Freitag beginnt der Nato-Gipfel in Kehl und Straßburg. Wird es ein Gipfel der Feierlichkeiten zum 60-jährigen Bestehen oder erwarten Sie substantielle Ergebnisse?
Es wird ein Feiergipfel, bei dem verschiedene Anlässe im Blickpunkt stehen. Es wird das 60-jährige Bestehen der Nato gefeiert und die Rückkehr Frankreichs in die militärische Allianz. Daneben wird man aber auch feiern, dass man es mit einem neuen amerikanischen Partner zu tun hat und diesen auch zum ersten Mal kennenlernt. Das wird dem Gipfel schon eine besondere Prägung geben.
Überschattet wird der Gipfel durch einen Streit um die Nachfolge des Nato-Generalsekretärs. Was muss in dieser Frage an diesem Wochenende geschehen?
Erforderlich ist es, dass die Position mit einer Person besetzt wird, die für einen erweiterten, politischen Nato-Begriff steht. Das spricht für den dänischen Ministerpräsidenten Rasmussen. Es ist jedoch kein gutes Zeichen für den Gipfel, wenn man sich wenige Stunden vor der Eröffnung noch nicht darauf verständigt hat, wer die wichtigste Position in dem Bündnis übernehmen soll.
Halten Sie die Rolle der Türkei, die den dänischen Regierungschef ablehnt, weil er sich im Karikaturenstreit für die freie Meinungsäußerung eingesetzt hat, für akzeptabel?
Wenn diese Personalfrage an der Türkei scheitern sollte, muss man Ankara einige Vorwürfe machen. Aber man muss gleichzeitig fragen, wie es sein kann, dass man diese Entwicklung nicht vorausgesehen hat. Da wurde offensichtlich handwerklich nicht sauber gearbeitet. Wie kann man in eine solche Situation hinein stolpern, dass in der entscheidenden Personalfrage des Bündnisses die Interessen nicht abgeglichen wurden? Das ist höchst bedauerlich, denn schlimmstenfalls werden herausragende Persönlichkeiten der europäischen Politik beschädigt.
Wem machen Sie da einen Vorwurf?
Wenn es denn so kommt, dann ist das ein Kollektivversagen, weil niemand die wichtigste Personalfrage des Bündnisses in die Hand genommen hat. Es gehört zu den unausgesprochenen Regeln der NATO, dass die militärische Spitze, also der SACEUR, von den USA, die politische Spitze in Person des Generalsekretärs von den Europäern gestellt wird. Deswegen haben sich die USA in der Frage des Generalsekretärs auch nicht primär zuständig gefühlt. Und auf europäischer Seite zeigt sich hier einmal mehr das gigantische Führungsloch innerhalb der EU. Das haben sich insbesondere die großen EU-Staaten anzurechnen, einschließlich Berlin.
Aber Sie erwarten, dass man sich auf dem Gipfel auf einen Nachfolger für den aus dem Amt scheidenden Jaap de Hoop Scheffer verständigt?
An diesem Wochenende muss die Nachfolge von de Hoop Scheffer geklärt werden. Die Wirkung des Gipfels wäre fatal, wenn am Ende nicht die Benennung eines neuen Generalsekretärs stünde, der dann auch den nächsten Nato-Gipfel vorbereitet. Deshalb besteht ein enormer Druck zur Verständigung. Da ist ein enormes Stück Verhandlungskunst gefragt.
Wäre ein Einknicken in dieser Frage eine Niederlage des Westens gegenüber der islamischen Welt?
Nicht unbedingt gegenüber der islamischen Welt. Es wäre aber das Einknicken vor einem Nato-Partner, der seine islamischen Wurzeln als Instrument mehr denn je nutzt. Das ist höchst bedenklich. Die Nato kehrt gerade zu ihrem Wertekern zurück – einmal mehr durch die Obama-Administration. Toleranz, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit rücken verstärkt in den Blickpunkt. In dieser Situation kann man nicht hinnehmen, dass jemand, der in einer kritischen Situation auf die Freiheit der Meinungsäußerung der Presse und der Kunst gepocht hat, deswegen bei einer Personalentscheidung verhindert wird.

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Was erwarten Sie inhaltlich von dem Nato-Gipfel?
Inhaltlich erwarte ich nicht viel. Denn im Grunde kommt dieser Nato-Gipfel viel zu früh. In den USA ist die grundsätzliche Prüfung aller Politikbereiche durch die neue Administration noch nicht abgeschlossen. Die entscheidenden Personen auf der zweiten und dritten Ebene der Regierung haben das Bestätigungsverfahren im Senat noch nicht durchlaufen. Und die Europäer sind in allen Fragen, in denen die Amerikaner mit uns zu neuen Ergebnissen kommen wollen, noch weit davon entfernt, einen klaren Standpunkt zu beziehen. Das gilt sowohl für das strategische Konzept der Nato wie auch für die gemeinsame Strategie für Afghanistan.
Was muss Ihrer Meinung nach denn von europäischer Seite geleistet werden?
