwieriges Amt in schwieriger Zeit und an der Spitze der schwierigsten Koalition seit Bestehen der Bundesrepublik an. Angela Merkel steht unter einem schier unmenschlichen Druck (...). Es wäre aber nicht das erste Mal, dass Persönlichkeiten, denen wenig Kredit gegeben worden war - speziell Frauen - , Kräfte mobilisierten, die ihnen anfänglich keiner zugetraut hätte."
"Neue Zürcher Zeitung" (Genf)
"Dass die Führungen von CDU/CSU und SPD nun trotz ihrer noch vor kurzem kultivierten Feindbild-Rhetorik und den zur Schau gestellten Animositäten die Weichen für eine große Koalition gestellt haben, darf man als ermutigendes Zeugnis politischer Reife werten. Dem bisherigen Bundeskanzler dürfte es besonders schwer gefallen sein, über seinen Schatten zu springen. Dass Schröder kaum daran denkt, der neuen Regierung anzugehören und damit die zweite Geige zu spielen, liegt auf der Hand."
"Der Standard" (Wien)
"Dass es spätestens nach zwei Jahren ohnehin zu Ende ist mit dieser Zusammenarbeit, das sind Spekulationen. Ernster ist die Frage nach der Geduld der Menschen. Denn es gehört zu den Erfahrungen der westeuropäischen Demokratien, dass große Koalitionen mit starken parlamentarischen Mehrheiten die Ränder stärken. Im Falle eines Scheiterns dieser 'Koalition der neuen Möglichkeiten' ist eine Parallele zu den Sechzigerjahren nicht auszuschließen: Massendemonstrationen gegen eine 'Regierung der versäumten Chancen' und politische Instabilität im Zentrum Europas."
"Berlingske Tidende" (Kopenhagen)
"Sie wird weitgehende Rücksicht auf die Sozialdemokraten nehmen müssen. Andererseits verfügen die bürgerlichen Parteien über eine massive Mehrheit im Bundesrat, weil weit die meisten Bundesländer bürgerlich regiert werden. Alles in allem nimmt Deutschland mit der neuen Regierung einen Schritt in die bürgerliche Richtung, den man nicht unterschätzen sollte. Angesichts des Umfangs der Probleme des Landes ist das wahrlich auch nötig. (...) Jetzt oder nie heißt es für ein Deutschland, dessen Lage nicht nur mit Blick auf die enormen Vereinigungskosten, sondern auch historisch bedingte politische Rücksichtnahmen bewertet werden muss. Es kann nur besser werden."
"Dagens Nyheter" (Stockholm)
"Die kommende Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Karriere als Überlebenskünstlerin mit Glück und Dickhäutigkeit, nicht als politische Reformatorin gemacht. Das deutet darauf hin, dass sie die große Koalition aus CDU und SPD zusammenhalten kann. Eine andere Frage ist, welche Politik diese Regierung führen wird. (...) Derzeit gibt es mehr Pessimisten als Optimisten. (...) Andererseits wurde gerade Angela Merkel schon so oft abgeschrieben und ist doch angekommen. Ihr Mangel an Brillanz wird von Stehvermögen ausgeglichen. Sie kann Niederlagen und Druck aushalten. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass die Reformarbeit unter ihrer Kanzlerschaft weitergeht, damit Investitionen und Arbeitsplätze zu Europas größter Wirtschaft zurückkehren. (...) Man sollte Angela Merkel nicht abschreiben."
"Svenska Dagbladet" (Stockholm)
"Mit Gerhard Schröder verschwindet ein politisches Erbe aus Aggressivität gegenüber Washington, Konzilianz gegenüber Moskau und der generellen Bevorzugung von Schein und Äußerem gegenüber Substanz. Als Kampagnepolitiker kann ihm kaum jemand das Wasser reichen. Aber nicht immer ist eine geschliffene Kampagne das, was die Politik am dringendsten braucht. Dass Angela Merkel Kanzlerin wird, ist auch erfreulich, weil sie deutlicher Veränderung und Umdenken verordnen wird. (...) Die SPD an Bord und viele doch recht abwartende Parteikameraden zwingen sie zu einer vorsichtigeren Politik, als sie eigentlich wünscht. (...) Nun wird die Reformarbeit im wichtigsten EU-Land von einer Frau gelenkt, die deutlich marktwirtschaftlich orientiert ist und persönlich erfahren hat, was Kommunismus bedeutet. Berlin sendet jetzt andere Signale. Schon das zählt."