Kurt Beck Politik mit verkrümmtem Rückgrat

  • von Hans Peter Schütz
Kurt Becks Position im SPD-Streit über die Agenda 2010 ist ein Paradebeispiel dafür, wie man Politik nicht machen sollte: Um die Liebe des Wählers zurückzuerobern, will der SPD-Vorsitzende zurück zu den Wegen, die sich längst als Sackgasse erwiesen haben - kein Einzelfall in der deutschen Politik.

Für Franz Bsirske, Chef der Dienstleistungsgesellschaft Verdi, ist der SPD-Vorsitzende Kurt Beck ein Mann, der "näher am Bauch der Partei ist, als manche, die jetzt mahnend die Stimme erheben." Mag ja sein. Aber das entbindet Beck nicht der Pflicht, Politik mit dem Kopf zu machen. Dem wird er allerdings mit seiner Forderung, dass Arbeitslosengeld für Ältere wieder länger zu zahlen, nicht gerecht. Vielmehr spekuliert er ziemlich plump auf Gefühle der Wähler – und versucht aus opportunistischen Gründen, sie für dumm zu verkaufen. Was da zwischen Beck und seinem Parteifreund Franz Müntefering abläuft, ist ein politisches Lehrstück dafür, wie es nicht laufen sollte. Ein Lehrstück bei dem wider besseres Wissen Politik gemacht wird.

Aus opportunistischen Gründe die falschen Entschlüsse ziehen

Es lohnt in diesem Zusammenhang ein Blick zurück. Da gab es einmal einen Norbert Blüm, der wöchentlich versicherte "Die Rente ist siiicher." Den Spruch wiederholte er unbelehrbar auch dann noch, als alle wissenschaftlichen Prognosen davor warnten, die Dinge so weiter laufen zu lassen, wie bis dahin im Sozialstaat Bundesrepublik gewohnt. Als längst klar war, dass die Menschen immer älter werden und das Rentensystem dringend um einen demographischen Faktor ergänzt werden muss, um es auch in Zukunft finanzierbar zu machen. In letzter Sekunde seiner Regierungszeit hat dann Kanzler Helmut Kohl diesen überfälligen Schritt gegen wütende Proteste Blüms nachgeholt. Unverantwortlich jedoch war, dass dann die rot-grüne Regierung Schröder/Fischer diese Reform wieder aufhob. Erneut wurden damit kostbare Jahre verschenkt, um das Rentensystem endlich auf eine solidere Basis zu stellen. Müntefering hat dann die lobenswerte Konsequenz gezeigt, das Rentenalter 67 durchzusetzen.

Unterm Strich dieses Lehrstücks politischer Inkonsequenz steht, dass Politiker aus opportunistischen Gründen sich immer wieder weigern aus einem richtig erkannten Sachverhalt die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Wider besseres Wissen wird das Falsche gemacht. Entweder weil man um jeden Preis an der Macht bleiben oder aber an die Macht kommen will. Weil die persönlichen Umfragewerte - wie bei Beck - miserabel sind und er sein Wahlergebnis auf dem bevorstehenden SDP-Parteitag anhübschen möchte oder weil die Partei durchhängt, was ebenfalls der Fall ist.

Eine Rückkehr zum Missstand von früher

Genau dieser eigensüchtige Opportunismus wird jetzt erneut praktiziert. Gerhard Schröders Agenda 2010 hatte die Bezugsdauer von Arbeitslosenhilfe gekürzt, bei Arbeitslosen über 55 Jahren von 32 Monaten auf 18 Monate. Das fand bis vor einem Jahr auch Beck noch vollkommen in Ordnung. Zwar erhöhte die Reform den Druck auf die Arbeitslosen, sich schneller als bisher einen neuen Job zu suchen. Aber die Reform war ein Erfolg: Ende 2002 waren 35,5 Prozent der 50- bis 65-Jährigen in einem Job, jetzt sind es 40 Prozent. Vor allem aber hat die Agenda 2010 den Unsinn beendet, dass die Firmen auf Kosten des Staates - sprich: Steuerzahler - ältere Mitarbeiter mit dem "Goldenen Handschlag" zu Lasten der Sozialkassen entsorgten. Das System hat die Allgemeinheit jährlich Milliarden gekostet.

