Erinnern Sie sich an die 80er? Langhaarig waren sie, und rebellisch. Und ihr Motto lautete: "Atomkraft? Nein, danke!" Etwas mehr als ein Jahrzehnt später gelang es den Grünen, ihr Motto mit dem Atomausstieg in konkrete Politik umzusetzen: 2020 soll der letzte deutsche Meiler vom Netz gehen. Die SPD meißelte den Plan auch in ihren Koalitionsvertrag mit der Union. Die Deutschen stehen dahinter. Nur, ist das noch die richtige Energiepolitik? Mittlerweile gibt es gute Gründe, genau das zu bezweifeln und den Ausstieg zu verschieben. Die Gründe werden dieser Tage illustriert durch die "Freundschafts-Krise" zwischen Russland und Weißrussland, durch unseren Sommer-Winter und durch die Daten jenes Energieberichtes, den die EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel vorstellte. Die Lehre aus all dem kann nur lauten: "Atomkraft? Ja, bitte. Einen Nachschlag nehmen wir noch."
Ziele und Risiken
Grundsätzlich verfolgt die Energiepolitik mehrere Ziele. Erstens geht's um Versorgungssicherheit. Wir brauchen schlicht genug Strom und Treibstoffe. Damit unsere Lampen leuchten, damit unsere Staubsauger saugen, damit unsere Autos fahren. Darauf wollen wir uns verlassen können. Zweitens geht's um den Umweltschutz. Wir wollen weder, memento Tschernbobyl, einen atomaren GAU erleben, noch wollen wir, dass unsere Kohlekraftwerke zu viel Kohlenstoffdioxid (CO2) in die Atmosphäre blasen. Auf einen Palmenstrand an der Nordsee haben wir nämlich auch keine Lust. Und kosten, das ist der dritte Punkt, soll der ganze Spaß natürlich auch nicht zu viel. Diese Ziele müssen nun mittels einer Strategie angestrebt werden, die einen verantwortungsvollen Mix aus dreierlei Energiequellen vorsieht, aus der nuklearen Energie, der fossilen Energie (Öl, Kohle, Gas) und den erneuerbaren Energien (Wind, Wasser, Sonne, Biomasse). Jede hat ihre Vorzüge und Nachteile. Die Atomkiste ist recht gefährlich, aber auch billig. Die fossile Energie macht uns von anderen abhängig, etwa von den Herren Wladimir Putin aus Russland, Hugo Chavez aus Venezuela und Mahmud Ahmadinedschad aus dem Iran. Das CO2 aus der Verbrennung von Kohle befördert den Treibhauseffekt. Die Ausbeutung erneuerbarer Energien erscheint dabei wie ein Heilsweg. Allerdings kann sie alleine noch keine Versorgungssicherheit garantieren. Zudem ist sie noch vergleichsweise teuer.
Die Deutschen setzen alles auf eine Karte
In dieser Gemengelage haben Regierungen verschiedene Strategien zur Auswahl: Die Atomkraft-nein-danke-Strategie, die Weg-vom-Öl-Strategie und die Wir-brauchen-die-erneuerbaren-Energien-Strategie. Und dann kann man die Strategien auch variieren. Der etwas geläuterte George W. zum Beispiel will weg vom Öl, gleichzeitig aber bekennt er sich zur Atomkraft und zu den erneuerbaren Energien. Auch die Briten machen das ähnlich. Beide versuchen, Risiken zu verteilen, indem sie zumindest zwei Quellen fördern. Bei den Deutschen ist das anders. Sie setzen voll auf eine Karte - die erneuerbaren Energien - und halten fest am Atomausstieg und an der Weg-vom-Öl-Strategie. Dass dies nur schwer aufgehen kann, belegt der EU-Bericht. Die Brüsseler haben vorgerechnet, dass es "zweifellos schwierig werde", das Klima zu schützen und die Versorgungsunabhängigkeit zu gewährleisten, wenn man die Atomkraft in Europa nicht ausbaue. Die erneuerbaren Energien allein reichen nicht aus, um den Bedarf abzudecken. Wenn es nicht genug Atomkraft gibt, prognostiziert Brüssel, dann muss zwangsläufig wieder auf fossile Quellen umgestiegen werden. Aber die kommen zum einen in Form von Öl von unsicheren Genossen wie Putin, Chavez und Konsorten, zum anderen verpesten sie in Form von Kohlenstoffdioxid die Atmosphäre. Atomkraft dagegen ist halbwegs leicht verfügbar und relativ billig. Uran muss man zwar auch erst einmal beschaffen, aber hier ist die Unabhängigkeit verhältnismäßig größer - auch wenn das alles nichts daran ändert, dass ein GAU die ganze Region vernichten kann.
Die Regierungspartei SPD muss umdenken
Gerade in der sensiblen Energiepolitik ist es verfehlt, alles auf eine Karte zu setzen. Es gilt, Risiken in Balance zu bringen. Konkret bedeutet dies, dass die SPD, die anders als die Union am Ausstieg festhalten will, ihre Haltung überdenken muss: Sie hat bislang lediglich das Risiko der Atomgefahr im Auge, unterschätzt jedoch die Gefahren, die sich aus der Ausstiegs-Strategie für Versorgungssicherheit und Umwelt ergeben. Dabei ist der Ausstieg an sich nicht falsch. Erneuerbare Energien müssen unbedingt gefördert werden. Nur, offenbar ist der Ausstieg zu früh gekommen, sodass es nun richtig wäre, seine Umsetzung noch einmal zu verschieben. Es geht darum, Risiken verantwortungsvoll zu verteilen. Und gerade weil Versorgungssicherheit und Umweltschutz wichtige Ziel sind, muss der Ausstieg verschoben werden. Für die deutsche Politik muss gelten: "Atomkraft? Ja, bitte. Einen Nachschlag nehmen wir noch."