Lindner-Buch Auf ein Anekdötchen mit Genschman

  • von Nico Schmidt
Ein Gesprächsband von Hans-Dietrich Genscher und Christian Lindner soll der FDP eine neue Perspektive geben. Doch statt Argumente tauschen die beiden Erinnerungen und Streicheleien aus.

Er will nicht loslassen. Hans-Dietrich Genschers Hand liegt fest auf Christian Lindners Arm. Der frühere Außenminister hat den FDP-Vize fest im Griff. Das soll Verbundenheit zeigen. Beide sitzen auf der Couch bei #link;www.stern.de/thema/markus-lanz;Markus Lanz#. Sie sind gekommen, um für ihr am Mittwoch erscheinendes Buches "Brückenschläge" zu werben.

"Zwei Generationen, eine Leidenschaft", ist der Untertitel des Bandes. Der 86-jährige #link;www.stern.de/thema/hans-dietrich-genscher;Genscher# und der 34-jährige #link;www.stern.de/thema/christian-lindner;Lindner# sprechen über große Themen: Europa, die Energiewende und neue Medien. Gemeinsam wollen sie beweisen, dass Deutschland eine liberale Partei braucht und wie diese in Zukunft aussehen kann. Gleichzeitig soll das Buch soll den Kronprinzen Lindner adeln. Genscher verhalf schon anderen Politikern zu Amt und Würden, #link;www.stern.de/thema/juergen-moellemann;Jürgen Möllemann# oder #link;www.stern.de/thema/guido-westerwelle;Guido Westerwelle# etwa. Jetzt also Christian Lindner.

Das Buch

Hans-Dietrich Genscher und Christian Lindner: Brückenschläge. Zwei Generationen, eine Leidenschaft. Hoffmann und Campe 2013, 19,99 Euro

Lindner bleibt blass

Im Buch mimt der nicht selten den braven Enkel. Etwa wenn es um Genschers Biografie geht, er erzählt, wie er im #link;www.stern.de/thema/zweiter-weltkrieg;Zweiten Weltkrieg# als Flakhelfer diente. Dann lauscht Lindner gespannt und fragt: "Am 8. Mai war der Krieg zu Ende. Wie haben Sie diesen Tag erlebt?" Eine Anekdote folgt der anderen. Lindners Reaktion: "Solche Erfahrungen vergisst man wohl nie."

Der Protegé bleibt blass. Er hört zu, fasst zusammen und darf ab und zu aus seiner eigenen politischen Vita erzählen. Geht es nicht um Persönliches, wird es selten konkret. Genscher und Lindner loben, wo Lob erwartet wird und sie kritisieren, wo Kritik erwartet wird. Der Parteilinie bleiben sie stets treu.

Streicheleinheiten statt Streit

Nicht nur Lindner, Genscher kann auch die Politik nicht loslassen. Die könne er nicht einfach in den Kleiderschrank hängen, sagt er zu Markus Lanz. Sein politisches Leben hinge dort neben seinen gelben Pullover, Genschers Markenzeichen. Einmal getragen gibt der frühere Außenminister sie weiter. Die Pullis gehen an Betriebsfeste und Versteigerungen. Das Geld werde für wohltätige Zwecke gespendet. Doch Genscher ist mehr als ein greiser Polit-Promi. Innerhalb der FDP setzt er seine Interessen im Hintergrund durch.

Doch das gedruckte Gespräch lässt jeden argumentativen Streit vermissen. Stattdessen gibt es reichlich Streicheleinheiten. Etwa wenn Lindner sagt, "Natürlich haben mich Personen beeindruckt. Sie zum Beispiel." Oder Genscher kundtut, dass Lindners wortloser Abtritt als FDP-Generalsekretär ihn beeindruckt habe. Hier verstehen sich zwei, hier mögen sich zwei – aber reicht das für ein 250 Seiten starkes Buch?

Kein Schmidt und kein Steinbrück

Maßgeblich geprägt hat das Genre des deutschen Gesprächsbandes Helmut Schmidt. "Zug um Zug", seiner Unterhaltung mit Peer Steinbrück, widmete Günther Jauch eine eigene Sendung. Das Buch landete auf den Titelseiten des "Spiegel" und der "Zeit". Die Konstellation war derer zwischen Genscher und Lindner nicht unähnlich: Zwei Generationen üben den Schulterschluss. Doch Schmidt und Steinbrück hatten etwas zu sagen, sie arbeiteten sich an der Politik ab.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Auf Lindners Ankündigungen, das Buch werde Antworten auf die Frage nach der Zukunft des politischen Liberalismus liefern, ist wenig gefolgt. Auch nach der Lektüre ist nicht klar, wie ein neuer Liberalismus aussehen, wie die FDP ihre Relevanz tatsächlich beweisen kann. Das Projekt ist Opfer der eigenen Ambitionen geworden.

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