Wer jetzt wie Beck die Rückkehr zu dieser Praxis fordert, propagiert die Rückkehr zum Missstand von früher. Das heißt: Rückkehr zur teuren Frühverrentung, Rückkehr zur Abschiebung der Älteren vom Arbeitsmarkt. Ein Rückschritt also ohne Sinn und Verstand, selbst wenn er verbal als sozialen Fortschritt getarnt wird. Eine Milliarde, so zuverlässige Schätzungen, würde der Beck-Plan kosten. Das Geld wäre viel besser angelegt für stärkere Unterstützung von Jugendlichen, die wegen fehlender Schulabschlüsse keine Lehrstelle finden. Für die Förderung von Frauen, die nach der Geburt ihrer Kinder wieder auf den Arbeitsmarkt wollen. Hier liegen die wahren Schwachstellen des Sozialstaats. Leider gibt es nur wenige SPD-Politiker, die sich jetzt noch ein offenes Wort trauen wie etwa die SPD-Politikerin Nina Hauer: "Becks Vorschlag ist nicht sozial." Wo zum Beispiel ist der kommende Beck-Stellvertreter Frank Walter Steinmeier in dieser Diskussion? Er war der Wegbereiter der Agenda 2010 zu Schröders Zeiten. Jetzt ist er völlig abgetaucht. Im innerparteilichen Kampf um die wichtigen Teile des Schröderschen Erbes verdrückt er sich. Politiker mit Rückgrat sehen anders aus.

Arbeitslosenversicherung ist keine Ansparversicherung

Es ist schlicht Verdummung, wenn Beck verkündet, er wolle die Agenda 2010 nur "fortentwickeln." Er will sie zurückdrehen. Dass wenigstens Müntefering die Dinge beim Namen nennt, ehrt ihn. Arbeit schaffen ist wichtiger als Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Sozial gerecht ist der Vorstoß von Beck überdies auch nicht. Müntefering hat vollkommen recht, wenn er sagt, dass der 35-Jährige mit zwei Kindern im Fall der Arbeitslosigkeit viel größere Probleme bekommt als ein 60-Jähriger mit Kindern, die aus dem Haus sind. Und absolut zutreffend ist Münteferings Hinweis, dass die Arbeitslosenversicherung keine Ansparversicherung ist, sondern eine Risikoversicherung. Sie springt ein, wenn die Arbeitslosigkeit eintritt, weitgehend ohne Rücksicht auf die Beitragsjahre.

Schösse Beck mit seinem Vorstoß den Vizekanzler aus der Regierung, riskierte er Neuwahlen, bei denen die SPD nur verlieren könnte. Abgesehen davon, dass Müntefering in der ihm eigenen Gelassenheit steht, darf Beck unterstellt werden, dass er nur Munition für den Wahlkampf 2009 sammelt, dass er auf dem SPD-Parteitag ein gutes Wahlergebnis erreichen möchte. Erfolgreich wird sein Vorstoß nicht sein, denn die Union wird ihn koalitionspolitisch nicht mittragen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Der SPD-Vorsitzende zahlt für seine durchsichtigen Mini-Ziele einen hohen Preis: Die Glaubwürdigkeit der SPD wird verschleudert. Dies auch deshalb, weil die Genossen bereits zusätzlich auch den Ausverkauf der Rente 67 planen. Diese Altersgrenze soll durch eine Fülle von Ausnahmeregelungen aufgeweicht werden. Sozialpolitik, die nicht nur kurzfristige Wahlerfolge im Auge hat, sondern kommenden Generationen eine bezahlbare Perspektive lässt, sieht anders aus. Sie müsste statt mit dem Bauch mit dem Kopf gemacht werden.