Nachrichtendienste "Auf Augenhöhe mit Bush"

Als die Nachricht von den jüngsten Anschlägen in Istanbul eintraf, waren sich Geheimdienstler aus aller Welt, die sich auf einem Symposium in Pullach befanden, einig: Dahinter steckt El Kaida.

Sicherheitsexperten aus aller Welt versammelten sich in Pullach, um bei einem Symposium des Bundesnachrichtendienstes über den Nahen Osten zu sprechen. Als die Nachricht von den jüngsten Anschlägen in Istanbul eintraf, waren sich die Geheimdienstler einig: Dahinter steckt das islamistische Netzwerk El Kaida. Dass die Terroristen wieder zu solchen Aktionen fähig seien, "gibt zu großer Sorge Anlass", sagte BND-Präsident August Hanning.

Vor fünf Tagen erst der Bombenanschlag auf die Synagoge, jetzt auf das britische Generalkonsulat und eine britische Bank, und das während dem Besuch von US-Präsident George W. Bush in London: "Das sind klare Signale", sagte der Geheimdienst-Koordinator der Bundesregierung, Ernst Uhrlau. Auch der enorme logistische Aufwand, das professionelle Vorgehen der Täter und die Zeitgleichheit der Anschläge auf das Konsulat und die Bank sprächen für El Kaida, sagte Hanning.

Anschein relativer Ruhe

Bisher sei die Türkei als ein Hort relativer Ruhe erschienen. Aber die Regierung arbeite mit den USA, dem Westen und Israel zusammen. Als Nachbar Iraks und Tschetscheniens liege die Türkei an einer Kreuzung islamistischer Strömungen. Für Attentäter sei die Logistik in der Region einfacher als etwa in den EU-Staaten oder den USA.

"Auf Augenhöhe mit Bush"

Mit dem Anschlag wollten die Terroristen auch zeigen, dass sie "auf Augenhöhe" mit US-Präsident Bush seien. Das sei ein wichtiges Signal an die Anhänger und Sympathisanten in der islamischen Welt.

Ziel: Länder innenpolitisch destabilisieren

Die Terroristen schlugen in den vergangenen Monaten gezielt in islamischen Ländern zu, die mit den USA zusammenarbeiten: Im besetzten Irak, in Saudi-Arabien, Jordanien oder jetzt in der Türkei. Das Netzwerk wolle "innenpolitisch destabilisieren und ethnisch-religiöse Konflikte zuspitzen", sagte Uhrlau. "Die Anschläge sind ein Instrument der Verunsicherung in der Region." Letztlich aber sei es das Ziel, die westlichen "Kreuzritter, die Amerikaner und Juden aus der Region mit Gewalt zu vertreiben".

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Tote sind "der Preis für die Vertreibung der Ungläubigen"

Wie in Somalia oder im Libanon solle der Westen mit blutigen Anschlägen gezwungen werden, seine Leute aus der Region abzuziehen. Opfer unter der muslimischen Bevölkerung nähmen die Terroristen bewusst in Kauf. Das mindere ihre Unterstützung in der arabischen Welt nicht, sagte der BND-Chef: Die Toten würden als der Preis für die Vertreibung der Ungläubigen und Kreuzritter betrachtet. Aber für den Westen könnte der Blutzoll zu groß werden. Diskussionen über einen Abzug der US-Truppen und ihrer Verbündeten aus Irak seien Wasser auf die Mühlen der El Kaida, sagte Hanning. Irak drohe sich zu einem neuen Kristallisationspunkt für den Dschihad zu entwickeln wie früher Afghanistan. Ein Abzug der US-Truppen hätte verheerende Konsequenzen.

Mobilisierung durch TV-Sender El Dschasira kritisiert

El-Kaida-Gründer Osama bin Laden sei weniger bei konkreten Anschlägen als vielmehr als Mann im Hintergrund und Symbol mit großem Einfluss in der islamischen Welt wichtig. Dabei helfe ihm der arabische Fernsehsender El Dschasira, sagte Uhrlau. Die Bilder leidender Muslime aus Palästina, Irak und Afghanistan zeigten "den Kampf der Ungläubigen gegen die gesamte islamische Welt". Videos von Bin Laden "beim Wandertag" oder Studiodekorationen von Bush und Bin Laden "in gleicher Größe und auf Augenhöhe" seien praktisch "ein medialer Anschlag" und hätten "ungeheure Mobilisierungskraft".

Deutschland zurzeit nur "latent gefährdet"

In Deutschland besteht nach Hannings Worten "eine latent hohe Anschlagsgefahr". "Wir haben eine islamistische Szene, die bereit ist, derartige Anschläge auszuführen." Aber nicht Deutschland, sondern islamische Staaten schienen derzeit das vorrangige Ziel der Terroristen zu sein. Außerdem sei der Druck der Sicherheitsbehörden in Deutschland hoch. Gefährdet seien die Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan, zumal die Taliban dort wieder erstarkt seien.

In Deutschland lebten aber "Glaubenskämpfer, die sich in den Irak begeben haben", sagte Hanning. Bei ihnen habe der Appell zur Solidarität aller Muslime verfangen.

Wirtschaftliche Perspektive notwendig

In der islamischen Welt gebe es eine "wachsende antiamerikanische und antiwestliche Stimmung", warnte der BND-Chef. "Wir sind gerade dabei, den Kampf um die Köpfe und Herzen zu verlieren." Im Kampf gegen den Terror habe der Westen in Afghanistan einen wichtigen Erfolg erzielt, und die Sicherheitsbehörden hätten einige Anschläge verhindert und Drahtzieher gefasst. Die arabischen Staaten mit ihrer sehr jungen Bevölkerung bräuchten aber eine wirtschaftliche Perspektive, sonst bekämen religiös verbrämter Demagogen mit ihren Hasspredigten noch mehr Zulauf.

AP · DPA
Roland Losch, AP