Müntefering-Rücktritt Nun soll der SPD-Vorstand zurücktreten

In der SPD herrscht laut Fraktionsvize Joachim Poß "blanke Wut". Weil mit dem Rückzug Münteferings die Parteiführung in Frage gestellt sei, fordert er nun auch den Rücktritt des gesamten Parteivorstands.

Die SPD fragt sich: Was tun nach dem angekündigten Rückzug von Parteichef Franz Müntefering? Fraktionsvize Joachim Poß verlangte den Rücktritt des gesamten Parteivorstands. In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur sagte er, mit dem Rückzug von Müntefering habe sich die gesamte engere SPD-Führung in Frage gestellt. "Eine völlige Neuaufstellung ist sofort überfällig."

Poß, der dem Parteivorstand angehört, zeigte sich empört über führende Parteifreunde, die nach Münteferings Bloßstellung durch die Nominierung der Parteilinken Andrea Nahles zur Generalsekretärin jetzt einfach zur Tagesordnung übergehen wollten. Der gesamte Vorgang müsse sorgfältig aufgearbeitet werden. Bei der SPD-Basis herrsche wegen des Umgangs mit Müntefering "blanke Wut und pures Entsetzen".

SPD-Fraktionsvize Gernot Erler hat sich dafür ausgesprochen, auf dem Parteitag in zwei Wochen alle Personalentscheidungen zu vertagen und somit Parteichef Franz Müntefering zunächst weiter im Amt zu halten. Erler schlug in der ARD vor, der Parteivorstand solle auf seiner Sitzung am Mittwoch beschließen, dass auf dem Parteitag in Karlsruhe nur über den Koalitionsvertrag mit der Union abgestimmt werde. Sämtliche Personalentscheidungen sollten dann durch eine Vertagung des Delegiertentreffens für eine bestimmte Zeit verschoben werden, "um auf diese Weise aus dieser Situation herauszukommen".

Müntefering stürzt über Nahles

Müntefering war am Montag über die klare Entscheidung des Parteivorstands für die Parteilinke Andrea Nahles als neue Generalsekretärin gestürzt. Die 35-Jährige setzte sich in geheimer Kampfabstimmung im 45-köpfigen SPD-Vorstand mit 23 zu 14 Stimmen gegen Münteferings Vertrauten Kajo Wasserhövel durch. Auf dem SPD-Parteitag Mitte November wird Müntefering nicht mehr als für das Amt des Parteichefs kandidieren.

Entsprechend diskutieren die Sozialdemokraten nun über seine Nachfolge. Verschiedene Politiker sprachen sich für den brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck als neuen SPD-Chef aus, nannten aber auch dessen rheinland-pfälzischen Amtskollegen Kurt Beck als Kandidaten.

"Weiß nicht, wer in 14 Tagen die Autorität gewinnen soll"

Erler warnte vor einer zu schnellen Festlegung auf einen Nachfolger für Müntefering: "Ich weiß nicht, wer in 14 Tagen so schnell die Autorität gewinnen soll", sagte er. Müntefering habe ja bereits das Angebot gemacht, der Partei weiter zur Verfügung zu stehen und sich nicht in die Büsche zu schlagen. Auch müsse er als Minister und Vizekanzler in ein Kabinett der großen Koalition eintreten.

Ute Vogt, Vize-SPD-Chefin, sie hatte im SPD-Vorstand für Nahles gestimmt, verlangte in mehreren Interviews eine rasche Lösung der Personalfrage. Auch sie nannte die beiden Ministerpräsidenten Matthias Platzeck und Kurt Beck als Kandidaten für den Parteivorsitz.

Der designierte niedersächsische SPD-Chef Garrelt Duin sagte der DPA, Platzeck habe "etwas Dynamisches, Unverbrauchtes, das können wir jetzt gut gebrauchen". Im Gespräch sei aber auch Beck. Er gehe davon aus, dass Müntefering auch nach seinem angekündigten Rückzug als SPD-Chef als Vizekanzler und Arbeitsminister zur Verfügung stehe. Nun gehe es darum, den Schaden für die SPD zu begrenzen, sagte Duin, der Mitglied des SPD-Vorstandes ist.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Wenn Platzeck will, ist das jetzt seine Stunde"

Der Sprecher der ostdeutschen SPD-Bundestagsabgeordneten, Stephan Hilsberg, sagte der in Dresden erscheinenden "Sächsischen Zeitung": "Wenn Platzeck will, ist das jetzt seine Stunde." Aber auch die Idee, dass Beck neuer Parteivorsitzender werde, sei "eine brauchbare Variante".

Zuvor hatte Hilsberg Andrea Nahles zum Rückzug aufgefordert. Wessen strategische Fähigkeiten darin bestünden, "die Partei erst einmal kopflos zu machen und den eigenen Vorsitzenden zu entmachten, der diskreditiert sich selbst für dieses Amt", sagte der Brandenburger Parlamentarier der Chemnitzer "Freien Presse". Mit der Wahl von Nahles sei die SPD aus einer komfortablen Situation in eine möglicherweise über Wochen andauernde Krise hineingeschlittert. "Das hätte jedem im Parteivorstand klar sein müssen, auch Andrea Nahles", so Hilsberg.

Mit Material von DPA