Wenn man die Frage nach der strategischen Ausrichtung der Nato stellt, ist ja bislang nicht einmal entschieden, ob man ein neues Konzept anstrebt oder das alte anpassen will. Wenn man an diesem Punkt noch kein Einvernehmen erzielt hat, wie will man dann in der Substanz weiter gekommen sein? Vielleicht ist es wirklich besser, man feiert diesen Gipfel nun ab und nimmt sich für den nächsten oder übernächsten vor, unter der Ägide eines neuen Generalsekretärs ein neues Konzept zu erarbeiten.
Kann die Nato sich in Zukunft weiter als reines Verteidigungsbündnis begreifen?
Die Nato muss sich breiter aufstellen, sie muss politischer werden. Derzeit gibt es eine Verengung auf die Herausforderungen, die militärisch bewältigt werden müssen. Afghanistan ist ja nur ein Beispiel für die Feststellung, dass die militärische Konfliktlösung nicht ausreicht. Darüber hinaus muss die Nato sich gegenüber all den Ländern, die nicht Mitglied sind, neu positionieren. Nötig ist zweierlei: eine solide Verteidigungsallianz und gleichzeitig ein Zugehen auf all diejenigen, die nicht der Nato angehören, aber gleichwohl an Rüstungskontrolle und Abrüstung interessiert sind. Diese Kombination fehlt aktuell in der Außendarstellung der Nato und muss dringend geändert werden.
US-Präsident Obama möchte vor allem Russland ein stärkeres Gewicht zukommen lassen. Ist das in deutschem und im europäischen Interesse?
Wir Deutsche sollten begrüßen, dass der amerikanische Präsident seinen russischen Kollegen Medwedew beim Wort nimmt und abklopft, ob gemeinsame Abrüstungsbemühungen möglich sind. Die Bundesregierung sollte das positiv begleiten, wobei wir natürlich immer beachten müssen, dass in Ost- und Mitteleuropa andere Empfindlichkeiten mit Blick auf Russland gelten.
Die USA erwarten von ihren europäischen Partnern auch Unterstützung in Afghanistan. Kanzlerin Merkel dagegen betont, Deutschland tue genug. Wie sehen Sie das?
Deutschland braucht sich nicht zu verstecken, das ist richtig. Der amerikanische Präsident wird ein neues Konzept in Straßburg vorstellen. Das muss man diskutieren. Ich gehe davon aus, dass es dazu zunächst kein Einvernehmen gibt. Das offenbart eine ihrer größten Schwächen. Seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes hat die Nato es nicht geschafft, gemeinsam das Ziel der Aktivitäten in Afghanistan zu definieren, um daraus eine gemeinsame Strategie abzuleiten. Das muss dringend geschehen. Dazu gehört dann auch die Erkenntnis, dass man sich im nicht-militärischen Bereich erheblich mehr anstrengen muss. Für Deutschland heißt das beispielsweise, das Konzept der vernetzten Sicherheit endlich einmal mit Leben zu erfüllen.
Was heißt das?
Beim zivilen Aufbau und beim Aufbau der Polizei müssen wir entschieden mehr tun, als es gegenwärtig der Fall ist. Auch bei der wirtschaftlichen Entwicklung könnten wir mehr tun. In der Entwicklungszusammenarbeit ist mehr drin. Man denke hier nur an den Ausbau der Landwirtschaft. Diejenigen, die immer behaupten, es gebe keine rein militärische Lösung, haben recht, müssen aber dafür sorgen, dass im nicht-militärischen Bereich mehr geschieht. Über solche Fragen muss endlich auch im Nato-Rat geredet werden. Das zu tun, hat der bisherige Nato-Generalsekretär ja strikt abgelehnt. Die Sicht von Jaap de Hoop Scheffer, die Nato sein kein Entwicklungsrat, ist aber eine zu enge Sicht der Dinge.
Gehen Sie ernsthaft davon aus, dass die USA keine neuen Forderungen nach zusätzlichen militärischen Kräften in Afghanistan stellen werden?
Die neue amerikanische Regierung, insbesondere Präsident Obama, ist viel zu klug, um Erwartungen zu artikulieren, von deren Erfüllung man nicht ausgehen kann. Deswegen wird es nicht zu der Frage kommen, wie viele zusätzliche Soldaten Deutschland aufbieten kann. Umso wichtiger ist es, dass Deutschland seine eigene Strategie der vernetzten Sicherheit unterfüttert. Da haben wir einen Schwachpunkt. Nehmen Sie das Beispiel des Polizeiaufbaus: Da leisten unsere Leute hervorragende Arbeit, aber der Effekt im Ganzen ist zu gering. Da muss die Bundesregierung auch in dieser Legislaturperiode noch nacharbeiten.
Was erwarten Sie von Frankreichs neuer Rolle in der Nato? Wird das das Bündnis eher stärken oder muss man mit zusätzlichen Querelen rechnen?
Es ist eine große Bereicherung, wenn Frankreich sich an der militärischen Integration beteiligt. Aber ich fürchte durchaus, dass es hin und wieder Schwierigkeiten geben könnte, weil die Franzosen mit ihrer Nato-Rolle auch sehr stark eigene Interessen verbinden. Trotzdem ist der Schritt jetzt natürlich richtig. Es war eine Wunde, dass Frankreich über einen langen Zeitraum hinweg in die Arbeit der Nato nicht voll eingebunden war.